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Finalist beim Europäischen Erfinderpreis: Die Watte gegen Ölkatastrophen

von Cindy Michel
Verendete Seevögel mit verklebtem Gefieder und schwarz verschmierte Küsten: Die Folgen einer Ölpest. Die Rettung könnte ein watteähnlicher Schwamm aus Wachs sein, der Öl aufsaugt und Wasser abweist. Ein deutscher Chemiker hat ihn entdeckt – ganz zufällig. Nun ist er damit für einen wichtigen Preis nominiert.

Update, 22.5.2017: Das europäische Patentamt hat das Ölbindemittel Pure als Finalist für den europäischen Erfinderpreis nominiert. 

Die Geschichte des neuen potenziellen Wundermittels im Kampf gegen Ölkatastrophen beginnt mit einer Produktionspanne in einem Chemieunternehmen. Geplant sind geringfügige Veränderungen bei der Herstellung eines Wachses. Doch etwas läuft schief: „Irgendjemand muss wohl die verkehrte Temperatur und den falschen Druck eingestellt haben“, erzählt der Chemiker Ernst Krendlinger. Das Ergebnis sind zehn Tonnen einer seltsamen fasrigen Substanz, die an Watte erinnert. „Wir wollten diese riesige Menge nicht einfach wegwerfen, das hätte immense Kosten verursacht“, sagt Krendlinger.

Also beginnen der Chemiker und sein Team mit diesem seltsamen Wachs aus langkettigen (aliphatischen) Kohlenwasserstoffen zu experimentieren: „Wir haben viel nachgedacht und sehr viel ausprobiert. Kerzen haben wir daraus gemacht, Bitumen für Straßenbaumaschinen modifiziert, Kunststoffe und lackierte Gegenstände damit eingerieben, auch Kosmetika hergestellt.“

Doch dann macht Krendlinger eine Entdeckung: Das Material saugt Stoffe wie Öl oder Diesel und andere Chemikalien auf, während es zur gleichen Zeit Wasser abweist. „Soweit ich weiß, sind diese Eigenschaften weltweit einzigartig“, sagt er. „Zauberwatte“ nennen die Mitarbeiter des Chemieunternehmens das neu entdeckte, hydrophobe Bindemittel – der offizielle Name Deurex Pure.

Ein der Video der Firma Deurex zeigt, wie das Produkt tatsächlich funktioniert: In ein mit Wasser gefülltes Glas werden erst 50 Milliliter Altöl gegeben, anschließend drei Gramm der Pure-Watte. Nach gerade einmal vier Minuten ist das verschmutzte Wasser wieder klar.

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Doch die wachsige Watte kann weit mehr, als nur die Ölpest im Wasserglas binden. Laut der Firma Deurex nimmt das Wachs das 6,55-fache seines Eigengewichts auf. Das unabhängige Prüfinstitut DEKRA bescheinigt dem Material eine äußerst hohe Bindekomponente: 100 Kilogramm Pure sollen mehr als 600 Liter Öl binden können.

Und die „Zauberwatte“ hat auch ökologische Vorteile. Sie ist recyclebar, umweltfreundlich, unlöslich in Wasser, witterungsbeständig und schwimmt immer oben, auch wenn sie vollgesogen ist. Eigenschaften, die wohl Grund genug waren, das Patent beim Europäischen Erfinderpreis 2017 einzureichen. Nach einem langen Prozess der Prüfung hat das Europäischen Patentamt, das den Preis verleiht, nun die Nominierung als Finalist bekanntgegeben.

Aktuell produziert Deurex 1000 Tonnen Pure pro Jahr, Tendenz steigend. Denn die Verwendungszwecke sind vielfältig. Feuerwehren und Technische Hilfsdienste in Deutschland benutzen die Wachswatte schon jetzt. „Stellen Sie sich vor, es ist Hochwasser, im Keller kippt ein Tank um und Öl tritt aus. Bevor die Helfer das Wasser abpumpen, können sie mit Pure mehr oder minder das Öl aufwischen“, sagt Krendlinger. Auch im Ausland wird die Wunderwatte immer öfter eingesetzt.

Im Herbst 2015 startete das Unternehmen ein Pilotprojekt, das die Umweltverschmutzung durch Windräder verhindern soll. Denn auch die benötigen Öl, um zu funktionieren. „Eine Anlage mit fünf Megawatt Leistung braucht alleine für das Getriebe 1000 Liter, hinzu kommen noch einmal bis zu 500 Liter für die Hydraulik bei Großanlagen“, schreibt die Wirtschaftswoche. Ein Kragen aus Pure, der sogenannte Oil Safety Collar (OSC), soll vor Ölunfällen schützen.

Umweltaktivisten nutzen Krendlingers Erfindung, um Gewässer zu säubern, etwa die Gruppe One Earth – One Ocean (OEOO). Der gemeinnützige Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Ozeane von Chemikalien, Plastik und Ölen zu befreien, arbeitete in Nigeria mit dem Produkt. Bei der Ölkatastrophe im Nigerdelta handelt es sich um eine lang anhaltende Ölpest, in den vergangenen 50 Jahren sollen laut Experten mehr als zwei Millionen Tonnen Rohöl das Ökosystem verschmutzt haben. Eine Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) besagt, dass eine Sanierung der betroffenen Region 25 bis 30 Jahre dauern und Kosten in Höhe von bis zu einer Milliarde US-Dollar verursachen würde.

OEOO wollte sich damit nicht zufrieden geben und zeigen, „dass man mit relativ einfachen Mitteln, etwas bewirken kann“. Gemeinsam mit den am Nigerdelta lebenden Menschen und mithilfe von Pure hat die Gruppe einen begrenzten Teil der verseuchten Gewässer gesäubert.

Aber können sich ärmere Länder die Wachswatte überhaupt leisten, ohne die Hilfe von Umweltschutzorganisationen? Krendlinger meint schon, denn für den Schaden aufkommen müssten die Ölfirmen eigentlich selbst: „Wenn sie etwas verschmutzen, müssen sie das auch wieder sauber machen. Im Endeffekt bezahlen dann zwar wieder die Industrieländer, aber das erachte ich als richtig.“

Für das TV-Erfindermagazin Einfach Genial führt Krendlinger das Wasserglas-Experiment in seinem Wohnzimmer durch. Er gibt Motorenöl in eine Schüssel mit Wasser, dann etwas von der „Zauberwatte“ hinzu und wartet bis aus der braunen Brühe wieder klare Flüssigkeit wird – die er dann trinkt. Es sei ihm bekommen, versichert er WIRED. „Wenn das Wasser vor dem Öl sauber war, ist es das nach dem Pure-Verfahren auch wieder.“

Vielleicht kann Pure noch mehr. Etwa verschmutzte Quellen säubern und wieder Trinkwasserqualität herstellen? „Leider nein“, meint Krendlinger. „Da ist ja meist nicht nur Öl drin, sie sind oft auch anderweitig verschmutzt.“ Bakterien könne das Wachs nicht aufnehmen, denn diese würden es wohl auffressen. Was ist mit Giften, anderen Chemikalien? „Daran arbeiten wir mit Nachdruck“, versichert er.

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