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YouTube-Nachhilfe ist der bessere Unterricht!

von Richard Diesing
Auf YouTube entwickelt sich eine neue Art der Online-Nachhilfe. Junge Menschen vermitteln anderen in Videos kurz und direkt das notwendige Wissen für so gut wie jedes Schulfach. Unser Autor geht gerade aufs Abitur zu und nutzt diese Videos. Er findet: Sie sind längst der bessere Unterricht.

Ich erlebe solche Situationen ständig: Wir unterhalten uns in der Pause über eine anstehende Klausur – und über das dazu passende YouTube-Video. Welcher Channel bietet zur Kurvendiskussion den beste Clip, welcher zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs? Das sind die typischen Fragen. Denn nicht mehr Lehrer oder Schulbücher helfen bei der guten Note, sondern gut geschnittene Erklärvideos. Auch ich schaue sie mir an. Die kurzen Beiträge benutzen keine bemüht jugendliche Sprache, sie werden von Leuten gemacht, die tatsächlich jung sind, und sie sind jederzeit abrufbar – da kann die Schule einfach nicht mithalten.

Vor Kurzem hat Bundesbildungsministerin Johanna Wanka einen digitalen Bildungspakt vorgestellt. Ab Mittwoch diskutieren Politiker auf dem nationalen IT Gipfel 2016 darüber, wie die Schulen in Deutschland aufschließen können zum digitalen Zeitalter. Zur Bildung im 21. Jahrhundert gehöre „das Lernen mittels der vielen neuen Möglichkeiten digitaler Medien“, hat Wanka geschrieben, Deutschland müsse diese Chancen stärker nutzen als bisher.

Ich finde, es wird Zeit. Schulen und Lehrer sollten sich mehr engagieren. Es kann doch nicht sein, dass die nötige Technologie zur Verfügung steht, aber Computerräume verwaist bleiben. Laut einer neuen D21-Studie wissen nur 71 Prozent der Schüler von den PCs, die sie benutzen könnten. Geschweige denn von Beamern oder Whiteboards. Das liegt nicht an den Schülern, sondern daran, wie Technologie an den Schulen vermittelt wird.

Die Erklärer auf YouTube haben einen ganz schönen Vorsprung gegenüber den Lehrern

Deswegen: Liebe Frau Wanka, die Möglichkeiten des digitalen Lernens sind nur dann gegeben, wenn auch die Lehrer wissen, was sie mit der Technik und mit uns in ihr anfangen sollen. Und unsere Erklärer auf YouTube haben da ehrlich gesagt einen ganz schönen Vorsprung.

Ich bin im Internet aufgewachsen. Es ist für mich eine besondere Herausforderung, es noch einmal für Sie, die Planer unseres Schulsystems, zu erklären. Es war für Schüler wie mich einfach schon immer ganz normal – seit in meinen Schulfächern immer komplexere Themen behandelt werden, lerne ich über das Netz. Warum auch nicht? Wenn mir um elf Uhr Abends auffällt, dass ich ein bestimmtes Thema noch nicht ganz verstanden habe, google ich es eben. In Sekunden erhalte ich eine Vielzahl von Möglichkeiten, den Stoff zu verstehen. Vor allem auf YouTube gibt es hunderte von Lernvideos.

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Der typische Clip besteht aus Erklärungen, die durch Grafiken unterstützt werden. Am Ende folgt dann meist eine kurze Zusammenfassung, so etwas wie ein Merkzettel. Es kommt mir so vor, als versuche ein Kumpel den Stoff in einem Fach zu erklären, der schon immer besser darin war als ich. Aber er erklärt nicht nur, er bringt auch Beispiele.

Es gibt einen dieser „Kumpel“, der durch seine Popularität besonders heraussticht. Wenn ich Begriffe zu Lernthemen der weiterführenden Schule auf YouTube eingebe, erscheinen meist als erstes die Videos von TheSimpleClub. Der Kanal, 2012 gegründet, bot ursprünglich nur Hilfe zu Mathe-Themen an. Heute liefert er wöchentlich neue Videos zu insgesamt acht Fächern.

Nico, einer der beiden TheSimpleClub-Gründer, glaubt: Viele Schulen in Deutschland missverstehen die Bedeutung eines digitalen Angebots. „Digitale Inhalte sind nicht der heilige Gral für gute Bildung oder guten Unterricht, es kommt darauf an, wie Lehrer mit Inhalten umgehen“, sagt er. Nicos Mathelehrer etwa erklärte das Thema Vektoren im Unterricht mit einem Besen und Stühlen. „Jeder hat es verstanden und war mit hundert Prozent Aufmerksamkeit dabei“, erzählt Nico. Wenn man einen guten Lehrer hat, muss man sich weniger durch YouTuber wie ihn erklären lassen.

Das sehe ich genauso. Wer Unterrichtsinhalte so anschaulich erklärt, dass Schüler sie verstehen, kann das auch ohne digitale Hilfsmittel. Wer diese dann noch als zusätzliches Instrument einzusetzen weiß, umso besser. Bisher aber scheint das Interesse von Lehrern daran eher gering zu sein. Es bleibt für Schüler wie mich einfacher, mit den grafischen Darstellungen und der lockeren Sprache auf YouTube zu lernen.

Die Online-Lernvideos sind jederzeit verfügbar und immer wieder von neuem abrufbar. Das mindert den Druck beim Lernen. Wenn ich etwas nicht verstanden habe, ist das kein Problem. Dann schaue ich mir den Clip einfach noch einmal an oder springe direkt zu dem Punkt, den ich noch nicht verstanden habe. Klappt es dann immer noch nicht, schaue ich einfach mir einfach das nächste Video zum selben Thema an.

Schule soll uns zum selbstständigen Lernen erziehen – aber wir haben das Ruder längst selbst in die Hand genommen

Unzählige und vor allem geduldige Lehrer, die auch nachts verfügbar sind – wie soll die Schule so einen Vorsprung jemals aufholen? Ihr Ziel ist es unter anderem, Schüler zum selbstständigen Lernen zu erziehen – wir haben das Ruder aber längst selbst in die Hand genommen.

Jetzt könnte man einwenden: Wer überprüft die Inhalte, die YouTuber den Schülern vermitteln? Niemand. „Ob die Inhalte für Lernende sinnvoll aufbereitet sind, ist Glückssache“, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung.

Das stimmt auch, letztlich kann jeder Inhalte auf Youtube stellen, egal ob sie fachlich korrekt sind oder nicht. Allerdings ist es wie bei vielen anderen Angeboten im Netz: Die Seite, die oft angeklickt wird, ist meist vertrauenswürdiger als andere und auch die Kommentare darunter geben einen guten Eindruck, wie hilfreich ein Beitrag war. Die YouTube-Kanäle, die mehr Aufrufe und mehr Likes haben, sind meist seriöser und vertrauenswürdiger, so meine Erfahrung. Ich habe gelernt, mich darauf zu verlassen und suche meine Kanäle danach aus. Die Lehrer an meiner Schule kann ich mir nicht auf diese Weise aussuchen.

Angebote wie TheSimpleClub helfen mir und vielen meiner Mitschüler – und das Potential der kostenlosen Lernangebote auf Youtube wird im Schulalltag bisher viel zu wenig wahrgenommen. Würden Lehrer Erklärvideos in den Unterricht einbauen und mit Aufgaben und weiterführendem Unterricht verknüpfen, könnte man sich viel Geld für anderen digitalen Hokuspokus sparen. Dieses könnte in die Verbesserung der generellen digitalen Kompetenzen fließen – nicht nur bei Schülern, auch bei Lehrern.

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