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re:publica 15 / Der Verkehr der Zukunft orientiert sich am größten Virus der Welt

von Liske Jaax
Arndt Pechstein stellt auf der re:publica 15 den weltweit ersten Versuch vor, autonomes Fahren nachhaltig in den Stadtverkehr einzubinden. Die Technologie dahinter beruht auf Biomimikry: Von Nervenzellen und dem größten Virus der Welt kopieren er und sein Forschungsteam effiziente Transportmechanismen. Das Projekt könnte innerhalb von fünf bis zehn Jahren realisiert werden. Und zwar in Berlin am Flughafen Tegel. Wie das genau aussehen soll, erklärt Arndt Pechstein im WIRED-Interview.

WIRED: Herr Pechstein, Sie forschen zu Biomimikry, also dem Übertragen von Phänomenen der Natur auf die Technik. Ist das nicht das gleiche wie Bionik und wird schon seit Jahrhunderten erforscht?
Arndt Pechstein:
Der Ansatz ist tatsächlich nicht neu und ist in Deutschland als Bionik bekannt. Biomimikry geht aber darüber hinaus. Während in der Bionik oft nur geschaut wird, welche einzelnen Ideen man aus der Natur kopieren könnte, versucht Biomimikry das ganze System dahinter einzubeziehen. Wenn man das System komplett nachempfindet, so wie es in der Natur besteht, dann ist es automatisch nachhaltig, weil die Natur immer versucht, Abläufe so energieeffizient wie möglich zu halten. Der Nachhaltigkeitsgedanke ist deshalb für Biomimikry zentral.

Die Autos der Zukunft sollen nach dem Vorbild von Nervenzellen verschiedene Transportwege, also Straßen und Schienen, nutzen können.

Arndt Pechstein

WIRED: Sie beschäftigen sich vor allem mit der Entwicklung von Future Cities. Für welche Stadt entwickeln Sie ein aktuelles Biomimikry-Projekt? Pechstein: Für Berlin! Im Rahmen der Audi Urban Future Initiative haben wir eine auf Biomimikry basierende Vision für die Hauptstadt im Jahr 2050 entwickelt, um langfristig wieder mehr Raum in der Stadt zurückzugewinnen. Für Audi haben wir beim Auto angefangen: PKWs in Berlin sind derzeit nur zu fünf Prozent ausgelastet, die meiste Zeit stehen sie rum und nehmen wertvollen Platz weg. Und wenn sie gefahren werden, dann sitzen im Schnitt keine zwei Personen im Auto. Fahrzeuge sollten also kleiner werden und öffentlich nutzbar. Unsere Lösung sind autonom fahrende Module für jeweils ein, bis zwei Personen. Wollen noch mehr Personen in die gleiche Richtung, können auch mehrere Module gekoppelt werden.


WIRED: Was haben Sie bei diesem Projekt von der Natur kopiert?Pechstein: Unser Vorbild für die Autos war das größte Virus der Welt, das Mimi-Virus. Das Virus besteht aus 21 gleichseitigen Dreiecken und gibt DNA frei, in dem es fünf Dreiecke öffnet. Das ist ein super stabiles, modulares Gebilde mit einer 3D-Struktur. Auf der Systemebene haben wir uns an Nervenzellen orientiert. Die Autos sollen omnidirektional sein, also auch verschiedene Wege wie Straßen und Schienen nutzen können. Das können Nervenzellen auch, sie organisieren immerhin den effizientesten Transport in unserem Körper. Durch kleine Bahnen bewegen sich motorisierte Teilchen, die aber nicht fest an ihren Motor gebunden sind und sich so im Körper auf immer andere Transportmittel setzen. Die logische Konsequenz für unser Projekt war also, Fahrkabinen und den motorisierten Untersatz so zu designen, dass man sie voneinander trennen kann, damit sie an bestimmten Stationen von Schienen zu Straßen wechseln können und umgekehrt.


WIRED: Müsste man dazu nicht ganz Berlin umbauen? Das würde ja dem Nachhaltigkeitsgedanken entgegenwirken.
Pechstein:
Deshalb ist der Biomimikry-Gedanke, das Konzept in die bestehende Stadt einzupassen. Straßen gibt es natürlich und beim Schienenverkehr haben wir an alte, ungenutzte U-Bahn-Tunnel gedacht. Zwei Drittel der Autos in Berlin fahren Strecken, die länger als drei Kilometer sind. Diesen Verkehr könnte man teilweise unterirdisch führen und die Strecken unter drei Kilometern Länge könnten oberhalb der Stadt auf den Straßen verlaufen. So könnte man auch wieder mehr Grünflächen in die Stadt zurückholen, indem man mehr Platz an der Oberfläche schafft.

WIRED: Ist das alles noch Utopie oder arbeiten Sie schon an der Umsetzung des Projekts?
Pechstein:
Wir haben an einer konkreten Fallstudie gearbeitet, unser Projekt soll am Flughafen Tegel umgesetzt werden, um das stillgelegte Gelände wieder an den öffentlichen Verkehr anzubinden. Wir haben das Projekt Ende 2014 vorgestellt, derzeit sprechen wir mit der Urban Tech Berlin Tegel und der Stadt Berlin statt, die sich für das Projekt interessieren. Die größte Herausforderung ist natürlich, einen Investor zu finden. So wie die Biomimikry-Projekte systemübergreifend geplant sind, brauchen wir auch multiple Stakeholder – nicht nur eine einzelne Stadt oder einen Automobilkonzern.
Auf dem Flughafengelände Berlin Tegel könnte man bereits das automatisierte Fahren testen mit Autos Stoßstange an Stoßstange an und die Hälfte der Trasse, ähnlich wie bei der Highline in New York mit Unterhaltung und Cafés verbinden. Das wäre innerhalb von fünf bis zehn Jahren machbar, mit einer überschaubaren Menge an Investitionen. Die Technologie der Autos gibt es bereits und die Trasse auch. Jetzt müssen wir noch verschiedene Akteure zusammenbringen, die gemeinsam in das Projekt investieren.

Der Talk zum Thema:

Arndt Pechstein stellt sein Modell der Future City nach dem Biomimikry-Modell  in seinem Talk Biomimicry: Design for future cities am Mittwoch vor. 

 

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