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Wie baut man ein Archiv für die Ewigkeit?

von Anna Schughart
Globale Saatgutspeicher, Lager für Atommüll oder Archive des menschlichen Wissens – manche Gebäude sollen Jahrhunderte überdauern. Aber wie plant man einen Ort, dessen Schicksal niemand kennt?

In einem Bunker, tief im arktischen Eis, soll das Saatgut der Welt sicher vor allen Gefahren sein. Im Global Seed Vault auf Spitzbergen lagern die Samen von mehr als 930.000 verschiedene Sorten Nutzpflanzen. Doch vor ein paar Wochen berichtete der Guardian, dass der Global Seed Vault im Oktober geflutet worden sei. „Durch das extreme Wetter mit Regen ist viel Wasser in den Eingang des Tunnels, der zu dem Seed Vault führt, eingedrungen“, bestätigt Hege Njaa Aschim, Sprecherin der norwegischen Regierungsbehörde Statsbygg. Das Wasser sei etwa 15 Meter weit in den Tunnel hineingelaufen. „Das ist vorher noch nie passiert.“

Allerdings ist schon öfter Wasser in den Tunnel eingedrungen. Schuld daran ist der Permafrostboden, der bei warmem Wetter taut. Wird der Seed Vault, der das Saatgut doch vor dem Klimawandel und anderen Gefahren schützen sollte, also selbst zu einem Opfer der steigenden Temperaturen? In Gefahr waren die Samenproben bisher noch nie – auch nicht im Oktober. Trotzdem haben die verschiedenen Organisationen, die für den Global Seed Vault verantwortlich sind, bis 2018 Umbaumaßnahmen angekündigt. Sicher ist sicher.

Hätte man das nicht vorher wissen können? Hat niemand bei der Planung des Seed Vaults bedacht, welche Schäden der Klimawandel am Bunker selbst anrichten könnte? „Es gab keinen Anlass, am Permafrost zu zweifeln, als der Seed Vault geplant wurde“, erklärt Aschim.

Kann man sicher sein, dass unsere Nachkommen einen Totenkopf als Warnzeichen verstehen?

Ob Saatbunker, Atommülllager oder ein Archiv des menschlichen Wissens: Wie plant man einen Ort, dessen Zukunft man nicht kennt? Von dem man nicht weiß, welcher Gefahr er vielleicht eines Tages trotzen muss. Und wie vermittelt man den Menschen der Zukunft, was dort lagert? Kann man sicher sein, dass unsere Nachkommen, wenn sie in 500 Jahren vor einem Fass mit Atommüll stehen, einen Totenkopf als Warnzeichen verstehen? Oder, dass in einem Fass das kulturelle Gedächtnis einer ganzen – vielleicht bereits untergegangenen – Nation lagert?

Diese Fragen beschäftigen auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Das BBK ist für den Zentralen Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland (auch Barbarastollen genannt) verantwortlich. Dort soll das kulturelle Gedächtnis Deutschlands für die nächsten 500 Jahre (und vielleicht auch darüber hinaus) gesichert werden –  „vor äußeren Einflüssen, die wir nicht kennen“, sagt BBK-Sprecherin Marianne Suntrup.

Im Barbarastollen, tief im Schauinsland bei Freiburg im Breisgau, lagern 1500 Stahlfässer. Darin befinden sich jeweils 21 Kilometer Mikrofilme, auf die wichtige, einmalige Dokumente der deutschen Geschichte gespeichert sind – insgesamt bereits rund eine Milliarde Aufnahmen. Die Baupläne des Kölner Doms sind darunter, die Krönungsurkunde Ottos des Großen oder auch die Goldene Bulle. „Die Gedanken, wie wir unseren Nachfahren vermitteln, was im Barbarastollen liegt, sind noch nicht zu Ende gedacht“, sagt Suntrup. „Bisher versuchen wir, möglichst wenig auf die Fässer zu schreiben.“

Um die Mikrofilme zu lesen, braucht man nur Licht und vielleicht eine Lupe. Sie haben eine höhere Lebensdauer als digitale Speichermedien und ihre Abspielgeräte. Gefährlich werden können ihnen nur Schmutz, Feuchtigkeit und Temperaturschwankungen. Deshalb sind die Rollen luftdicht in rostfreien Stahlfässern verschlossen, im Stollen herrschen fast durchgängig zehn Grad Celsius. Bleibt noch das Risiko einer mechanische Zerstörung.

Wie auch beim Global Seed Vault oder anderen auf Langlebigkeit ausgelegten Orten musste man sich bei der Einrichtung des Zentralen Bergungsorts fragen: Was könnte dem Stollen und seinem Inhalt in der Zukunft gefährlich werden?

Ein Ziel war von Anfang an klar: Der Zentrale Bergungsort sollte das kulturelle Gedächtnis Deutschlands im Falle eines Krieges oder Konflikts schützen. 1954 unterschrieb die BRD die Hager-Konvention, erklärt Suntrup, und verpflichtete sich damit, ihr Kulturgut schon in Friedenszeiten zu sichern. Vor dem Stolleneingang hängen deshalb drei blau-weiße Kennzeichen. Sie sind das beste Mittel, das die Dokumente gegen willentliche Zerstörung haben, denn sie weisen den Stollen als besonders schutzwürdig aus. Soldaten dürfen sich ihm nicht nähern, Flugzeuge ihn nicht überfliegen. Doch nur, weil der Stollen eine Absicherung gegen den Verlust von wichtigen Originalen bei Konflikten sein soll, heißt das nicht, dass, „was dort im Kriegsfall sicher ist, nicht auch vor Naturkatastrophen und anderen Sachen sicher sein kann“, sagt Suntrup.

Das einzige Mal, als der Bewegungsmelder Alarm schlug, hatte sich eine Maus verirrt

Bei einem Erdbeben, sagt Suntrup, würde wahrscheinlich der ganze Berg wackeln, nicht aber der Schacht einstürzen. Die Druckwelle einer Explosion sollte durch die besondere Konstruktion des Schachts keinen Schaden anrichten. Und ein Feuer? „Im Stollen gibt es eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit und eigentlich kein brennbares Material.“ Einmal am Tag schaut ein Wachdienst vorbei, einmal in der Woche wird das Innere des Stollens kontrolliert. Bisher hat noch niemand versucht, einzubrechen. Das einzige Mal, als der Bewegungsmelder Alarm schlug, hatte sich eine Maus verirrt.

Und trotzdem, wenn man über einen Zeitraum von 500 Jahren spricht, kann man sich Hunderte andere Katastrophenszenarien ausdenken, die für die Zerstörung des Zentralen Bergungsorts sorgen könnten. „Das wird schnell spekulativ“, sagt Suntrup. Heute könne man nicht viel tun, außer den Zustand der Mikrofilme und des Stollens regelmäßig zu kontrollieren. „Im Idealfall machen das unsere Nachfolger auch so“, sagt Suntrup, „so dass dann vielleicht auffällt, wenn die Qualität nicht mehr so gut ist.“

Die größte Gefahr für all diese Bauwerke ist aber vielleicht auch gar nicht die Zerstörung durch Katastrophen oder Krieg, sondern schlichtes Desinteresse. Vielleicht beschließen unsere Nachkommen, dass Orte wie der Barbarastollen zu teuer sind. Das Archiv könnte einfach in Vergessenheit geraten. „Dann müsste man darauf hoffen, dass es irgendwann jemand findet“, sagt Suntrup. „Aber das liegt nicht in unserer Hand.“

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