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Diese Biologin will den Menschen ans Leben im All anpassen

von Anna Schughart
Menschen sind für die Erde gemacht. Aber was, wenn sie auf dem Mars wohnen wollen? Dann braucht man synthetische Biologie, sagt Lisa Nip. Im WIRED-Interview erklärt die Biologin, wie Bakterien uns helfen können, im Weltraum zu überleben.

Schwerelosigkeit, kein Sauerstoff, gefährliche Strahlung: Der Weltraum ist kein besonderes freundlicher Ort für Menschen. Ein langer Aufenthalt im All kann der Gesundheit erheblich schaden. Astronauten, die auf dem Weg zum Mond das Magnetfeld der Erde verlassen haben, leiden beispielsweise eher unter Herzleiden als andere, wie eine aktuelle Studie zeigt. Das klingt nicht gut, vor allem wenn man plant, Menschen zum Mars zu schicken – oder noch viel weiter.

Doch die Lösung für viele dieser Probleme ist in Reichweite, sagt Lisa Nip, die als Biologin am Massachusetts Institute of Technology (MIT) arbeitet. Mithilfe von synthetischer Biologie, bei der komplette biologische Systeme künstlich erzeugt werden, könne man Menschen fit für den Weltraum machen. Im Interview erklärt Nip, wie Menschen eines Tages selbst Sauerstoff produzieren und Strahlung in Energie umsetzen könnten – und trotzdem noch menschlich bleiben würden.

WIRED: Warum sind Reisen ins All so gefährlich für unsere Gesundheit?
Lisa Nip: Die Menschen und ihre Vorfahren haben sich über Millionen von Jahre auf der Erde entwickelt. Wir sind so, wie wir sind, weil wir gut auf die natürliche Selektion reagiert haben. An jeden einzelnen Aspekt, vom Sauerstoff bis zur Schwerkraft, haben wir uns angepasst. Wenn man uns aus dieser Umgebung herausreißt, dann wirft uns das aus der Bahn.

Ich spreche davon, den Menschen zu modifizieren

WIRED: Und wenn Menschen längere Zeit im Weltall leben?
Nip: Die Muskeln schwinden, weil sie nicht mehr so wie auf der Erde genutzt werden, genau wie die Knochen. Der Blutdruck ist nicht richtig, deshalb bekommt das Herz Probleme. Aber eines der größten Probleme ist die Strahlung. Im Weltall gibt es nur wenig Schutz vor ionisierender Strahlung [zu der auch die radioaktive Strahlung gehört, Anm. d. Red.]. Zwar gibt es Raumanzüge, aber die schützen langfristig nicht vor dieser Strahlung, die eigentlich durch fast alles durchkommt, was nicht aus schwerem Metall oder zur Abwehr von Strahlung gefertigt wurde. Ein leichtes System, das vor Strahlung schützt, muss erst noch entwickelt werden.

WIRED: Aber anstelle von technischen Lösungen interessieren Sie sich für die Möglichkeiten, die sich aus unserer DNA ergeben.
Nip: Ja. Die synthetische Biologie will verstehen, was die Biologie tun kann. Dann versucht man, Anwendungen auf der Molekül-Ebene so neu zu ordnen, dass etwas Nützliches daraus entsteht. Ich spreche davon, den Menschen zu modifizieren. Denn letztendlich werden wir nicht mit all den seltsamen Dingen mithalten können, mit denen wir im Weltall fertig werden müssen.

WIRED: Die Evolution ist dazu zu langsam, aber wie löst synthetische Biologie die Probleme von künftigen Marskolonisten?
Nip: Da gibt es ganz viele Möglichkeiten. Der einfachste, nicht-invasive Weg ist es, Bakterien, die wir schon heute nutzen, dazu zu verwenden, Dinge herzustellen, die man braucht. Zum Beispiel Vitamine, Antibiotika oder Impfstoffe.

WIRED: Statt Antibiotika oder Impfstoffe ins Weltall zu transportieren, nimmt man also nur ein Reagenzglas voller Bakterien mit?
Nip: Ja, und dann kann man alles vor Ort herstellen. Eine andere Idee ist, Bakterien zu nutzen, um Sauerstoff für uns zu produzieren. In Filmen tragen Astronauten bisher immer Rucksäcke, die das Lebenserhaltungssystem beinhalten, mit sich herum. Aber was wäre, wenn Menschen Photosynthese betreiben könnten?

WIRED: Wie würde das denn funktionieren?
Nip: Das ist natürlich etwas weit hergeholt. Aber man kann die synthetische Biologie nutzen, um Cyanobakterien, die den Sauerstoff für die Erde produzierten, effektiver zu machen. Daran arbeite ich gerade. Anschließend würden sie dann im direkten Austausch mit unserem Körper stehen. Entweder im Helm, den wir immer bei uns tragen oder aber wir manipulieren unsere Haut dementsprechend. Die Herausforderung bestünde darin, einen Weg zu finden, wie der menschliche Körper mit diesen fremden Bakterien harmonisch zusammenleben kann. Es wird etwas Zeit kosten, das herauszufinden, aber es ist möglich.

Die Technologie selbst ist nicht böse

WIRED: Können Bakterien auch gegen die Strahlung helfen?
Nip: Oh, unbedingt! In Tschernobyl gibt es Pilze, die von Radioaktivität leben. Sie nutzen Melanin – einen Stoff, der in einer ähnlichen Form auch in der menschlichen Haut zu finden ist –, um aus der Strahlung Energie zu machen. Menschen haben diese Art von Melanin nicht und wir wissen auch nicht genau, was die Pilze tun. Aber wenn wir es herausgefunden haben, können wir uns diese Systeme leihen oder auf den Menschen transferieren. Stellen Sie sich vor, wie das wäre: Statt Angst vor Strahlung zu haben, würde sie uns energetisieren. Das würde die Weltraumerkundung deutlich einfacher machen.

WIRED: Müsste man dazu nicht in die DNA von Embryonen eingreifen?
Nip: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wenn man eine Modifikation an die nächste Generation weitergeben möchte, dann muss man das bei Embryonen machen. Aber wenn wir damit anfangen, Astronauten zu helfen, dann denke ich, würde das als Gentherapie beginnen. Dabei nutzt man Viren, um Gensequenzen ganz lokal in bestimmte Zellen zu bringen.

WIRED: Sind Menschen, die so modifiziert wurden, überhaupt noch menschlich?
Nip: Oder sind wir dadurch nicht sogar viel menschlicher? Menschen sind heute hier, weil sie sich angepasst haben. Ist die Möglichkeit, sich zu verändern, sich so zu schützen, nicht auch eine Form der Anpassung? Wir tun das ja nicht mit böswilligen Motiven. Die Technologie selbst ist nicht böse. Sollte daraus Böswilligkeit entstehen, käme sie vom Menschen.

Der Mond wird nicht unser letzter Halt sein und der Mars nur ein Zwischenstopp

WIRED: Es gibt ethische Vorbehalte gegen den Einsatz von Gentechnik am Menschen. Wird sich das Ihrer Meinung nach in Zukunft ändern?
Nip: Absolut. In dem Moment, in dem der erste Mensch Fuß auf den Mars setzt, werden wir realisieren, dass der Mond nicht unser letzter Halt war und auch der Mars nur ein Zwischenstopp ist. Dann wird man sich fragen: Wie können wir länger im Weltraum bleiben und wie weit können wir tatsächlich gehen? Doch wenn wir bemerken, dass der Mensch nicht dazu gemacht ist, sich lange im Weltraum aufzuhalten, wird die Frage nach genetischer Modifikation wieder auftauchen.

WIRED: Ist diese Art der Modifikation denn in den nächsten zehn bis 20 Jahren überhaupt möglich?
Nip: Ich scheue mich, eine konkrete Zahl zu nennen. Aber wenn man beachtet, dass einige chinesische Wissenschaftler begonnen haben, das Erbgut menschlicher Embryonen zu manipulieren, dann kann man sich mit ein bisschen Fantasie ausmalen, was im nächsten Jahrzehnt alles möglich sein wird.

WIRED: Warum beschäftigen Sie sich mit diesem Thema?
Nip: Ich habe mich gefragt: Warum sind wir hier, warum bin ich hier? Verschwende ich meine Zeit? Mache ich etwas, das produktiv für den Planeten ist? Dann habe ich realisiert, dass die Menschheit schon immer auf diesem Planeten gelebt hat, es aber noch so viel gibt, dass sie im Weltall erkunden kann. Aber mit Fragen wie „Sollen wir gehen oder nicht?“ oder „Sollten wir es tun oder nicht?“ schießen wir uns selbst ins Bein. Die Antworten liegen in Reichweite, aber wir nutzen sie nicht, weil es vielleicht nicht richtig wäre.

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