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Ein Mann, seine Gasballons und der Weltraum

von Max Biederbeck
Für den Ingenieur José Mariano López-Urdiales sind Trägerraketen eine „Dinosaurier-Technologie“. Deshalb hat er ein Unternehmen gegründet, das einen völlig anderen Ansatz verfolgt: Die Raumfahrt der Zukunft soll mit Ballons funktionieren.

Der Skype-Anruf hallt aus einer lauten Flughafenhalle. José Mariano López-Urdiales will keine Video-Verbindung, er dürfe auf keinen Fall die Anzeige aus den Augen verlieren. Sein Boarding zu verpassen, das wäre für ihn eine Katastrophe. Fehler gehen im Moment nicht. Gerade ist der Ingenieur auf dem Weg nach Paris zur European Space Agency (ESA). „Das sind echt aufregende Zeiten“, brüllt er durch den Hörer seines Smartphones. Im ESA-Hauptquartier wird López-Urdiales über seinen Beitrag zur „ExoMars“-Mission verhandeln. Um viel heiße Luft.

Es geht um nicht weniger, als die Suche nach Leben auf dem Roten Planeten — und die Technologie des gebürtigen Spaniers könnte entscheidend dazu beitragen. Nur einen Tag später wird er sie auf der WIRED-Mobility-Konferenz in Berlin vorstellen. Eine Idee, die ihn schon sein ganzes Leben lang verfolgt, die in den 50ern eine Hochphase erlebte, dann wieder verschwand und jetzt für die neuen Bedürfnisse der Raumfahrtbehörden unverzichtbar wird: López-Urdiales Unternehmen Zero2infinity kann den Orbit eines Planeten per Ballon verlassen.

Schon sein Vater entwickelte die ersten so genannten High-Altitude-Balloons mit. López-Urdiales selbst war damals noch ein kleiner Knirps. Er besuchte regelmäßig das Militär-Testgelände in de Nähe der spanischen Kleinstadt León. „Die Forscher hatten damals die Idee, Proben auf der Venus zu sammeln und sie zur Erde zu bringen, das wäre nur mit einem Ballon möglich gewesen“, erzählt er. Es ging dabei nicht darum mit einem Ballon-Raumschiff von der Erde zur Venus zu fliegen, sondern landende Sonnen vom Planeten wieder zurückzuholen. Die Regel waren solche Gedankenspiele noch nicht. Hauptsächlich stiegen primitive Messinstrumente per Ballon in die Luft.

Sie überprüften die Atmosphäre, Wetter-Bedingungen und Ozon-Werte. Aber für López-Urdiales Vater ging es als Astronom schon damals um die Sterne. „Ich sah als Kind dabei zu, wie die Ballons für Tests von Landesystemen in die Luft stiegen, die für den Saturnmond Titan gedacht waren. Für Fallschirme, die auch Astronauten wieder sicher auf die Erde bringen sollten“, erinnert sich der Spanier. Und dann verschwand die Technologie wieder.

Viele vergessen, dass die Raumfahrt hauptsächlich militärischen Ursprung hat, alles Zivile ist „Kollateralschaden“, wie López-Urdiales sagt. Die Vorbilder des Hubble-Teleskops kommen vom Militär, genauso wie dessen Nachfolger. Und das Militär bestellte schon damals vor allem eins, große teure Spionage-Satelliten für den Orbit — zu schwer für einen Luftballon. Stattdessen begannen die Raumfahrtzentren damit, die Ariane-Raketen zu nutzen. Die Starts aus Rauch und Feuer werden über Jahrzehnte eines der bekanntesten Fernsehbilder der Welt sein. Aber mit Satelliten verhält es sich wie mit Computern. Sie werden leistungsfähiger, schneller — und kleiner.

Mit dem Aufkommen von so genannten Nano-Satelliten und der beginnenden Privatisierung der Raumfahrt sah auch López-Urdiales seine Chance gekommen. Nanosatelliten wiegen maximal zehn Kilogramm und werden vor allem in Schwärmen eingesetzt. Sie sind ideal für den Datenhunger von Unternehmen wie Google oder Facebook. „Ein Großteil des Wachstums kommt von Firmen, die Daten verkaufen wollen“, erklärt Florian Deconinck vom unabhängigen britischen Institut Staellite Applications Catapult. Sie sind kleiner, leichter und günstiger — allein in den vergangenen drei Jahren wurden 250 dieser Mini-Satelliten ins All geschossen.

Außerdem mischten Elon Musk mit seinem SpaceX-Programm und Jeff Bezos mit Blue Origin einen lange festgefahrenen Markt mit wenigen Anbietern auf. MIT-Absolvent López-Urdiales arbeitete selbst lange für ESA und Boeing. „Alles dauerte mir zu lange, denn der Raumfahrtmarkt war innovationsfeindlich“, sagt er. Das lag an der kleinen Anzahl an Anbietern auf der einen Seite und den Kunden auf der anderen: Regierungen. Aber das ändere sich jetzt. Für ihn ist das Zeitalter der wettbewerbsfähigen Raumfahrt angebrochen.

„Wir sind in Vertragsverhandlungen über 230 Millionen Dollar“, sagt López-Urdiales. Alle Kunden seien Privatunternehmen. Mit seiner Firma ist er auf eben jenes Testgelände gezogen, auf dem auch sein Vater schon arbeitete. Sie alle sind interessiert an zwei Testbereichen seines Unternehmens. Mit Bloostar entwickelt sein Team ein System an kreisförmig angereihten Miniraketen, die erst mit einem Ballon in den Orbit gezogen werden, um dort dann aus der Luft aus zu zünden. Vier Millionen Dollar verlangt Zero2infinity für solch einen Start, bald will er auf zwei heruntergehen. Die Preismarge scheint riesig. Zum Vergleich, das aktuellste Projekt für „Billig-Raketen“ des US-Militärs kostet noch immer 15 Millionen Dollar und es scheiterte gerade diesen Monat. Beim Start einer Ariane-Rakete gibt es schon Streit um die Sicherheit, wenn er nur 70 bis 90 Millionen kostet.

Im zweiten Projekt Bloon sollen Menschen in den Weltraum fliegen können. Reservierungen gebe es schon, sagt der Gründer. Ein Flug soll anfangs 110.000 Euro kosten. Mehr als ein paar Jahre bis zum Jungfernflug soll es nicht mehr dauern.

Und die Konkurrenz schläft nicht. World View Enterprises aus Arizona will schon 2017 erste Flüge anbieten — für 75.000 Dollar pro Flug. Auch suborbitale Raumflüge von Virgin Galactic und XCor Aerospace sind schon lange in der Planung. „Raketenflüge sind viel zu gefährlich für die Passagiere“, sagt López-Urdiales. Lieber sollten sie mit seinen Ballons abheben, sagt er noch hastig ins Telefon, dann geht's zum Flugzeug nach Paris. 

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