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Diagnose per Selfie & Twitter: Eine App soll dabei helfen, psychische Krankheiten festzustellen

von Moritz Geier
Big Brother is caring for you: Forscher der University of Rochester haben eine Software entwickelt, die den psychischen Gesundheitszustand eines Menschen bestimmen kann. Alles, was das Programm benötigt: ein Selfie-Video und die Tweets des Patienten. 

Es wirkt ein bisschen wie die allgegenwärtigen Teleschirme aus Orwells „1984“, die Andersdenkende für die Gedankenpolizei identifizieren sollen: Der Informatiker Jiebo Luo und sein Team von der University of Rochester haben eine Software entwickelt, die Menschen per Webcam beobachtet. Mögliche ethische Bedenken sind den Forschern durchaus bewusst, das Wort Überwachung kommt in der Präsentation ihrer Studie trotzdem nicht vor. Denn ihr Programm soll keine Oppositionellen entlarven, sondern helfen, psychische Krankheiten zu erkennen.

Die Software kann die Herzfrequenz eines Menschen an der Farbe seiner Stirn erkennen.

Die Informatiker haben untersucht, inwiefern Online-Aktivitäten und physiologische Merkmale von Usern genutzt werden können, um deren psychischen Gesundheitszustand zu erfassen. Die Software nutzt Videoaufzeichnungen von Webcams in PCs, Smartphones oder Tablets, um Gesichtsausdrücke und körperliche Merkmale zu studieren. So gelang es den Forschern zum Beispiel, die Herzfrequenz eines Menschen nur anhand von minimalen Farbänderungen — also stärker oder schwächer werdender Durchblutung — auf seiner Stirn zu bestimmen. Außerdem analysiert das Programm Emotionen, indem es Kopfbewegungen und Lidschlagreflexe untersucht. Auch die Pupille dient zur Analyse, sie weitet sich, wenn Menschen starke Emotionen wie Glück oder Wut empfinden. Gleichzeitig erfasst das Programm, was User auf Twitter posten, was sie lesen und wie schnell sie scrollen, und lässt diese Daten in die Analyse einfließen. 

In einem Experiment wurde die Software an Probanden getestet. Ihnen wurden Tweets präsentiert, die als positiv, negativ und neutral eingestuft wurden. Dabei wurden die Studienteilnehmer durch eine Webcam beobachtet. Die Ergebnisse verglichen die Forscher mit den Selbstbeurteilungen der Probanden und prüften so, ob die User einen Tweet auch wirklich als positiv oder negativ wahrnahmen. Die Kombination beider Ergebnisse nutzen die Informatiker, um ihr Programm zu trainieren. 

Doch die Studie ist erst der Anfang: Den Forschern schwebt eine Android-App vor, mit der sich User über ihre eigenen Emotionsschwankungen informieren können. Luo und sein Team sind überzeugt, dass mit einem größeren Datensatz noch interessantere und genauere Analysen möglich sind. „Die Software hat das Potential, die Gesundheitsfürsorge zu revolutionieren — sowohl die Kosten als auch die Effektivität“, schreiben die Informatiker in der Studie.

Für Psychologen und Mediziner ist die frühe Diagnose psychischer Probleme wie Stress, Depression, Angststörungen oder Gewaltneigungen eine große Herausforderung. Die Forscher argumentieren, dass traditionelle Diagnosemethoden sehr teuer und für die Betroffenen oft zu aufdringlich sind. Ihr Programm würde hingegen nur die Sensoren von Geräten nutzen, die im Alltag der Menschen längst allgegenwärtig seien, und sei deswegen völlig „unaufdringlich“. Oder anders ausgedrückt: Big Brother kümmert sich um dich. 

Die Studie kann hier heruntergeladen werden. 

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