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Beschleunigte Vererbung mit Gene Drive: Unkontrollierbar oder Lebensretter?

von Anna Schughart
Bill Gates ist sicher: Mit dem sogenannten Gene Drive kann die Menschheit den Kampf gegen Malaria gewinnen. Andere hoffen, durch die beschleunigte Vererbung von Genen bedrohte Tierarten vor dem Aussterben zu bewahren. Doch Kritiker warnen: Die Risiken sind nicht klar.

Dem Türkisvogel auf Hawaii läuft die Zeit davon. Sein Problem: Malaria, übertragen von Moskitos. „Wenn sie gestochen werden, sterben sie“, sagt der Biologe Floyd Reed über die Tiere. „In fünf Jahren wird eine weitere Vogelspezies aussterben.“

Reed möchte das verhindern, in dem er die Moskitos ausrottet: das Leben einer Spezies für das Leben einer anderen. Und weil die Zeit drängt, setzt Reed dazu momentan auf die Hilfe von Bakterien, die die Fortpflanzung der Moskitos verhindern sollen. Auf Dauer will Reed allerdings eine langfristig wirksame Lösung. Und er hat sie auch schon gefunden: den Gene Drive.

Normalerweise erhält ein Nachkomme ein bestimmtes Gen von seinen Eltern mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Mit dem Gene Drive erhöht sich diese Wahrscheinlichkeit deutlich. So deutlich, dass man damit etwa – ein paar Generationen später – eine ganze Spezies ausgerottet haben kann. Wissenschaftler modifizieren dazu die DNA von Lebewesen, zum Beispiel, indem sie ein Gen einfügen, das die Weibchen davon abhält, sich fortzupflanzen. Und sorgen dann dafür, dass dieses Gen mit einer fast hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit weitervererbt wird.

Gene Drive ist eigentlich nichts Neues und genau genommen verbergen sich dahinter verschiedene Techniken. Doch seit die „Genschere“ CRISPR/Cas das Verändern von Genen so viel einfacher gemacht hat, wird die Methode wieder heiß diskutiert. Manche würden es gerne zum Artenschutz einsetzen, so wie Reed. Andere träumen davon, mit Hilfe des Gene Drive Krankheiten für immer zu besiegen: Bill Gates will mithilfe der Methode Malaria bekämpfen – und das schon in zwei Jahren.

Selbst wenn Gene Drive so funktionieren würde, wie sich Gentechniker das vorstellen, lässt sich damit immer noch viel Unfug anstellen

Angelika Hilbeck, Biologin an der ETH Zürich

Doch nicht alle sind so optimistisch, wenn es um Gene Drive geht. Auf dem World Conservation Congress, Anfang September, riefen Mitglieder des International Union for Conservation of Nature (IUCN) dazu auf, die Gene-Drive-Forschung und vor allem jegliche Feldversuche in diesem Bereich auszusetzen, bis bessere Regeln aufgestellt seien.

Angelika Hilbeck gehört zu den Unterzeichnern eines entsprechenden offenen Briefs. Die Biologin arbeitet am Institut für Integrative Biologie an der ETH Zürich und hat sich schon öfter kritisch zur „geläufigen“ Gentechnik (zum Beispiel gentechnisch verändertem Mais) geäußert. Jetzt sagt sie: „Ich halte die Risiken, die Gene Drive mit sich bringt, für völlig unzureichend abgeklärt.“

Gene Drive sei schlicht nicht anwendungsreif, denn es fuße auf einer veralteten Vorstellung von DNA. „In unseren Experimenten funktionieren Gene nicht wie eine Bauanleitung“, sagt Hilbeck. Die Idee, dass mehr Präzession beim Ausschneiden und Einbauen (wie durch CRISPR/Cas) zu mehr Kontrolle führe, hält sie für naiv. „Selbst wenn Gene Drive so funktionieren würde, wie sich Gentechniker das vorstellen, lässt sich damit immer noch genauso viel Unfug anstellen.“

Mit dieser Befürchtung ist Hilbeck selbst unter Gene-Drive-Befürwortern nicht allein. „Ja, die Technik kann funktionieren. Vielleicht nicht so perfekt, wie manche es behaupten. Aber sie kann potenziell so gut funktionieren, dass ich besorgt darüber bin, wie sie verwendet werden könnte“, sagt auch Floyd Reed. „Die Frage ist: Wie reguliert man die Anwendungen? Das ist wie bei der Nukleartechnik, man will ja auch nicht, dass die Menschen einfach nukleare Waffen bauen und deshalb gibt es Regeln und Gesetze dafür.“

Doch auch wenn man bei Gene Drive nicht gleich an Waffen denkt, sind die Risiken offensichtlich. Eine genetische Modifikation sollte sich etwa niemals unkontrolliert über den Globus verbreiten. „Wir machen exzellente Fortschritte in der wissenschaftlichen Erforschung und bei den Schutzmaßnahmen“, sagt Kevin Esvelt, Biochemiker am MIT. Viele Forscher würden allerdings nicht verstehen, wie problematisch Feldversuche mit den Drives werden können, etwa wenn sich ein modifiziertes Gen auf einmal verselbständige.

Esvelt gehört zu den Pionieren des CRISPR/Cas-Gene-Drives. Trotzdem ist er vorsichtig, die Menschen hätten zu viel Angst vor den Genen, sagt er. „Der Verlust an öffentlicher Unterstützung könnte dazu führen, dass alle möglichen Anwendungen um mindestens ein Jahrzehnt zurückgeworfen werden“, sagt Esvelt, „Malaria und Parasiten-Epidemien zu beenden, ist ein ethischer Imperativ. Aber Eile ist es sicher nicht wert, eine zehn Jahre lange Verspätung zu riskieren“, sagt Esvelt.

Welche Konsequenzen hat für ein Ökosystem, wenn eine Spezies plötzlich ausgerottet wird?

Außerdem wisse man noch viel zu wenig über die Komplexität von Ökosystemen, um die Folgen eines Eingriffs abzuschätzen – ob mit Gene Drive oder nicht. Welche Konsequenzen hätte es zum Beispiel für ein Ökosystem, wenn eine Spezies plötzlich ausgerottet wird?

Floyd Reed dagegen glaubt, den bedrohten Türkisvögeln auf Hawaii zumindest ein bisschen Zeit verschaffen zu können. So viel, bis sie selbst Schutzmaßnahmen entwickelt haben. Und er betont: Gene Drive ist nicht gleich Gene Drive. Reed arbeitet nicht mit CRISPR/Cas, sondern an einem Gene Drive-System, namens Underdominance.

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Reed, im Hawaiihemd und mit vollem Bart, stützt seinen Ellenbogen auf den Schreibtisch, die Hand flach nach oben ausgestreckt wie ein Uhrzeiger, um zu verdeutlichen, wie Underdominance funktioniert: Wenn zu wenig Moskitos mit einer genetischen Modifikation vorhanden sind – Reeds Unterarm bleibt senkrecht auf dem Tisch – dann passiert nichts. Aber wenn eine gewisse Schwelle überschritten wird, dann kippt das System – Reed legt den Unterarm flach auf den Tisch – und zwar auf 100 Prozent.

„Wenn die Modifikation auf eine andere Insel gelangen sollte, hätte sie da keine Chance, weil sie dort selten ist und sich nicht durchsetzen könnte“, sagt Reed. Und nicht nur, dass diese Art des Gene Drive lokal beschränkt sei – sie sei auch reversibel: Man müsse dazu einfach nur genügend Moskitos ohne genetische Modifikation in die Wildnis entlassen. „Im Labor haben wir bisher gute Fortschritte gemacht, aber es wird noch Jahre dauern, bis wir Moskitos haben, die wir frei lassen können“, sagt Reed. Zur Zeit fehle es an Forschungsgeldern.

Kevin Esvelt hingegen plädiert dafür, Gene-Drive-Evolution erst mal in sicheren Laboren zu studieren, „weil wir keine Erfahrung damit haben, Systeme zu schaffen, die sich dann außerhalb unserer Kontrolle entwickeln.“ Dabei sei es extrem wichtig, diese Forschung nicht hinter verschlossenen Türen zu halten. „Das ist unethisch, weil es den Menschen bei Entscheidungen, die sie betreffen, ein Mitspracherecht verwehrt.“

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