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Den Hype um Pokémon Go hätte ein anderes Spiel verdient

von Michael Förtsch
Gefühlt spielt die ganze Welt gerade Pokémon Go. Aber nicht, weil es ein revolutionäres Game ist oder die Leute von der Spielmechanik begeistert wären. Sondern nur, weil „Pokémon“ draufsteht. Unseren Autor Michael Förtsch ärgert das.

Der Hype, den Pokémon Go seit seinem Start auslöst, ist schon der Wahnsinn. In den letzten Tagen habe ich Dutzende Menschen dabei beobachtet, wie sie mit starrem Blick aufs Smartphone durch Parks und Gassen torkeln. Allesamt waren sie auf der Jagd nach den virtuellen Taschenmonstern, aus ihren Telefonen piepte der treibende Pokémon-Soundtrack und ging mir binnen Minuten auf die Nerven. Ihre Fortbewegung, verräterisch: Laufen, stehen bleiben, umdrehen und, ach... da ist eins!

Ich selbst? Natürlich habe ich Pokémon Go angetestet und bei einigen Radtouren Rattfratz, Schiggy, Taubsi und andere gefangen, Pokéstops entdeckt und Arenen ausgekundschaftet. Das Spielprinzip und die Technik sind genial. Aber begeistern konnte mich die Taschenmonster-Jagd letztlich trotzdem nicht. Ich war nie ein Pokémon-Fan, muss ich zugeben, mir mag sich der Reiz der Knufftierchen einfach nicht erschließen. Stattdessen brachte mich das Outdoor-Mobile-Game von Niantic zurück zu Ingress – jenem Game, das den Hype, den Pokémon Go gerade erlebt, eigentlich verdient gehabt hätte.


Innovation und frische Ideen? Nur wenn sie in vertrauter Verpackung daherkommen

Tatsächlich macht mich der Erfolg von Pokémon Go fast sauer. Denn tatsächlich verbirgt sich hinter der Minimonster-Fangerei nichts weiter als ein beschnittenes und in vielen Aspekten eingedampftes Ingress. Natürlich ist das polemisch – aber unbestreitbar auch wahr. Hinter beiden Games steht die gleiche Entwicklerfirma, Niantic, die einst als internes Startup von Google begann. Deren erstes Spiel Ingress habe ich seinerzeit 2012 begeistert gespielt.

Die Kernmechaniken sind nahezu dieselben wie bei Pokémon Go. Auch bei Ingress bewegt man sich durch die reale Welt. Statt Pokemon werden dabei sogenannte XM-Energien gesammelt. Statt Pokéstops und Arenen gibt es Portale (an exakt denselben Stellen, denn viele Standorte für Pokémon Go wurden einst von Ingress-Spielern vorgeschlagen). Diese können angegriffen, eingenommen, verteidigt und gehackt werden. Wobei sie statt Pokébällen Resonatoren, Portal-Schlüssel und Waffen ausspucken. Außerdem existieren auch in Ingress konkurrierende Teams, Level-Ups und zahlreiche weitere Gemeinsamkeiten mit Pokémon Go.

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Letztlich ist Pokémon Go also nur ein perfektes Beispiel für gelungenes Product Rebranding. Zwar fand auch Ingress etliche Spieler und hat bis heute eine aktive Community. Doch erst mit der teils recht plumpen Pokémon-Kosmetik ist es plötzlich ein Welterfolg. Warum? Weil das seinerzeit neue, spannende und originelle Story-Universum um mysteriöse Mächte und einen geheimen Krieg, das Niantic für Ingress erdachte, einfach nicht gefällig und bekannt genug war.

Ebenso wie das vor vier Jahren so intelligente und innovative Spielkonzept. Aber wenn Pokémons vorkommen? Da ist die Aufmerksamkeit plötzlich groß und die Bereitschaft vorhanden, das „Neue“ auszuprobieren. Wir behaupten alle gern, wir wollen Innovation und frische Ideen – aber wohl nur, wenn sie in einer vertrauten Verpackung daherkommen. Deswegen wird statt Genrepionieren wie Ingress oder dem fast vergessenen Shadow Cities nun eben Pokémon Go gefeiert.


Der Hype sendet eine fragwürdige Botschaft an Spielemacher

Dieser Hype sendet eine sehr fragwürdige Botschaft an Entwickler und Spielemacher: dass gute Ideen und eine tolle Story letztlich vollkommen bedeutungslos sind. Jedenfalls so lange sich nicht irgendein großer Name findet, der sich draufkleben lässt. Dadurch wird es auch im Spielesektor bald so aussehen wie seit Jahren schon im Kino: Statt origineller Titel mit ungekannten Welten und spannenden Charakteren gibt es immer mehr Filme, die allzu vertraute Namen mit Zahlen, Untertiteln oder ein Marvel's in der Titelzeile tragen.

So wird die Nische des Neuen immer schmaler und weniger sichtbar. Und was gesehen wird, wird immer schneller von Marken, Franchises und Medienkonzernen vereinnahmt. Andererseits werden auf diese Weise riskante Konzepte auf diese Weise oft erst finanzierbar oder bekommen eine Bühne, die sie sich sonst hart hätten erkämpfen müssen. Pokémon Go ist somit ein sehr zwiespältiger Hit für das Mobile-Gaming. Aber letztlich ist es ja vielleicht auch einfach nur so: Ob nun Ingress oder Pokémon Go, wenigstens gehen die Leute mal wieder raus!


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