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Wie kleine E-Book-Verlage den Buchmarkt aufmischen

von Sebastian Ingenhoff
Texte veröffentlichen kann im digitalen Zeitalter jeder. Bücher verlegen prinzipiell auch. Neben Millionen von Self Publishern, die Plattformen wie Wattpad oder Neobooks mit Genreliteratur unterschiedlichster Qualität fluten, experimentieren kleinere E-Book-Verlage wie mikrotext, Das Beben, Frohmann, Badlands Unlimited oder Culturbooks mit Formaten in Text und Bild. Wie sehen diese aus und wo stößt das E-Book an seine Grenzen?

„Soll ich ins Kaffeehaus lesen gehen wie ein Oaschloch?“, fragte dir Wiener Autorin Stefanie Sargnagel die Schwarmintelligenz neulich via Facebook. Kaffeehausliteratur hat in der österreichischen Hauptstadt Tradition. Schon die Originale Peter Altenberg und Karl Kraus verfassten hier ihre Schmähschriften, meist fragmentarisch und oft auch nebenher. Zwischendrin trank man Kaffee, übte sich im Müßiggang, las auch mal ein Buch. Für Müßiggang hat Sargnagel dagegen kaum Zeit. Sie arbeitet im Callcenter, nebenher studiert sie Kunst in der Klasse des Malers Daniel Richter. Einen Großteil ihrer garstigen Kleinsttexte, die nicht nur gepostet werden, sondern auch schon in Buchform erschienen sind, verfasst sie während der Arbeitszeit. Dass sich viele Künstler mit Bullshit-Jobs durchbringen müssen, ist nicht neu. Dass sie die Bürozeit für etwas Sinnvolles nutzen können, gehört dagegen zu den Vorzügen des digitalen Zeitalters. Eine Sammlung von Sargnagels bissigen Alltagsbeobachtungen ist im März unter dem Titel „In Zukunft sind wir alle tot“ beim Berliner mikrotext-Verlag erschienen.

Früher konnte von Manuskriptabgabe bis Erscheinung ein Jahr vergehen. Heute kann man ein E-Book in nur zwei Wochen veröffentlichen.

Mikrotext veröffentlicht „gute Texte für zwischendurch“, wie Nikola Richter sagt. Die Berlinerin hat den E-Book-Verlag gegründet, um zeitgeistige und experimentelle Texte ohne großen Vorlauf herausbringen zu können. Zeitgeistig, weil sie auf aktuelle und auch politische Themen reagieren. Experimentell, weil sie eine Ahnung davon vermitteln, wie sich unser Verständnis von Literatur im Begriff ist zu verändern. Denn in Zeiten, in denen Facebook-Posts als Literatur durchgehen, möchte mancher Germanist vielleicht deprimiert aus dem Hölderlinturm springen. Für die studierte Literaturwissenschaftlerin Richter ist Facebook hingegen nicht bloß ein Medium der Selbstdarstellung, sondern auch Mittel zur politischen Agitation.

Der erste, im März 2013 veröffentlichte mikrotext hieß „Der klügste Mensch im Facebook“. Die Sammlung von Miniaturen des syrischen Schmieds Aboud Saeed gewährt Einblicke in die Kriegsregion, die man bei Tagesschau, Spiegel Online und Konsorten nicht bekommt. Der Text wurde von einem Essay von Alexander Kluge begleitet, der darüber dozierte, wie man im digitalen Zeitalter kreativ und schnell publizieren kann und sollte.

Ein Vorteil für Autoren, Verleger und Leser liegt auf der Hand: Während bei einem Buch in Papierform schon mal ein Jahr von Manuskriptabgabe bis zum Erscheinungstermin vergeht, kann Richter ihre Texte ohne großen finanziellen Aufwand innerhalb von zwei Wochen veröffentlichen und so tatsächlich Literatur zur Zeit schaffen. Auf diese Weise entstehen Mischformen aus literarischen und journalistischen Texten wie „Berliner Asphalt“ oder politische Zeitdokumente wie „Mein Brief an die NSA“ von Sebastian Christ, die schick designt und mit Covern in knalligen Farben für 1,99 Euro zum Download angeboten werden.

Das E-Book ist voller skurriler Fotos und flirrender GIFs, die Künstler unter Meskalin-Einfluss geschaffen haben.

Auch der Berliner „Verlag für unerhörte Elektronovellen“ Das Beben hat ein Faible für handliche Prosa. 2013 von einer Handvoll Buchmenschen gegründet, um „Platz für ungewöhnliche, eigenwillige und pointierte Texte zu schaffen“, wie es auf der Website heißt, versucht man das etwas angestaubte Image der Novelle aufzupolieren und die literarische Form für Einflüsse aus Science Fiction, Horror und sonstiger  Genreliteratur zu öffnen. Öffentlichkeitsarbeit macht der Verlag über einen Blog, auf dem zum Beispiel Interviews mit den Autoren und Verlagsmachern zu lesen sind. Die Cover bei Das Beben sind angelehnt an Comics und B-Movie-Plakate. Unter den Autoren finden sich auch bekanntere Namen wie Tobias Hülswitt, der sonst bei Kiwi oder Suhrkamp publiziert.

Badlands Unlimited, gegründet von dem New Yorker Künstler Paul Chan, lotet die Grenzen des Buches hingegen inhaltlich wie formalästhetisch aus. Das Kunst-E-Book „Mans in the mirror“ ist das erste seiner Art in 3D. Es enthält skurrile Fotoexponate und flirrende GIF-Animationen verschiedener Künstler, die unter Einfluss der Droge Meskalin entstanden sind und die der Betrachter mit einer 3D-Brille anschauen muss. Neben Büchern des Badlands Teams bietet der Verlag auch Textkunst von bekannten Exzentrikern wie Marcel Duchamp oder Hans Ulrich Obrist an. Die Texte von Badlands Unlimited sind mit Video- und Audioeinsprengseln durchsetzt und interaktiv gestaltet. Sätze ergießen sich kaskadenartig über den Bildschirm, verschwinden plötzlich oder drehen sich im Kreis, bis einem schwindelig wird.

Ein Verlag wie gemacht für Mark Z. Danielewski. Der amerikanische Schriftsteller hat zur Jahrtausendwende durch seinen mit unzähligen Fußnoten und typografischen Spielereien gespickten Hypertextroman „House Of Leaves“ die Grenzen des Buchdruckes ausgelotet. Der Roman handelt von einem labyrinthartig strukturierten, unheimlichen Haus, in dessen Kellerräumen sich ein Forscherteam verliert. Analog zur rätselhaften Struktur des Hauses und seiner Geschichte stehen Textpassagen auf dem Kopf oder sind spiegelverkehrt angeordnet, fügen sich Filmskripte, Zeichnungen und kryptische Symbole auf abenteuerliche Weise in den Text. Danielewskis neuestes Projekt geht noch ein paar Schritte weiter. „The Familiar“ ist ein 27-bändiger Roman, an dem ein halbes Dutzend Grafiker, Co-Autoren und Übersetzer mitarbeiten. Die Geschichte soll sich an komplexen HBO-Serien orientieren und textlich und ästhetisch wuchern.

Ein Traum für den digitalen Verleger, sollte man meinen, doch Danielewski ist trotzdem enttäuscht von den derzeitigen technischen Möglichkeiten digitaler Buchkultur. Den typografischen Anforderungen von „The Familiar“ würden die neuen Formate nicht wirklich gerecht, erklärte er dem britischen Kulturmagazin The Skinny in einem Interview. Allein das Erstellen eines PDFs des für Anfang 2015 geplanten ersten Bandes hätte seinen Computer zum Absturz gebracht, eben wegen der aufwändigen Text-Grafik-Konstellation. Muss er also weiter seine Schinken ins Kaffeehaus schleppen. Vorläufig zumindest. 

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