Heute scheint es unglaublich, aber beinahe hätte es Mr. Spock nicht gegeben. In den Sechzigerjahren erdachte ein gewisser Gene Roddenberry eine optimistisch angelegte TV-Serie namens „Star Trek“. Das Konzept: eine Crew, ein Raumschiff, der unendliche Weltraum. Ein Pilotfilm wurde vom Sender NBC geordert, fast zwei Monate lang produziert und 1965 präsentiert. Es war ein Desaster. Zu arm an Action und zu intellektuell, so lautete die Kritik. Eine Frau als erster Offizier und jede Menge wissenschaftlicher Kauderwelsch: das ging gar nicht. Aber vor allem eine Figur namens Spock stieß den NBC-Chefs damals auf. Der stets beherrschte Alien mit den spitzen Ohren und geschwungenen Augenbrauen wirke „santanisch“, polterten sie.
Eine logische Stimme in einer Zeit voller Zwietracht und Chaos.
Gene Roddenberry überarbeitete Skript und Serie — doch Spock blieb. Roddenberry kämpfte für ihn, weil er den talentierten Darsteller Leonard Nimoy unbedingt dabeihaben wollte. In allen 79 Folgen der Original-Serie und acht von zwölf „Star Trek“-Filmen gab Nimoy den Vulkanier-Mensch-Hybrid. Kontrolliert, intelligent, logisch und von einer unerschütterlichen Ruhe erfüllt, missverstanden ihn viele Zuschauer zunächst als emotionslosen Anti-Menschen. Nimoy selbst sah in Spock hingegen „eine logische Stimme in einer Zeit voller Zwietracht und Chaos.“ Doch steckte hinter der kühlen Fassade ein gefühlsgeladener Kern, der dann und wann aufflammte. Dann nämlich, wenn Spock mit einer hochgezogenen Braue Zuneigung, gar Liebe signalisierte, oder wenn sich in der vulkanischen Pubertät des Pon Farr Begierde und Wut plötzlich Bahn brachen.
Wir können und wollen nicht wie Kirk sein, sondern wie Spock!
Clever, geistreich, missverstanden: Damit wurde Mr. Spock schnell zur Identifikationsfigur all jener, die seit der „Star Trek“-Erstausstrahlung bis heute als „Nerds“, „Geeks“ oder „Freaks“ belächelt werden. Diejenigen, die wegen ihrer Interessen — sei es nun die Liebe zu Computern, Videospielen, Comics, Pen-and-Paper-Spielen oder etwas anderem — nicht der Norm entsprechen und als schräge Sonderlinge verspottet werden. Bestes (ebenfalls fiktives) Beispiel: Sheldon Cooper aus The Big Bang Theory. Spock zeigt, dass sie — nein, wir! — so, wie wir nun einmal sind, in einer Gesellschaft bestehen können; dass in vielen Momenten nicht Muskeln zählen, sondern Wissen, Kombinationsgabe und Verstand: Wir können und wollen nicht wie Kirk sein, sondern wie Spock!
Clever, geistreich, missverstanden: Damit wurde Mr. Spock schnell zur Identifikationsfigur all jener, die seit der „Star Trek“-Erstausstrahlung bis heute als „Nerds“, „Geeks“ oder „Freaks“ belächelt werden. Diejenigen, die wegen ihrer Interessen — sei es nun die Liebe zu Computern, Videospielen, Comics, Pen-and-Paper-Spielen oder etwas anderem — nicht der Norm entsprechen und als schräge Sonderlinge verspottet werden. Bestes (ebenfalls fiktives) Beispiel: Sheldon Cooper aus The Big Bang Theory. Spock zeigt, dass sie — nein, wir! — so, wie wir nun einmal sind, in einer Gesellschaft bestehen können; dass in vielen Momenten nicht Muskeln zählen, sondern Wissen, Kombinationsgabe und Verstand: Wir können und wollen nicht wie Kirk sein, sondern wie Spock!
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Leonard Nimoy verkörperte sein Alter-Ego derart virtuos, dass sich nicht nur die Geeks und Nerds in ihn hineinfühlen konnten. Nein, gleichzeitig half er vielen ebenso zu verstehen, was es bedeutet, ein solcher Geek oder Nerd zu sein. Für ihn unbegreiflich Dinge bezeichnete Spock stets als „faszinierend“. Auch die Menschen, die er mochte, aber eben nie vollends durchschaute. Eine Beziehung, die auf Gegenseitigkeit beruht — so wie auch die Beziehung von Nerds und Nicht-Nerds: Erstere schauen mit sanfter Belustigung auf jene, die mit ihren Windows-PCs kämpfen. Letztere lächeln angesichts der Massen, die sich in Kostümen auf Messen wie die Games Com und Comic Con herumschieben — immer jedoch auch mit Respekt.
Es ist fraglich, ob es ohne den 1931 geboren Nimoy als Spock heute Serien wie „The Big Bang Theory“ oder „The IT Crowd“ geben würde, in denen intelligente Sonderlinge ganz selbstverständlich die Helden mimen; TV-Serien bei denen Nerds über Nerd-Witze lachen, aber eben auch Nicht-Nerds mit den Nerds und über sie schmunzeln. Klar, Nimoy hat das nicht alleine bewirkt. Zweifelsohne aber hat seine Darstellung des Mr. Spock diese Entwicklung, die Akzeptanz und das Verständnis befeuert. Wie passend also, dass Spock über die Jahre vom Wissenschaftsoffizier der Enterprise über den Captain letztlich zum Botschafter erwuchs, der 2009 in J.J. Abrams „Star Trek“ und dem 2013 erschienen „Star Trek into Darkness“ seine Rolle an Zachary Quinto übergab.
Spock ist die Aufforderung zum Miteinander, zu Verständnis und Respekt, egal wie verschieden wir auch sein mögen.
Dabei haderte Nimoy lange mit der Figur, auf die er festgeschrieben schien. Er versuchte mehrmals in anderen Rollen aufzufallen — etwa als Fotograf und Sänger. Seine erste Autobiographie von 1975 betitelte er daher mit „I Am Not Spock“, nur um diese Aussage 1995 mit dem zweiten Buch „I Am Spock“ u revidieren: „Mr. Spock war mir stets eine Hilfe beim Versuch, ein würdevoller Mensch zu sein.“ Er war mit seinem Alter-Ego eine Symbiose eingegangen, die er schätzen lernte. Denn auch in anderen Rollen, wie der des William Bell in der TV-Serie „Fringe“, verkörperte er das Superhirn und warb öffentlich für Forschung, Wissenschaft und Bildung.
Nun ist Leonard Nimoy also tot. Er erlag am 27. Februar einer chronischen Lungenerkrankung. Nach Jahrzehnten als passionierter Raucher hatte er vor 30 Jahren den Zigaretten abgeschworen. „Nicht früh genug“, wie er selbstironisch auf Twitter anmerkte. Doch mit Mr. Spock hinterlässt er eine unsterbliche Figur, deren Essenz nicht durch Zeit und Raum begrenzt ist, sondern auf ewig fortbestehen kann: die Aufforderung zum Miteinander, zu Verständnis und Respekt, egal wie verschieden wir auch sein mögen. Damit waren Spock und Nimoy nicht nur Helden — sie werden es für immer sein. Nimoy selbst schrieb zuletzt: „Das Leben ist wie ein Garten. Man kann perfekte Augenblicke erleben, aber nicht festhalten. Außer in der Erinnerung.“ In diesem Sinne: Lebt lang und in Frieden.