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Die Job-Revolution! Wie sich unsere Arbeitswelt verändert

von Lars Gaede
Smarte Maschinen übernehmen immer mehr Aufgaben — auch außerhalb der Fabriken. Was bedeutet das? Kommt die Arbeitswelt bald ohne Menschen aus?

Fluxkompensatorantriebe, Risotto aus dem Replikator und Beamstrahlen statt Bahnfahren — wir stellen uns die Zukunft gerne als eine Zeit vor, in der Dinge passieren, die heute undenkbar sind. An Orten, die heute unerreichbar sind. Wir sind dann in fremden Welten unterwegs, gleich links hinter dem schwarzen Loch, oder Tausende von Metern unter der Meeresoberfläche. Unterstützt von schlauen Maschinen, die uns umschwirren. Die eingreifen, sobald es kompliziert wird.

Wenn im Flugbüro auf dem Mars das verflixte Linux-System mal wieder zu langsam liefe, müssten wir natürlich nicht selbst die Serverdienste neu starten, auch nicht der nette Herr im IT-Ufo. Wir würden auch nicht die eine vollgelaufene Festplatte übersehen, die dazu führt, dass unser System unbemerkt alles in den Hauptspeicher lädt — und den großen Bordcomputerabsturz auslöst. In fliegenden Büros könnte das ja fatal enden. 

Wir hätten dafür unsere Maschine. Sie würde die betroffenen Dienste identifizieren und stoppen. Sie würde die übervolle Festplatte finden und aufräumen, bis wieder genug Speicherplatz frei ist. Sie würde das Problem regeln. Automatisch, lautlos und schnell. Wir hätten Zeit für die wichtigen Aufgaben, die im All-Job so anfallen.   

Regel #1 — Du sollst nicht glauben, dass Maschinen nicht lernen. Sie sind Streber.

Das mit einem Leben in der Unterwasserwelt wird noch dauern. Das mit dem fliegenden Büro auch. Aber die schlaue Maschine: Sie ist schon da.
Man muss sich nicht in eine Zeitmaschine setzen, um sie kennenzulernen, nicht mal in einen Flieger Richtung Silicon Valley. Sondern in die U1 in Frankfurt bis zur Station Weißer Stein. Hier um die Ecke sitzen 100 Mitarbeiter der Firma Arago in einem unscheinbaren Bürogebäude und arbeiten an einer Software, die AutoPilot heißt. Ein System, das automatisch Probleme löst. Komplizierte Probleme, wie das mit dem Server. Nur nicht im All, sondern in ganz gegenwärtigen Unternehmen.

Der AutoPilot greift dabei nicht auf ein Script zurück, das ihm für ein genau definiertes Problem einprogrammiert wurde. Das System findet seine Lösungswege allein. „Das Vorbild dabei ist der Mensch“, sagt Chris Boos, Chef von Arago, „die Mitarbeiter können unser Programm so anlernen, wie sie einen Junior-ITler anlernen würden.“ Wann immer die menschlichen IT-Kollegen des AutoPiloten einen Job erledigt haben, halten sie das, was sie gemacht haben, in dessen System fest. Der AutoPilot merkt sich alle Eingaben — nur hält er sich nicht an sie. Noch während der AutoPilot mit den Wissensmodulen gefüttert wird, beginnen die Algorithmen in seinem Herzen, diese neu miteinander zu kombinieren: Was wäre, wenn man diesen Weg ginge? Sollte man hier nicht mal diesen Wert prüfen? Und gibt es für all das nicht eine Abkürzung?

Die Maschine beginnt zu knobeln. Wenn sie dabei Lösungen findet, die schneller sind als die ihrer menschlichen Kollegen, merkt sie sich das. Sie lässt sich nicht länger nur etwas beibringen. Sie lernt eigenständig. „Der AutoPilot findet dann irgendwann Lösungen für Probleme, von denen die Menschen nicht mal wussten, dass es sie gibt“, sagt Boos. Das würde die Leute in den IT-Abteilungen durchaus stutzig machen. Stutziger macht sie dann oft nur noch eine Zahl: 88 Prozent — das ist der Anteil ihrer Aufgaben, die der AutoPilot laut Arago nach kurzer Anlernzeit selbst erledigen kann. Automatisch. Lautlos. In Sekunden. Schlauer, als es uns geheuer ist.

Was ist, wenn die Maschinen die Fabriken verlassen? Wenn sie nicht nur die besseren Schweißer sind, sondern auch die besseren Buch­halter oder IT-Admins?

Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass Maschinen uns körperliche Arbeiten abnehmen. Niemand staunt, wenn die Tagesthemen mal wieder eine Armee von Schweißrobotern in einer Autofabrik zeigen, um irgendeine Wirtschaftsmeldung zu bebildern. Doch was ist, wenn die Maschinen die Fabriken verlassen? Wenn sie nicht nur bessere Schweißer und Blechstanzer sind, sondern auch bessere IT-Administratoren. Buchhalter. Journalisten. Was also, wenn die nächste industrielle Revolution nicht die Handarbeit verändert, sondern das, was unsere Köpfe tun? Das, worauf wir als Menschen bislang so stolz waren?

Regel #2 — Du sollst nicht denken, dass radikale Umbrüche immer sichtbar sind.

Fragt man Andrew McAfee danach, Ökonomieprofessor am MIT, lacht der erst mal: „Das passiert doch längst!“ Das analytische Verständnis selbst unstrukturierter Daten, die Fähigkeit, nicht nur Sprache zu verstehen, sondern auch ihren Inhalt, die Mustererkennung — die Maschinen erlangen rasant neue Fähigkeiten, werden schneller, besser, billiger. Wenn man McAfee glaubt, befindet sich die Menschheit gerade am Übergang zu einem völlig neuen technologischen Zeitalter.

„Wir bekommen es mit smarten Maschinen zu tun, die immer mehr von dem können, was bisher nur wir Menschen konnten“, sagt McAfee. Also: mit lauter Autopiloten. Das klingt fast so, als ob es mit den Flugbüros am Ende doch nichts wird. Weil sie ohne uns losfliegen könnten. Weil wir, die Arbeitnehmer, dort gar nicht mehr gebraucht werden. 

Firmengründer und Autor Martin Ford zeichnet in seinem gerade erschienenen Buch „Rise Of The Robots“ tatsächlich das Bild einer Arbeitswelt, die ohne Menschen auskommt: Nach den Blue-Collar-Jobs stünden nun viele Schreibtischjobs vor der Wegautomatisierung. Carl Frey und Michael Osborne, Ökonomen aus Oxford, beziffern in einer Analyse von 702 Berufen auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt den Anteil, für die ein „hohes Risiko“ besteht, bald von Maschinen übernommen zu werden, auf 47 Prozent — Verwaltungsangestellte, Kreditberater, selbst für Programmierer sieht es nicht gut aus.

Die Frage ist: Wenn diese Prognosen zutreffen — müssen wir uns dann nicht langsam Gedanken darüber machen, wie wir als Gesellschaft damit umgehen wollen? Oder hat der Angriff der Automaten auf den Arbeitsmarkt längst stattgefunden, unbemerkt, weil sich die neuen Technologien wie Geister in unsere Welt schleichen? Weniger sichtbar als die Dampfmaschinen und Funken sprühenden Schweißroboter?

Regel # 3 — Was du arbeitest, kann keine Maschine? Sei dir nicht zu sicher.

Ein sonniger Tag im März. Cebit-Messe Hannover, Halle 2. Auf einem Tisch steht ein Herr und möchte sich unterhalten. Der Herr ist 30 Zentimeter groß, leuchtend grün und hat Drachenzacken auf dem Rücken. Er kann aus dem Kopf Fragen beantworten wie „Wie weit entfernt ist der Mond?“, plaudert über Mathematik, interessiert sich dafür, was man gern isst und ob man eine Lieblingsfarbe hat. Und fordert einen zu kleinen Denkaufgaben heraus.

Das ist sein Job: Der besagte Herr — er gehört zur Cognitoys-Produktlinie des New Yorker Start-ups Elemental Path — soll Kindern etwas beibringen. Aber man kann sich gut vorstellen, dass er — ohne Drachenkostüm — auch wunderbar in einem Callcenter arbeiten könnte oder als Verkaufsberater für einen Onlineshop. IBMs Cognitive-Computer-System Watson, von dem das Spielzeug sich über das WLAN-Netz seine Antworten holt, wurde 2011 berühmt, als es das Finale der TV-Rateshow Jeopardy! gewann — mit der Antwort: „Wer ist Bram Stoker?“ Seither hat Watson eine steile Berufskarriere hingelegt. Seine Fähigkeit, aus riesigen Datenmengen Schlüsse zu ziehen, macht ihn zum gefragten Arbeitnehmer: Watson diagnostiziert Krebsarten und schlägt die passende Behandlung vor, erstellt wissenschaftliche Hypothesen, arbeitet für den amerikanischen Geheimdienst.

Dabei ist Watson nur das bekannteste unter den intelligenten Systemen, die schon heute ihre Jobs verrichten: Skype kann jetzt in Echtzeit gesprochene Sprache dolmetschen, ein Großteil des weltweiten Finanzhandels wird automatisiert per Hochfrequenz abgewickelt. Die Investmentfirma Deep Knowledge Ventures hat die Software Vital in den Rang eines Vorstandsmitglieds berufen. O2 hat in Großbritannien gerade 150 Mitarbeiter, die früher mit Dingen wie Vertragswechseln und SIM-Karten-Verwaltung beschäftigt waren, durch Software ersetzt. Das kanadische Start-up Ross automatisiert die juristische Recherche, für die sich früher Scharen von Nachwuchsanwälten durch Papier- und Datenberge wühlten. Die Software von Ross liest 10 000 Seiten Text pro Sekunde und liefert dann präzise Antworten auf juristische Fragen. Und wir dachten, dafür müsse man fünf Jahre studieren.

Regel # 4 — Du sollst dir deinen Job einfach mal anschauen: Wie routiniert läuft er ab?

Die Software „Quill“ wiederum, entwickelt von der Firma Narrative Science, muss sich nicht durch komplexe Texte wühlen. Es schreibt sie einfach selbst — ohne dass man den Unterschied zu einem menschlichen Autor bemerken würde. Quill kann zum Beispiel Sportberichte über Baseball-Matches verfassen: Die Software analysiert Spieldaten, verarbeitet sie mithilfe einer linguistischen Datenbank, erkennt die wichtigen Details und Schlüsselmomente und entwickelt daraus ein Narrativ, wie ein echter Reporter.

Für forbes.com schreibt Quill Wirtschaftsartikel über Unternehmen, im Auftrag einer Billing Company erklärt das Tool Ärzten, wie deren Praxis gerade so läuft, für Credit-Suisse-Kunden verfasst es aktuelle Berichte zu 10 000 bör-sennotierten Firmen. Auch um die Portfolio Summaries großer Investmentfonds kümmert Quill sich. „Da saßen früher 20 Leute dran, das war wochen-lange Arbeit“, sagt Narrative-Science-CEO Stuart Frankel stolz. „Mit Quill braucht man dafür keine Menschen mehr. Und nur zwei Sekunden.“
Tausende von Arbeitsstunden, die früher von einem ganzen Rudel qualifizierter Uniabsolventen geleistet wurden, werden von einer freundlichen Maschine innerhalb von Sekunden erledigt. Wenn das keine unscharfe Zukunftsvision mehr ist, sondern tatsächlich greifbare Realität: War es das dann? Ist das das Ende der Arbeit?

„Natürlich nicht komplett“, sagt Andrew McAfee, der Ökonomieprofessor vom MIT. „Aber in erstaunlichen Dimensionen.“ McAfee und sein Kollege Erik Brynjolfsson sind der Meinung, der technologisch bedingte Verlust von Arbeitsplätzen laufe schon seit 15 Jahren, er werde nur erst jetzt richtig spürbar: „Man sieht es an den Zahlen, mit denen wir täglich umgehen.“

Ein Kennwert, der die Tendenz verdeutlicht: In vergangenen Jahrzehnten sind weltweit parallel zur Produktivität der Arbeitnehmer immer auch deren Einkommen gestiegen — und die Nachfrage nach Arbeit. „Das war eine Art Naturgesetz“, sagt McAfee. Seit 2000 gilt das nicht mehr. Nicht in den USA und auch nicht in den meisten europäischen Ländern. Es fand eine Entkopplung der Entwicklungskurven statt, wie es sie zuvor noch nie gegeben hatte. Auslöser ist, laut McAfee: die Technologie — und ihr Einfluss auf den Arbeitsmarkt.

Denn der ist dabei, sich zu polarisieren: Es werden zunehmend sehr hoch qualifizierte Leute gesucht, die die neuen Technologien profitabel nutzen — und Niedrigqualifizierte, die den anderen die Einkaufstüten packen, den Restauranttisch decken und die Klamotten hinterherräumen (Aufgaben, die vergleichsweise schwer zu automatisieren sind). „Die Substanz der Mittelklasse aber wird ausgehöhlt“, sagt McAfee: „Rechnungsprüfer, Sachbearbeiter — all diese Jobs mit mittlerem Qualifikationsniveau waren bisher gute, klassische Jobs der Mittelklasse. Es sind genau die, die wir derzeit verlieren.“

Die Grenze zwischen Jobs, die als automatisierbar gelten, und den anderen verschiebt sich ständig. Wer hätte früher an sich selbst steuernde Autos gedacht?

Wie gesagt: Was früher vor allem für manuelle Arbeit galt, betrifft jetzt aufgrund der immer smarteren Maschinen auch die Kopfarbeit: „Je mehr ein Job auf gewissen Routinen basiert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er über kurz oder lang auch von einer Maschine erledigt werden kann.“

Kann man sich also einigermaßen sicher fühlen, wenn man einen wenig routinegeprägten Job hat — egal, ob die Herausforderung eher körperlich (Dogwalker) oder kognitiv ist (Marketingmanager)? Ganz klare Antwort: Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Denn die Grenze zwischen Jobs, die als routinebasiert und automatisierbar gelten, und den anderen verschiebt sich konstant.

Regel # 5 — Verfluche nie den Fortschritt! Er wird unseren Blick erweitern.

Man hat ja auch lange geglaubt, dass das Fahren eines Autos viel zu komplex sei, als dass ein Computer das übernehmen könnte. Und wer hätte noch vor fünf Jahren gedacht, dass medizinische Diagnosen von einer Maschine kommen würden? Dass Fertigungssysteme sich selbst regeln und energieoptimieren können — und dem Ingenieur nur noch mitteilen, wenn sich an einer Pumpe Verschleiß ankündigt, damit dieser schon mal eine neue besorgt? Oder dass man Roboter wie den Baxter von Rethink Robotics einfach — wie ein kleines Kind — an der Hand nehmen und ihm zeigen kann, was er machen soll, statt ihm jede Bewegung per Script vorzuschreiben? Je feiner die Sensorik der Roboter wird, desto autarker können sie sich bewegen.

Und je granularer, feinkörniger sich unsere Welt digital abbilden und verarbeiten lässt, desto leichter ist es auch für Algorithmen und intelligente Systeme, sich aus diesen Massen an Informationen neue Zusammenhänge zu erschließen. Sich dadurch weitere Fähigkeiten der Menschen anzueignen. Und am Ende zu übernehmen.

Obwohl das nicht nur der Beginn eines neuen Verständnisses von Arbeit ist, sondern der Beginn einer neuen Weltwahrnehmung. Je stärker die menschlichen Entscheidungen in Unternehmen auf Basis von Daten getroffen und auch in Form von Daten dokumentiert werden, desto bessere Vorhersagen über die Zukunft können Maschinen daraus ableiten — und damit auch genuin menschlich erscheinende Qualitäten wie Erfahrung oder Einschätzungsvermögen ersetzen.

Regel # 6 — Du sollst auch das Positive an den schlauen Maschinen erkennen.

Und je besser sie das können, desto weniger sind Unternehmen von Infrastrukturen abhängig, in denen Arbeitskräfte Analysen und Prozessmanagement betreiben: Da, wo heute im mittleren Management Wissensarbeiter Informationen sammeln und aufbereiten, um auf anderen Ebenen Entscheidungen zu ermöglichen — also da, wo Menschen beim Kaffee über Zahlen sitzen, über Vertriebsstrategien grübeln, in langen Telefonkonferenzen debattieren und Ideen mitbringen, die sie morgens noch schnell unter der Dusche hatten —, da sitzt bald vielleicht kaum noch jemand.

„Die Strukturen der Organisationen werden immer flacher“, sagt der Autor Martin Ford. „Bis sie nur noch aus einem einzelnen Manager bestehen. Und einem Algorithmus.“ 

Ford beschreibt das in seinem Buch anhand des amerikanischen Start-ups Work Fusion. Work Fusion verkauft Software an Unternehmen, die große, arbeitsaufwendige Projekte automatisieren wollen, die vorher von Büroarbeitern erledigt wurden: Updates von Daten oder das Heraussuchen bestimmter Informationen aus Websites. Die Software unterteilt die Aufgaben in Mikroaufgaben, automatisiert die repetitiven Teile der Arbeit und rekrutiert Freelancer auf Crowdfunding-Plattformen für die Aufgaben, bei denen man denken muss.

Regel # 7 — Du sollst keine Maschinen anzünden. Oder sprengen. Lieber nutzen!

Das Erstaunliche an diesem System ist, sagt Ford, dass die Software diese Freelancer nicht nur managt, sondern auch genau beobachtet, was sie tun. Und so von ihnen lernt — also nach und nach einen immer größeren Teil ihrer Arbeit automatisieren kann. „Während die Freelancer ihren Job machen, trainieren sie peu à peu genau das System, dass sie am Ende ersetzen wird“, sagt Martin Ford. „Das ist ein ziemlich anschauliches Bild davon, wie die Zukunft aussehen wird.“

Nur — diese eine große Frage bleibt: Ist das alles denn wirklich so bedrohlich? Nachdem wir in den letzten zwei Dekaden des Informationszeitalters so viele Innovationen bejubelt haben — ist das die entscheidende Fortschrittsstudie, die uns in Panik verfallen lassen sollte?

Angst verkauft zwar viele Bücher, ein guter Ratgeber ist sie allerdings nicht. Anstatt sich von Horrorszenarien den Blick verengen zu lassen, muss man hier ein paar Schritte zurückgehen und seine Perspektive erweitern, um das komplette Bild zu sehen. Spätestens dann entdeckt man auch die positiven Seiten an dem, was die neuen Maschinenkollegen tun.

Als Erstes könnte man darüber nachdenken, ob es im Kern nicht eine unglaubliche Befreiung ist, wenn die Computer uns tatsächlich all die aus Wiederholungen und Routinen bestehenden Jobs abnehmen würden, die sie eh viel besser können. „Wir haben seit Beginn der Industrialisierung Menschen dazu gezwungen, wie Maschinen zu arbeiten“, sagt Arago-Chef Chris Boos. „Es ist doch viel besser, wenn Maschinen wie Maschinen arbeiten und die Menschen freier werden, um etwas viel Sinnvolleres zu machen.“

Regel # 8 — Du sollst auch utopisch denken: Eine Welt ohne Arbeit? Warum nicht?

Wer nicht den ganzen Tag nur Routinen ausführt, hätte stattdessen Kapazitäten, auch anspruchsvollere Tätigkeiten zu übernehmen: Kundenservice, sich Neues ausdenken. Das sei für ein Unternehmen weiterhin wertvoll, sagt Boos. Und wahrscheinlich auch der glücklichmachendere Job.

Zweitens: Wenn die neuen Technologien uns erst von den schlimmsten Langeweileroutinen unserer Arbeitswelt befreit haben — haben wir dann nicht auch die Chance, ein grundsätzlich positiveres, menschenfreundlicheres Verhältnis zur Arbeit zu finden? Selbst wenn Erwerbsarbeit in der Zukunft nicht mehr das zentrale Kriterium für den Verteilungsmechanismus des gesellschaftlichen Wohlstands sein kann, weil es nicht mehr genug Jobs gibt: Finden wir dann nicht einen anderen? Ford bringt (wie die meisten, die über all das gerade nachdenken) eine Form des bedingungslosen Grundeinkommens ins Spiel, eine politische Vision, die noch vor kurzer Zeit als Exklusivthema linker Bewegungen galt, nun aber salonfähig wird. Der Autor Frank Rieger denkt in ähnliche Richtungen, nennt das Ganze aber „Automatisierungsdividende“.

Regel # 9 — Du sollst nicht versuchen, eine bessere Maschine zu werden.

Der prominente Ökonom Jeremy Rifkin (siehe WIRED-Interview) beschwört in seinem aktuellen Buch die „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“, in der dank der Automatisierung (und dem Wandel der Konsumenten zum „Prosumenten“, der selbst produziert und viel tauscht) intelligente Maschinen den größten Teil der Schwerarbeit erledigen — während sich Menschen selbst verwirklichen und sozialeren Tätigkeiten widmen: „In einem halben Jahrhundert werden unsere Enkel auf die Ära der Massenlohnarbeit mit demselben fassungslosen Staunen zurückblicken wie wir heute auf Sklaverei und Leibeigenschaften einer noch viel früheren Zeit.“

Klar, Rifkin propagiert damit ein radikales Bild dessen, was auf uns zukommen könnte. Doch, und das ist der dritte Punkt: Das tun die etwas pessimistischeren Propheten ja auch, wenn sie auf Basis ihrer Gegenwartsbeobachtungen Dystopien befürchten. Es kann sein, dass sie recht haben. Auch von den knapp 2000 Experten, die das Meinungsforschungsinstitut Pew kürzlich fragte, ob Technologien wie Robotik und künstliche Intelligenz im Jahr 2025 mehr Jobs vernichtet als neue geschaffen haben werden, sagten 48 Prozent Ja.

Wir werden immer die schlechteren Maschinen bleiben. Aber vielleicht machen uns die neuen Kollegen ja zu besseren Menschen?

Aber – und das ist wichtig: Es gibt auch die anderen 52 Prozent. Die behaupten, dass genau das Gegenteil eintreten wird – und am Ende mehr Jobs entstehen werden als wegfallen. Diese 52 Prozent haben dabei ein mächtiges Argument auf ihrer Seite: die Geschichte. Bei allen großen technologischen Umbrüchen der Historie war es so, dass die Menschen es erst mal mit der Angst zu tun bekamen. Manchmal sogar mit der Wut. So wie Ned Ludd aus Nottingham, 1811, zu Anfang der Industrialisierung. Ein Held der Arbeit. Der sich gewaltig irrte.

Textilarbeiter aus allen Ecken der Region versammelten sich damals um Ned Ludd. Gemeinsam zogen sie los, die neuen mechanischen Webstühle zu zerstören, weil mit ihrer Hilfe – so glaubten sie – Arbeitsplätze zerstört und Löhne gedrückt wurden. Die Bewegung der Maschinenstürmer wurde erst 1814 niedergeschlagen, viele der Ludditen wurden hingerichtet oder deportiert.

So nachvollziehbar die Wut der Aufständischen war, sie lagen damit komplett falsch. Die Mechanisierung der Textilindustrie führte eben nicht zu einer Verschlechterung der Lebenslagen — die Annahme ging als Ludditischer Trugschluss in die Geschichte ein. Die Maschinen machten Baumwollkleidung zum billigen Massenprodukt, die erhöhte Produktivität schuf Wohlstand, und daraus entstand neue Nachfrage. Also: Jobs an anderen Stellen. Und egal, ob man sich das Aufkommen der Dampfmaschine anschaut, des Fließbands oder der Fertigungsroboter: Maschinen haben immer Berufe verschwinden lassen, den Treidelknecht, den Hufschmied, den Schriftsetzer. Dafür entstanden neue. Oft sogar bessere.

Regel # 10 — Du sollst froh sein, ein Mensch zu sein. Denn  Maschinen haben keinen Spaß.

„So ist das immer bei technologischen Schüben“, sagt Arnold Picot, Wirtschaftsprofessor an der LMU München, der die Auswirkungen von Technologien erforscht. „Sie substituieren etwas Altes, aber sie stoßen auch Türen auf zu etwas Neuem. Überlegen Sie mal, wie viele neue Berufe alleine durch das Internet entstanden sind: Welcher Social Media Manager von heute hat vor zehn Jahren geahnt, dass es seinen Job überhaupt geben würde?“

Natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass sich die Geschichte auch diesmal wiederholt. Was wir sicher wissen: Die intelligenten Maschinen werden die Welt weiter verändern. Die beste Idee wäre, sich einzeln und als Gesellschaft darauf einzustellen, unhysterisch. Und, so sozialpädagogisch das auch klingt: die damit verbundenen Chancen zu nutzen, statt nostalgisch zu trauern.

Die Faustregeln? Wir müssen Berührungsängste mit den neuen Technologien abbauen. Wir sollten lernen, die Roboter als Kollegen zu akzeptieren, Lehr- und Studienpläne entsprechend anpassen. Gleichzeitig dürfen wir aber nicht versuchen, uns im Angesicht der Maschinen selbst in welche verwandeln zu wollen. „Man muss als Mensch nicht in den Gebieten besser werden, wo die Maschinen aufholen“, sagt McAfee vom MIT. Besser: sich aufs Gegenteil konzentrieren. „Menschen, die kreativ sind, Ideen finden, um die Ecke denken können, werden auch in Zukunft sehr gefragt sein. Das fällt Maschinen schwer.“ Arnold Picot glaubt, dass der Bedarf an Jobs, bei denen sich Menschen um Menschen kümmern, steigen wird: „Interaktion, Konflikte lösen, Empathie ist wichtig.“

Vielleicht hat ja auch Chus Martínez recht, künstlerische Leiterin der letzten Documenta in Kassel, die behauptet, dass letztlich das künstlerische Denken und Handeln eine Antwort auf die Risiken dieser Zeit sein könnte: „Kunst ist das neue Wissen.“ (Auch wenn es natürlich längst Maschinen gibt, die verrückte Stühle designen – und andere, die komponieren.)

Welche Strategie man am Ende auch wählt, ob man Coder oder Künstler wird: Wenn die Big-Data-Rechnerhirne uns dazu bringen, uns neu zu fragen, was wir eigentlich können, was uns als Menschen ausmacht — dann sind wir für die Zukunft bestens gewappnet. Wir werden zwar immer noch die schlechteren Maschinen sein. Aber dafür vielleicht die besseren Menschen. 

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