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Warum die Sprache in „Farcry Primal“ wirklich aus der Steinzeit stammt

von Dominik Schönleben
Der neue Teil der Egoshooter-Serie „Farcry“ spielt weit in der Vergangenheit, im Jahr 10.000 vor Christus. Damit die Steinzeitwelt möglichst real wirkt, hat Ubisoft zwei Linguisten damit beauftragt, eine eigene Sprache zu erfinden. Im Gespräch mit WIRED erzählen sie, wie sie es geschafft haben, dass die fiktive Sprache „Wenja“ so echt wirkt — und warum das Wort für „Frau“ fast auch das Wort für „töten“ geworden wäre.

Als „Star Trek“ einst Klingonisch erfand, war das kaum mehr als eine Kuriosität. Ein Witz, mit dem man sich über jene Hardcore-Fans lustig machen konnte, die diese von einem Linguisten designte Sprache wirklich lernten. Heute hingegen zählt die Entwicklung eigener Sprachen zum Standard-Repertoire von Science-Fiction- und Fantasy-Produktionen — von der Sprache des Dothraki-Reitervolkes aus „Game of Thrones“ bis hin zu Na'vi, das die Außerirdischen in „Avatar“ sprechen.

Früher bestanden die meisten fiktiven Sprachen nur aus Wortfetzen oder Lauten, die melodisch miteinander verknüpft wurden — selten mit einer dahinterliegenden Grammatik und Struktur. „Star Wars“ ist eines der besten Beispiele. Oder man ließ fremdartige Wesen lieber gleich Englisch sprechen, um sich die Arbeit zu sparen. Genau das sei auch am Anfang der Entwicklung von „Farcry Primal“ passiert, erzählt Jean-Sebastien Decant, der Narrative Director des neuen Egoshooters von Ubisoft: „Englisch hat aber als Sprache einfach nicht funktioniert.“

Auch wenn viele der im Spiel gezeigten Waffen und Technologien, etwa Brandpfeile, erst Jahrtausende später erfunden wurden, passen sie zumindest gefühlt ins Szenario. Dass die Steinzeitmenschen hingegen Englisch miteinander sprechen, das hätte die Illusion gebrochen. Decant und seine Kollegen brauchten also eine neue Idee. Eine Steinzeitsprache namens „Wenja“ und zwei auf ihr basierende Dialekte sollen den Spielern das Gefühl vermitteln, in einer authentischen prähistorischen Welt gelandet zu sein.

Entwickelt wurde Wenja vom Ehepaar Brenna Reinhart Byrd und Andrew Byrd — beide Professoren für Linguistik an der University of Kentucky in den USA. Die fiktive Steinzeitsprache entsprang jedoch nicht ihrer Fantasie. Sie basiert auf einer wissenschaftlichen Theorie: Indogermanisch ist eine hypothetische Ursprache, die Sprachwissenschaftler in den vergangenen 250 Jahren aus sämtlichen europäischen Sprachen entwickelt haben — darunter Latein, Altgriechisch, Keltisch und Englisch.

Da die Menschen der Urzeit keine geschriebenen Aufzeichnungen hinterlassen haben, kann man ihr Vokabular und ihre Grammatik nicht einfach aus Schriftrollen oder Büchern erlernen. Sie müssen rekonstruiert werden. Nicht umsonst wird diese Zeit auch als Prähistorie bezeichnet, jene frühen Epochen der Menschheitsgeschichte, aus denen es keine Geschichtsschreibung gibt.

Doch wie rekonstruiert man eine Sprache, von der es keine Aufzeichnungen gibt? „Man muss sich die ältesten Merkmale einer Sprache genauer anschauen“, sagt Brenna Reinhart Byrd. Im Deutschen sind das zum Beispiel die unregelmäßigen Verben: Wörter wie „trinken“ oder „bringen“, die wir ohne offensichtlichen Grund verändern, wenn wir ihre Vergangenheit bilden. „Es handelt sich dabei um ältere Formen“, sagt Brenna Reinharrt Byrd.

„Um eine Sprache zu rekonstruieren, nimmt man an, dass diese alten Fragmente früher die regelmäßige Form waren.“ Man ersetzt also die heute üblichen sprachlichen Regeln durch jene, die nur übriggebliebene Reste sind. Meist findet man diese alten Fragmente in den Wörtern, die besonders häufig verwendet werden: Deshalb gibt es heute im Deutschen etwa die unregelmäßige Form für das Wort „sein“: ich bin, du bist, er/sie ist.

In jahrzehntelanger Kleinstarbeit haben Linguisten genau diese Rekonstruktion für alle Aspekte europäischer Sprachen vollzogen. Was ihnen dabei auffiel: Sie scheinen alle von einer einzigen Ursprache abzustammen. Diese Sprache nannten sie Indogermanisch. „Die meisten Linguisten nehmen an, dass Indogermanisch vor 5500 bis 6000 Jahren gesprochen wurde“, sagt Andrew Byrd. Die Sprache komme vermutlich dem am nächsten, was Steinzeitmenschen wirklich gesprochen haben.

Archäologen gehen davon aus, dass die Indo-Europäer ihre Sprache zusammen mit dem Ackerbau und der Viehzucht aus Vorderasien nach Europa gebracht haben. Allerdings: „Indogermanisch ist völlig hypothetisch“, sagt Andrew Byrd. „Es ist etwas, das aus Sprachen abgeleitet wurde, von denen man weiß, dass sie verwandt sind.“

Eigentlich wollte Ubisoft einfach Indogermanisch als Sprache in „Farcry Primal“ verwenden. Doch dann fiel den Designern des Spiels auf, dass diese Sprache sich viel zu kompliziert anhört. „Fast wie Latein oder Altgriechisch“, beschreibt Andrew Byrd den Klang. Also mussten die Bryds eine eigene Sprache entwickeln. Wenja sollte primitiv klingen, roh — wie eine Sprache, die Menschen weitere 5000 Jahre früher gesprochen haben könnten.

Das brachte Probleme mit sich: Die Entwicklung einer Sprache kann nur begrenzt lange zurückverfolgt werden. Wenn man annimmt, dass die Spezialfälle in der Urform einer Sprache regelmäßig waren, kann das dazu führen, dass die daraus entwickelte Sprache zu perfekt wird. Die rekonstruierte Sprache habe dann keine Unregelmäßigkeiten mehr, sagt Andrew Byrd, und das sei unrealistisch: „In der menschlichen Sprache gibt es immer Abweichungen von der Norm.“ Deshalb mussten die Wissenschaftler für Wenja neue grammatikalische Sonderfälle erfinden.

Trotzdem hat es die Ursprache Indogermanisch noch ins finale Spiel geschafft: „Am Ende entschieden wir uns dafür, dass der Izila-Stamm Indogermanisch sprechen sollte, wohingegen die Wenja und die Udam jeweils einen primitiveren Dialekt sprechen.“ Das sollte repräsentieren, dass die Izila technisch und intellektuell fortschrittlicher sind als die beiden anderen Stämme.

Die Byrds legten Wert darauf, dass Wenja rhythmisch klingt, die Betonung sollte stets auf der ersten Silbe liegen. Insgesamt 1200 Wörter hat ihre Steinzeitsprache, deren Wörterbuch als Teil der „Farcry Primal Collector's Edition“ veröffentlicht wird. Über 95 Prozent des darin enthaltenen Vokabulars sind aus dem Indogermanischen entlehnt oder existieren in ähnlicher Form in einer anderen Sprache. Meist wurden die Wörter verkürzt oder vereinfacht, damit man sie besser brüllen kann.

Dass solche Änderungen nicht immer unproblematisch sind, merkten die beiden Sprachforscher am Wenja-Wort für „Frau“, das bis kurz vor Schluss gleichbedeutend mit „töten“ war. Das war keineswegs Absicht, wie Andrew Byrd erklärt: „Das indogermanische Wort für Frau ist ,Gwen‘. Und das Wort für töten ist ,gwhen‘.“ Weil aber weder die beiden Sprachwissenschaftler, noch die englischen und französischen Schauspieler die Buchstabenfolge „gwh“ richtig aussprechen konnten, musste das „h“ aus dem Wortschatz der Wenja verschwinden. Auch der e-Laut wurde zur Vereinfachung der Sprache gestrichen und durch „o“ ersetzt. Plötzlich war aus beiden Wörtern „Gwon“ geworden.

Davon war Brenna Reinhart Byrd nicht begeistert: „Wir können nicht ein Wort haben, das gleichzeitig töten und Frau bedeutet. Das geht einfach nicht.“ Also wurde das Wort für Frau zu „Gwani“.

Die Forscher sind stolz, dass ihre Arbeit Eingang in die Story eines Videospiels gefunden hat. Auch für Brenna Reinhart Byrd waren es Geschichten, die ihr Interesse an Sprachen geweckt gaben. „Der Herr der Ringe“ und das Nibelungenlied hätten sie auf die Idee gebracht, Sprachwissenschaftlerin zu werden. Vielleicht, hofft das Paar, werden ihre zukünftigen Studenten einmal Ähnliches über „Farcry Primal“ sagen.

„Farcry Primal“ erscheint am 23. Februar für Xbox One und PlayStation 4. Die PC-Version folgt am 1. März. 

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