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Fressen uns Bakterien und Raupen bald den Plastikmüll weg?

von Anna Schughart
Plastik verschmutzt unsere Umwelt, besonders die Meere. Doch immer häufiger finden Forscher kleine Lebewesen, die Kunststoffe verdauen können. Sind sie die Lösung für unser Müllproblem?

Plastik ist zäh. Eine weggeworfene PET-Flasche kann Jahrzehnte im Straßengraben liegen, ohne dass sie zerfällt. In Deutschland sammelt man deshalb den Plastikmüll, recycelt ihn so gut wie möglich oder verbrennt ihn. Wenn der Kunststoff aber einfach auf Deponien gekippt wird oder im Wald landet, passiert nicht viel – außer dass der Müll zunehmend zum Problem wird. Während weggeworfene Bananenschalen verwittern, sich kleinste Lebewesen darüber hermachen, werden PET, PE und andere Kunststoffe von Mikroorganismen verschmäht. Zumindest dachte man das lange. (Lesen Sie auch: Endlich! Forscher entwickeln Super-Enzym, das Plastik auffrisst)

Inzwischen aber finden Wissenschaftler immer häufiger kleine Lebewesen, die Plastik essen. Sie können Kunststoff abbauen, in seine Bestandteile zerlegen und zum Wachstum nutzen. 2015 zum Beispiel entdeckten japanische Wissenschaftler Ideonella sakaiensis auf einer Mülldeponie. Das Bakterium kann PET (der Stoff, aus dem unter anderem Trinkflaschen gemacht werden) verwerten, das heißt: sich davon ernähren. Es hat sich durch Evolution an die Bedingungen einer von Menschen beherrschten Welt angepasst.


Wenn die Larven Polyethlyen tatsächlich in seine Grundbestandteile zerlegen, dann wäre das eine mittelgroße Sensation

Lars Blank, RWTH Aachen

Und auch die Larven der Wachsmotte können wohl Plastik abbauen. In einer Studie, die diese Woche erschienen ist, berichtet die Biologin Federica Bertocchini von ihrer zufälligen Beobachtung: Beim Säubern eines Bienenstocks warf sie Larven in eine Plastiktüte. Einige Zeit später hatten sie große Löcher in die Tüte gefressen.

„Wenn die Larven Polyethlyen tatsächlich in seine Grundbestandteile zerlegen und als Nahrung verwenden können und es nicht einfach nur zerkleinern und ausscheiden, dann wäre das eine mittelgroße Sensation“, sagt Lars Blank von der RWTH Aachen. Denn Polyethlyen (PE) ist wegen seines Kohlenstoffrückgrats extrem stabil und schwer abzubauen. Gleichzeitig kommt es viel häufiger vor als zum Beispiel PET.

Bakterien fressen also den Plastikmüll, die Ozeane werden wieder sauber – Problem gelöst? Nicht wirklich, aber die sogenannte Bio-Degradation könnte trotzdem eine große Hilfe sein. Nicht, indem man Wachsmottenlarven auf Mülldeponie aussetzt oder Bakterien ins Meer kippt, sondern dadurch, dass man versteht, wie sie funktionieren. Im Verdauungstrakt der Wachsmottenlarven gibt es wahrscheinlich Bakterien, beziehungsweise deren Enzyme, die Plastik abbauen können. Auch Bakterien wie Ideonella sakaiensis nutzen Enzyme, um die Polymere aufzuspalten.


„Dieses Wissen kann man biotechnologisch nutzen“, sagt Uwe Bornscheuer von der Uni Greifswald. Indem man die richtigen Enzyme herstellt oder – und das ist deutlich interessanter – gentechnisch veränderte Mikroorganismen, die sie produzieren. Dann kann man die Stoffwechselvorgänge der Bakterien so anpassen, dass man die Abbauprodukte isolieren und verwenden kann – so ähnlich wie es zum Beispiel in der Insulinproduktion funktioniert.

Blank arbeitet derzeit mit Bakterien, die PET in Bio-Plastik umwandeln können. Dazu wird das Plastik zerkleinert, aus den langen Polymerketten werden wieder kurze Monomere. „Die verfüttern wir dann an die Bakterien“, sagt er. Und die Bakterien stellen daraus Bio-Plastik her. Um da ranzukommen, muss man die Bakterien auflösen und das Bioplastik dann extrahieren. Blank und sein Team arbeiten derzeit daran „dass sich das Bakterium, wenn es randvoll ist, selbst zerlegt“. Noch praktischer wäre es, wenn die Bakterien den Bio-Kunststoff in kleinen Plastikeiern ausscheiden und weiter leben und fressen würden. „Bisher sind wir da aber noch nicht so erfolgreich.“


Bakterien kümmert es nicht, ob ein Kunststoff verdreckt ist

Diesen Ansatz, aus Plastikabfall Wertstoffe zu machen, sagt Blank, könne man auch auf andere Kunststoffe übertragen. Wenn die Wachsmottenlarve also zum Beispiel tatsächlich Enzyme produziert, die PE abbauen, dann könnte man diese Eiweiße „eins zu eins anwenden“. Der Vorteil: Die Bakterien kümmert es nicht, ob ein Kunststoff verdreckt ist – für andere Recycling Methoden ist das dagegen ein Problem. Auch mit Mischplastik kämen Bakterien besser zurecht, sagt Blank. Für Bornscheuer gewinnen die biotechnologischen Verfahren gegenüber den chemischen dadurch, dass sie umweltfreundlicher sind.

Aber um das Plastikmüllproblem zu lösen, wird das nicht reichen. „Wir brauchen erst mal eine gute Logistik“, sagt Blank. Heißt: Wenn niemand den Müll sammelt, kann man ihn auch nicht verwerten. Doch die Bedeutung von biologischen Verfahren wird weiter zunehmen, ist sich Bornscheuer sicher. Denn es gibt wohl noch mehr Mikroorganismen, die Kunststoffe verdauen können. „Man muss sie nur finden“, sagt der Professor.


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