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Wie gehen Videospiele mit Tod und Trauer um?

von Sonja Wild
Das Töten haben Spiele über Jahrzehnte perfektioniert. Doch was danach kommt, blenden sie gerne aus. Wo finden Trauer und Gedenken ihren Platz? Und warum sind Friedhöfe in Spielen selten mehr als Zombieschleudern?

Computerspiele haben ein merkwürdiges Verhältnis zum Tod: Da pflastern einerseits Leichen oft zu Dutzenden den Weg, andererseits gibt es außerordentlich wenig Auseinandersetzung mit den Folgen der menschlichen Sterblichkeit. Absurderweise bleiben etwa Gegner in der Regel einfach am Ort ihres Sterbens liegen, wie eine traurige Erinnerung daran, dass KI keine Angehörigen hat. Gleichzeitig aber haben Autoren und Spielentwickler durchaus eine Vorliebe für Friedhöfe und andere Grabstätten – mindestens als dekorative Kulisse gehören sie zum Standardrepertoire von Gamedesignern. In aller Regel wird dort nur eben nicht das getan, was uns auf realen Friedhöfen tatsächlich beschäftigt, Trauern und Gedenken nämlich. Stattdessen geht es auf den Spiel-Friedhöfen meist ums Gruseln oder Graben.

Die Beispiele für Ersteres sind so zahlreich wie klischeebeladen: Von der C64-Umsetzung des Horrorfilmklassikers Friday the 13th, dessen blutiges Geschehen sich teilweise auf dem Friedhof abspielt, bis hin zu Bloodbornes gotischem Szenario, in dem es vor Gräbern und Untoten nur so wimmelt. Und selbst abseits des Horror-Genres sind Friedhöfe seit jeher gerne Orte von Furcht und Schrecken. So erheben sich in King's Quest IV ebenso wie in Fallout 4 Zombies und Ghule als tödliche Bedrohung aus den Schatten der Grabsteine.

Beängstigende Atmosphäre und tatsächliche Gefahr müssen allerdings nicht immer Hand in Hand gehen, und selbstverständlich geht es auch subtiler: Der kleine Friedhof in The Vanishing of Ethan Carter zum Beispiel erzeugt selbst bei strahlendem Sonnenschein Schaudern und überlässt es zunächst der Vorstellungskraft der Spieler, dieses Gefühl von Furcht einzuordnen und ihm nachzugeben – oder eben nicht.

Grabstätten werden als Kletterparks mit angeschlossener Schatzkammer interpretiert

Ob mit der Motorsäge oder eher unterschwellig: Man kann insbesondere Horrorspielen kaum vorwerfen, dass sie sich die jahrhundertealten Mythen und Klischees rund um Friedhöfe und Gräber für ihr Setting zunutze machen. Einen Originalitätspreis gewinnt man so allerdings nicht. Das gilt auch für die Rolle des Grabräubers, die neben Indiana Jones natürlich vor allem Lara Croft in den Tomb Raider-Spielen ausfüllt. Altertümliche Grabstätten werden dort, garniert mit häppchenweisen archäologischen Informationen und einer Prise Esoterik, in erster Linie als Kletterparks mit angeschlossener Schatzkammer interpretiert.

Überhaupt ist es erstaunlich, wie häufig wir in Spielen zu Grabräubern und Störern der Totenruhe werden: In Don't Starve wird in namenlosen Gräbern nach Gold und Krimskrams gebuddelt, Borderlands 2 belohnt den Griff zur Schaufel mit einer seltenen Waffe und in King's Quest IV muss eine Rassel aus einem Kindergrab geholt werden, um den Geist des toten Säuglings zu beruhigen. In anderen Fällen ist der Friedhof weniger Schatzkammer als vielmehr Geheimnisträger: Insbesondere Adventures verstecken Rätsel und Hinweise gerne an mythologisch aufgeladenen Orten, zu denen eben auch Friedhöfe zählen. So spielen etwa im Sierra-Klassiker Gabriel Knight, der auch sonst voller spiritueller Themen steckt, ein Friedhof und eine Familiengruft eine zentrale Rolle.

Egal ob gegraben oder nur ermittelt wird: Die genannten Beispiele eint die Tatsache, dass Friedhöfe und andere Grabstätten hier eher archäologisch, kulturhistorisch oder spirituell verstanden werden. Als Teil der öffentlichen Infrastruktur, als profaner Ort des Trauerns und Gedenkens spielen sie höchstens eine untergeordnete Rolle. Ganz anders ist das in The Graveyard. In dem Indie-Spiel, das im Wesentlichen darin besteht, eine alte Frau über den Friedhof gehen zu lassen, ist dieser Friedhof das einzige Setting und forciert in Kombination mit einer reduzierten und restriktiven Spielmechanik die Auseinandersetzung mit den Themen Altern und Sterben.

Das gelingt auch deshalb so gut, weil der Friedhof in The Graveyard mit seiner nüchternen, friedlichen Atmosphäre weit weg ist von den düsteren, klischeebeladenen Kulissen anderer Spiele. Dadurch rückt unvermeidlich seine wahre Funktion als letzter Ruheort in den Vordergrund. Angenehm ist die resultierende Auseinandersetzung nicht unbedingt: Wenn Friedhöfe und Gräber in Spielen nicht mehr nur mit vergrabenen Schätzen oder Zombie-Attacken assoziiert werden, lässt sich das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit nicht mehr so leicht beiseiteschieben.

Begräbnisse sind oft reine Cutscenes ohne jede Interaktivität

Zur Trauer- und Gedenkkultur gehört neben dem Ort der Bestattung auch das Ritual. Beispiele für Beerdigungen und Trauerzeremonien gibt es in Spielen zwar einige: etwa die konfliktbeladene Trauerfeier in The Wolf Among Us, die im Kerzenschein auf einer Baustelle stattfindet, oder die fingierte Beerdigung von Michael im Prolog von GTA V. Häufig sind solche Szenen reine Cutscenes ohne jede Interaktivität. Es ist offenbar nicht einfach, die Freiheit der Interaktion mit der Würde einer Trauerzeremonie in Einklang zu bringen. Nicht umsonst hat es ein Soldatenbegräbnis in Call of Duty: Advanced Warfare mit einer fragwürdigen Interaktionsmöglichkeit sogar zu einem eigenen Meme gebracht: Die Aufforderung „Press X to pay respects“ lässt die Respektsbekundung am Grab zur Farce werden, indem sie diese auf eine mechanische Handlung wie Laufen, Springen oder Schießen reduziert.

Während Beerdigungen und andere Trauerzeremonien das Metier storylastiger Spiele sind, gibt es durchaus Genres, in denen das Totengedenken fest ins Spiel integriert ist: In den rundenbasierten Strategiespielen der XCOM-Reihe etwa wird der gefallenen Soldatinnen und Soldaten auf einer Ehrenwand im Avenger gedacht. Wer möchte, kann den Gefallenen dort sogar individuelle Epitaphe hinterlassen. Das ebenfalls rundenbasierte Darkest Dungeon ehrt seine Toten auf einem Heldenfriedhof. In beiden Fällen handelt es sich um Spiele, bei denen jeder Zug wohlüberlegt sein will, da der Tod von Soldaten oder Helden irreversibel ist. Das schmerzt umso mehr, je länger sie mühsam ausgebildet und trainiert wurden und an der Seite des Spielers kämpften. Sowohl XCOM als auch Darkest Dungeon fördern die emotionale Bindung an und die spielerische Abhängigkeit von jeder einzelnen Heldin und jedem einzelnen Soldaten. Entsprechend nachvollziehbar ist der Wunsch, um die Gestorbenen angemessen trauern zu können, dem in Form individualisierbarer Soldatenfriedhöfe entsprochen wird.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie liebgewordener Spielcharaktere nach ihrem Tod gedacht wird, findet sich außerhalb der Welt der Rundenstrategie: In der Lebenssimulation Die Sims wird zwar nicht gekämpft, doch der Tod gehört zum Sim-Leben selbstverständlich dazu. Alleine im vierten Teil der Serie können Sims auf elf verschiedene Arten sterben, sei es durch Feuer, aus Altersschwäche oder sogar vor Scham. Verblichener Sims wird mit Grabsteinen oder Urnen gedacht, an denen die Hinterbliebenen trauern können – und das tun sie bisweilen exzessiv. Auch hier dient die Gedenkmechanik vorrangig der Würdigung der gemeinsamen Zeit, die Spielerinnen und Spieler mit ihren Sims verbracht haben. Interessant ist dabei, dass der Umgang mit dem Tod bei den Sims mittlerweile komplett privatisiert scheint: Die Sims 4 kennt keinen öffentlichen Friedhof mehr, als Grabstätten dienen ausschließlich die privaten Gärten und Häuser der Bewohner.

Damit spiegeln Die Sims einen anhaltenden Trend zu alternativen Bestattungs- und Gedenkformen: Den Wunsch, nicht mehr im Familiengrab auf dem städtischen Friedhof, sondern in einem Ruheforst, als Diamant in einem Schmuckstück oder in der Urne auf dem heimischen Kaminsims seine letzte Ruhe zu finden, teilen immer mehr Menschen. Was zunächst wie eine zunehmende Individualisierung oder Privatisierung des Todes klingt, bezeichnet Norbert Fischer in seinem Buch „Neue Bestattungskultur: Tod, Trauer und Friedhof im Wandel“ wesentlich emanzipatorischer als „Rückeroberung von Sterben, Tod, Trauer- und Erinnerungskultur“. Und tatsächlich kann in der Abkehr von traditionellen Bestattungsformen so gut wie alles liegen: der Wunsch nach Selbstinszenierung über den Tod hinaus ebenso wie der nach einer freieren Form des kollektiven Gedenkens – oder gar nach Anonymität, wie es der steigende Anteil von Rasenbeisetzungen ohne Grabstein oder andere Kennzeichnung vermuten lässt.

Die Sims machen einen kleinen Teil dieses schillernden Spektrums spiel- und damit erfahrbar – und verzichten dabei übrigens nicht nur auf den öffentlichen Friedhof, sondern auch auf jede Form von religiös konnotierter Bestattungszeremonie.

Denkt man von hier aus weiter, scheint es auch nicht mehr abwegig, dass wir künftig auch vermehrt innerhalb von Spielwelten um nahestehende Menschen trauern und ihrer gedenken. Sporadisch gibt es dieses Phänomen schon lange, wie etwa die Geschichte des Spielers zeigt, der für seine verstorbene Frau in Minecraft eine Gedenktafel errichtete. Besonders viel öffentliche Aufmerksamkeit erhalten auch Berichte über verstorbene Spieler, denen Denkmäler in ihren Lieblingsspielen gesetzt wurden. Ein prominentes Beispiel findet sich etwa in Borderlands 2, dessen Entwickler den mit 22 Jahren an Krebs gestorbenen Fan Michael John Mamaril als NPC verewigt haben. Wer ihm in Sanctuary begegnet und ihn anspricht, erhält Items und schaltet ein spezielles Achievement frei. Mamarils NPC ist damit mehr als nur eine liebevolle Erinnerung an den jung verstorbenen Borderlands-Fan: Er ist ein fester Teil der Spielwelt und bietet Spielern eine kleine, aber doch spürbare Hilfestellung, die dazu beiträgt, dass seine Figur nicht nur nicht übersehen, sondern sogar bewusst gesucht wird.

Eine etwas weniger spektakuläre, aber ebenso eindrucksvolle Form des Gedenkens findet sich in FIFA 16, dessen Creative Director Simon Humber ebenfalls an Krebs starb: Die FIFA-Entwickler nahmen das Stadion des Viertligisten Portsmouth F.C., dessen Anhänger Humber war, in das Spiel auf. Ein kleines Blumengebinde hinter dem Tor weist darauf hin, dass Fratton Park als Tribut und Erinnerung an den Kollegen zu verstehen ist.

Schon diese zwei Beispiele machen begreiflich, wie wirkungsvoll Spiele sein können, wenn sie sich auf so persönliche Weise mit den Themen Tod und Gedenken auseinandersetzen. Gleichzeitig sind sie oft wenig überzeugend, wenn es gilt, das Thema grundsätzlicher aufzugreifen – sei es in Sachen Story oder Setting. Auf jeden Fall wird die Darstellung von Trauer und Gedenken in Computerspielen wohl künftig an Bedeutung gewinnen. Nicht nur, weil dank Augmented und Virtual Reality ganz neue Möglichkeiten digitaler Erinnerung und Unsterblichkeit entstehen können, sondern auch, weil es immer mehr ältere Spielerinnen und Spieler geben wird, die sich mit dem Thema zwangsläufig intensiver auseinandersetzen.

Dieser Artikel ist unter dem Titel „Zwischen Gruseln, Graben und Gedenken“ zuerst in der 10. Ausgabe des Videospiele-Bookazines WASD erschienen. Die ganze Ausgabe bekommt ihr hier.

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