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Chemische Spuren auf dem Smartphone verraten euren Lebensstil

von Anna Schughart
Esst ihr viel Fleisch? Wart ihr letztens zelten? Und welche Medikamente nehmt ihr? Wissenschaftler der University of California können das alles mithilfe eures Smartphones herausfinden – und brauchen dazu nicht mal Zugriff auf die Daten.

Als Sherlock Holmes in der BBC-Serie Sherlock zum ersten Mal auf John Watson trifft, verrät dessen Handy ihm einige private Details über seine neue Bekanntschaft: Watson hat keine große Familie und die Person, die ihm das gebrauchte Mobiltelefon schenkte, hat ein Alkoholproblem und sich vor Kurzem von ihrem Partner getrennt. Nur beim Geschlecht des Vorbesitzers liegt Sherlock falsch. Es ist Watsons Schwester, nicht sein Bruder. Für seine Deduktion muss Sherlock das Handy nicht einmal anschalten. Er sieht ihm alle Hinweise einfach an.

Wenn Pieter Dorrestein und Amina Bouslimani ein Smartphone in die Finger bekommen, können sie sogar noch mehr als Sherlock über dessen Besitzer herausfinden. „Ich kann Ihnen sagen, ob Sie regelmäßig Kartoffeln oder Fleisch essen oder ob Sie sich vegetarisch ernähren. Ich kann Ihnen sagen, wie viele Medikamente Sie nehmen – oder ob sie überhaupt Medikamente nehmen. Ich kann Ihnen sagen, welche Shampoos, Lotions oder Seifen sie nutzen“, sagt Dorrestein zu WIRED. Kurz gesagt: Die beiden Wissenschaftler von der University of California können anhand eures Handys ein Bild von eurem Lebensstil zeichnen. Und auch dafür muss das Gerät nicht einmal eingeschaltet sein.

Alles, was es braucht, ist ein Abstrich

Alles, was es braucht, ist ein Abstrich. Denn: Die chemische Komposition unserer äußersten Hautschicht wird von der Umwelt beeinflusst. Medikamente, Ernährung, Kleidung, Mückenspray – alles hinterlässt chemische Spuren, die teilweise noch Wochen nach der Benutzung nachweisbar sind. Wenn eine Person dann zum Beispiel immer wieder ihr Handy anfasst, bleiben darauf Rückstände. Diese Spurenmoleküle „sind kleine Mengen an Molekülen, die man auf Objekten findet“, sagt Dorrestein. Und sie lassen sich – das haben Bouslimani und er jetzt in ihrer Machbarkeitsstudie gezeigt – mit Massenspektrometrie und der Hilfe von Computern analysieren.

Von 39 Freiwilligen nahmen die Forscher dafür Abstriche. Und zwar – um die Ergebnisse zu vergleichen – sowohl von deren Handys als auch von der Haut. Dorrestein, Bouslimani und ihr Team entschieden sich für Mobiltelefone, weil ein Handy „ein Objekt ist, mit dem wir sehr häufig interagieren und es deshalb viele Möglichkeiten für Hautmoleküle gibt, auf das Telefon zu gelangen“. Theoretisch könnte man aber auch Schlüssel oder andere Alltagsobjekte verwenden.

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Die so gesammelten Moleküle können auf Barcodes heruntergebrochen werden. Jeder Barcode repräsentiert dabei ein Molekül. „Wir vergleichen dann diese Barcodes mit einer Referenzbibliothek, bei der wir die Barcodes den Molekülen zugeordnet haben“, erklärt Dorrestein. Das heißt, wenn die Wissenschaftler den Barcode für Koffein finden, ist die Person wahrscheinlich Kaffee- oder Teetrinker. Findet sich ein Penicillin-Barcode, hatte die Person wohl eine Infektion.

Das liest sich dann in etwa so: Weil beim Handy-Abstrich von der Freiwilligen 1 DEET gefunden wurde, das als Insektenschutzmitteln genutzt wird, ist es wahrscheinlich, dass die Person ein Camper oder Backpacker ist. Und tatsächlich: „Wir bestätigten, dass die Person weiblich ist, Zeit draußen verbringt und tatsächlich zelten war und dabei DEET verwendet hat“, heißt es in dem Paper.

Doch was nutzt diese Erkenntnis? Es ist genau wie bei Sherlock Holmes: Sie kann helfen, Verbrechen aufzuklären. „All diese kleinen Hinweise können einem Ermittler helfen, den Kreis der Verdächtigen einzuschränken“, sagt Dorrestein. Zwar hat die Forensik mit DNA und Fingerabdruck schon zwei sehr gute Hilfsmittel, aber manchmal lässt sich von einem Tatort eben kein verwertbarer Fingerabdruck gewinnen. Oder ein DNA-Profil taucht einfach nicht in der Datenbank auf.

Zu wissen, ob der Verdächtige gerne Kaffee trinkt, teure Beauty-Produkte verwendet oder in letzter Zeit campen war, wird ihn aus einem Pool von Tausenden oder Millionen Verdächtigen nicht zweifelsfrei identifizieren. „Aber angenommen Sie wollen herausfinden, wem von zehn Personen ein Gegenstand gehört, dann könnte das möglich sein“, sagt Dorrestein. Auch um einen sehr großen Verdächtigenkreis einzuschränken oder das Profil eines Serienmörders zu erstellen, könnte die Technik hilfreich sein.

Was passiert, wenn mehrere Menschen den Gegenstand benutzt haben?

Damit das aber möglichst genau funktioniert, müssen die Datenbanken, mit denen die Molekülfunde abgeglichen werden, besser werden. „Zur Zeit gibt es etwa 220.000 Referenzmoleküle, davon sind etwa 20.000 für die Art der Analyse, die wir gemacht haben“, sagt Dorrestein. „Das ist eine sehr kleine Zahl.“ Je mehr Moleküle in den Datenbanken seien, desto besser könnten die Aussagen über eine Person sein.

Auch die Methode selbst muss noch weiter erforscht werden. Unklar ist zum Beispiel, wie häufig ein Gegenstand angefasst werden muss, damit sie überhaupt eingesetzt werden kann. Oder was passiert, wenn mehrere Menschen den Gegenstand benutzt haben.

Mit weiterer Forschung könnten auch mehr Anwendungen dazu kommen. „Um den Medikamentenstoffwechsel oder die Exposition durch Umweltverschmutzung zu überwachen, die Wirkung von Hautschutzprodukten zu verbessern oder zu verstehen, wie Textilien die Gesundheit der Haut beeinflussen“ – die Anwendungen seien vielfältig, sagt Dorrestein.

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