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Ich habe mein Leben den Wearables geopfert und es war furchtbar

von Dominik Schönleben
Lange genug haben die Fitness-Tracker uns überwacht. Unser Autor dreht den Spieß um: im großen Wearables-Härtetest.

Das erste Wearable, das ich trug, war rosa, kegelförmig und hing an einem Seil um meinen Fuß. Es sah aus wie eine dieser eisernen Fußfesseln, wie man sie aus alten Gangster-Filmen kennt — war aber nur ein primitives Spielzeug. Skip-It von Tiger Electronics trackte während meines Weges zur Grundschule, wie oft es mir als Siebenjährigem gelang, ohne Unterbrechung übers Seil zu springen.

Das spielerische Element scheinen die Wearables verloren zu haben. Was heutzutage auf den Markt kommt, dient vor allem dazu, uns im Leben voranzubringen. Sie sollen das leisten, was grienende Fernsehköche und müffelnde Fitnesstrainer nie geschafft haben: uns Disziplin beizubringen, uns fitter, gesünder, klüger zu machen — so jedenfalls stelle ich mir das vor, wenn ich die Pitches neuer Armband-Startups höre oder auf Facebook die Selbstanfeuerungen von Runtastic-Nutzern lese.

Die Idee ist faszinierend: eines Tages alle Banalitäten des Lebens an ein Gadget outsourcen zu können, in Datenpakete zu verschnüren. Um herauszufinden, wie weit uns die aktuellen Wearables schon jetzt dem Ideal entgegenbringen, wähle ich den Selbstversuch. Schnalle mir so viele smarte Bänder um, wie an meine Arme passen. Eine Woche lang begleiten mich Smartwatches, Fitness-Tracker und Sportuhren leuchtend, fiepend, vermessend, rund um die Uhr.

Tag eins. Wenn ich angerufen werde, vibriert erst das Handy in der Hosentasche, eine Sekunde später die LG-Smartwatch am Handgelenk. Blöd nur, dass ich nicht direkt auf die Push-Nachricht reagieren kann: Die Uhr weist mich an, die zugehörige App auf dem Telefon zu öffnen. Wie schlecht die Integration funktioniert, zeigt sich, als ich versuche, meiner Freundin eine Facebook-Nachricht zu schicken. Ich tippe auf das Display, spreche: „Okay, Google — Facebook-Nachricht!“ Nach dem dritten Versuch wird die Anfrage verarbeitet, kann ich die Message diktieren. Später erfahre ich, dass die Freundin daraufhin eine SMS erhalten hat. Inhalt: das Wort „Facebook“. Ihre Antwort wiederum kam nie bei mir an, denn mein Handyakku war schon wieder leer. Für die Kommunikation mit der Uhr muss ständig Bluetooth aktiviert sein, ein sinnloser Stromfresser.

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Mitsamt der Wearables-Sammlung gehe ich ins Kino. „Der Hobbit“, Teil drei. Als Elrond, Saruman und Galadriel in die Ruine von Dol Guldur eindringen, um Gandalf zu retten, rast mein Puls. Mit erhobener Faust brülle ich zornig in den Saal: „Das hätte Tolkien nie gewollt!“ Ein kurzer Blick auf das TomTom Multi-Sport Cardio offenbart: Während meines Wutanfalls hatte ich rasante 120 Herzschläge pro Minute. Das Nike+ Fuelband hat derweil meine Aktivität minutengenau dokumentiert, lässt mich den Aufregungsgrad später am Computer als Infografik abrufen. Nun ist es amtlich: Literaturverfilmungen sind schlecht für meine Gesundheit.

Spätestens jetzt wird mir klar, dass es egal ist, wie viele Daten Wearab­les sammeln — solange sie nicht sinnvoll aufbereitet, in einen nachvollziehbaren, nützlichen Zusammenhang gesetzt werden.

Gut, dass ich mir für die Test­woche wenigstens ein klares Ziel gesetzt habe: ein Kilo abnehmen, eine Zwischenetappe. Penibel führe ich in der App des Trackers Fitbit Charge Logbuch darüber, was ich esse und trinke. Fitbit setzt das alles in Relation zu meinem täglichen Kalorienverbrauch, überwacht, ob ich den Diätplan auch einhalte. Es gibt auch Apps, zum Beispiel bei Withings und Jawbone, bei denen man diese Schlüsse am Ende selbst ziehen muss.

Trotzdem bleibt es kompliziert, etwa bei Lebensmitteln, die nicht in der Fitbit-eigenen Liste stehen: Als ich mir in der Mittagspause ein Falafel besorge, bin ich erst mal schwer beschäftigt, die Portion zu wiegen, in der App die richtige Kategorie zu finden, schließlich im Internet zu recherchieren, wie viele Kalorien das Essen samt Soße haben könnte. Mit Schätzwer­ten und Näherungen kämpfe ich mich durch den Tag. Der von Gelb auf Rot wechselnde Balken macht mir ständig ein schlechtes Gewissen, mein Dasein wird zum Buchhaltungsjob. Plötzlich lebe ich in der Welt des roten Balkens, der sich in der App wie ein mahnender Zeigefinger erhebt.

Dazu kommt, dass ich die Autorität der Daten nicht immer ernst nehmen kann. Während Fitbit angibt, ich hätte heute bereits 8437 Schritte zurückgelegt, sagt mir das UP24 von Jawbone, es seien 7466 gewesen. Das dritte Armband zählt sogar 10.346 Schritte. Das Schreckgespenst Big Data: heute mal eine lustige Dorflotterie.

Um dem Wochenziel nahezukommen, geht es letztlich doch noch ins Fitnessstudio. Ich stemme eine Zehn-Kilo-Hantel, Schweiß läuft mir den Unterarm hinab, überströmt die festgezurrten Wearab­les, während ein Personal Trainer meine Haltung korrigiert. Als er nicht hinschaut, schiele ich zum Handgelenk: Auf dem Display der TomTom Multi-Sport Cardio blinkt mein Puls bei 140. Später kann ich auf einer Landkarte sogar sehen, wo genau ich mich während des Trainings befunden habe. Falls die Erinnerung nachlässt.

Danach habe ich nicht nur Muskelkater, sondern mit dem gesam­melten Wearables-Output auch noch ein riesiges Datengestrüpp vor mir. Soll das so sein? Die Verknüpfung und Interpretation, die smarten Ratschläge zu den Daten, die mir das Leben wirklich erleichtern würden, fehlen dagegen.

Die Geräte bewirken eher das Gegenteil: Ich muss mir anhand von Zahlen und Grafiken selbst Handlungsmaximen erarbeiten. Was ich auch ohne Bändchen geschafft hätte, mit einer Personenwaage und einem Schrittzähler vom billigen Jakob.

Ich will nichts mehr davon wissen, lasse mich ins Bett fallen, schalte meinen alten Game Boy ein. Statt Kalorien, Schritten, Aktivitäts­indizes oder zurückgelegten Kilometern gilt es in dieser Welt nur eines zu optimieren: Pixelblöcke. 

UPDATE 11.03.15: Ursprünglich erweckte der Artikel den Eindruck, das Nike+ Fuelband besäße einen Pulsmesser. Dies haben wir nun angepasst.

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