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Wissenschaftlich gesehen steht unser Finanzminister schon fest

von Joely Ketterer
Koalitionsverhandlungen? Geschenkt. Eine Website der Uni Potsdam will schon jetzt sagen können, wie die neue Regierung wahrscheinlich aussehen wird.

Kann man sich Anton Hofreiter als Finanzminister vorstellen? Zuletzt schien es, als habe der Fraktionschef der Grünen Lust auf das Amt gehabt. Das Finanzministerium, so ließ er verlauten, sei ja „auch für die Grünen spannend“. Bei der FDP hörte man das wohl nicht so gerne – eigentlich sehen die Liberalen sowohl Wirtschaft als auch Finanzen als ihre Kernkompetenz an. Und die CDU? Auch die hätte gerne weitere vier Jahre Kontrolle über das Ressort. Streit hinter den Kulissen: So gut wie sicher.

Würden die Koalitionspartner in spe auf eine Wissenschaftlerin der Universität Potsdam hören, sie wären schon weiter. Mit ihrem Online-Schätzmodell Kabinettwatch will sie bereits jetzt berechnen können, wie die neue Regierung tatsächlich aussehen wird.

Aber geht das? Kann man systematisch die Wahrscheinlichkeit dafür feststellen, dass es jemand ins Kabinett schafft? Und sogar den Posten erhält für den sie oder er im Vorfeld gehandelt wurde? Julia Fleischer zufolge ja. Mit ihrem Kollegen Markus Seyfried hat die Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Politik und Regieren in Deutschland an der Universität Potsdam die Analyse-Website Kabinettwatch entwickelt. Das Vorhersagemodell, das heute online geht, besteht aus einem Kabinett- sowie einem Ressort-Radar und soll tagesaktuelle Schätzungen liefern.

Das Kabinett-Radar rechnet für alle gehandelten Personen die Wahrscheinlichkeit aus, überhaupt ins Kabinett zu gelangen. Wie sind die Aussichten beispielsweise für Cem Özdemir? Mit Hilfe des Ressort-Radars können NutzerInnen der Webseite sehen, wer für jedes Ministerium im Rennen ist und welche Chance besteht, dass genau diese Person auch den Posten erhält. Klar, der Grünen-Spitzenkandidat wird wahrscheinlich Teil der Regierungsmannschaft: Aber wird er auch tatsächlich Außenminister?

Als Grundlage für das Vorhersagemodell habe eine Medienanalyse der Ministerrennen auf Bundesebene von 1980 bis 2013 gedient, erklärt Fleischer. Sie und ihr Team untersuchten darin für alle Verhandlungszeiträume Daten nach dem Muster: Wer war erfolgreich und warum. Um jetzt die neuen Endergebnisse vorherzusagen, vergleicht Fleischer besagte Ministerrennen mit einer aktuell laufenden Medienanalyse, die sie ebenfalls durchführt.

Ausgewertet hat sie dafür mehrere hundert deutschsprachigen Print- und Online-Medien. Ihr Team durchsucht sie nach dem Such-Wortstamm „Minister“, um festzustellen, in welchen Zeiträumen welche Personalien für welche Ministerposten im Gespräch sind. Mit einer Textanalysesoftware orten die EntwicklerInnen die entsprechenden Sätze und ihr Umfeld, also jeweils den vorangehenden und folgenden Satz.

Mittels eines Wörterbuchs, das Parteinamen und deutschsprachige Namen enthält, könne die Software Sinnzusammenhänge zwischen dem Wort „Minister“ und beispielsweise „FDP“ oder „Peter Altmaier“ erkennen, erklärt Fleischer. Die codierten Ergebnisse würden in Form einer Datentabelle die beiden Graphen auf Kabinettwatch.de füttern.

Durch Analysieren der vergangenen Rennen war es möglich, so Fleischer, Muster zu identifizieren – „Erfolgsfaktoren für Personen, die letztendlich im Kabinett landeten.“ Die einzelnen Komponenten sind für das Schätzmodell entsprechend ihrer Bedeutung gewichtet und bilden drei Kategorien: Merkmale der medialen Aufmerksamkeit, die erfahrungsgemäß nach einiger Zeit abflache, wie es bei Karl Theodor zu Guttenberg 2009 der Fall war. Merkmale der gehandelten Person, bestehend aus Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss, Vorerfahrung in der Partei, im Parlament und in einem exekutiven Amt. Sowie Merkmale des Rennens selbst. Hier spiele beispielsweise eine Rolle, ob jemand von Anbeginn gehandelt wurde, oder erst später ins Gespräch kam. Aber auch, welches Ressort es betreffe. Manche seien heftiger umstritten als andere.

Um die Konzentration des Wettbewerbs zu messen, achten die WissenschaftlerInnen zusätzlich auf sogenannte „informelle Normen“. Fleischer nennt ein Beispiel: „Es ist bislang noch nicht vorgekommen, dass die selbe Partei Innen- und Justizministerium erhält.“ Das gleiche gelte für Wirtschaft und Finanzen.

Bestimmte Ministerien sind für gewisse Parteien besonders wichtig. „Dahinter stecken Politik-Felder und -Ziele und damit natürlich auch Wähler.“ Fleischer erklärt dies anhand der grünen Partei, die klassischerweise ein Interesse am Umweltministerium habe – die liberale Partei im Gegenzug am Wirtschaftsministerium. „Wie sich das auf den Wettbewerb auswirkt, kann man schon an unseren Daten sehen.” Der fände dann meist innerhalb der Partei statt.

Bis die Ministerposten verteilt sind, können Beobachter außerhalb des Bundestags die gegenwärtigen Vorhersagen zumindest auf Kabinettwatch verfolgen. „Am Ende jedes Tages werden die Rohdaten generiert und das Modell entsprechend befüllt“, sagt Fleischer. „Am nächsten Morgen kann man die tagesaktuellen Veränderungen sehen und die ,Aktienkurse’ der Kandidaten ablesen.“

Als nächstes möchte die Professorin mit ihren KollegInnen der Digital Engineering Faculty an der Universität Potsdam Kabinettwatch so weiterentwickeln, dass es völlig automatisiert läuft und keine Hilfe mehr von menschlichen ProgrammiererInnen braucht. 2021, nach der nächsten Bundestagswahl, dann vielleicht sogar mit Ergebnissen in Echtzeit.

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