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Wie die Superreichen aus dem Silicon Valley sich auf den Weltuntergang vorbereiten

von Evan Osnos
Sie haben Geld und Angst vor dem Ende der Welt: Superreiche aus dem Silicon Valley und anderen Teilen der USA bereiten sich auf den Ernstfall vor. Sie mieten Bunker, kaufen Helikopter und erwerben Grundstücke in Neuseeland. Kritiker dieser sogenannten Survivalists sagen: Sie machen es sich zu leicht, Flucht ist keine Lösung. Eine Reise zu den Orten, an denen man die Apokalypse überleben können soll.

Im November 2015 ließ sich Steve Huffman wegen Kurzsichtigkeit die Augen lasern. Der 33-jährige Mitgründer und CEO von Reddit machte das nicht aus Gründen der Bequemlichkeit oder um ohne Brille besser auszusehen. Huffman hatte einen Grund, über den er normalerweise nicht spricht: Er hofft, dass gute Augen ihm helfen, die kommende Katastrophe zu überleben, sei es nun eine Naturkatastrophe oder eine von Menschen gemachte. „Wenn die Welt untergeht – und nicht nur dann, sondern wenn eine größere Notlage eintritt – wird es unglaublich schwer werden, sich Kontaktlinsen oder Brillen zu beschaffen“, sagt er. „Ohne die bin ich komplett aufgeschmissen.“

Der in San Francisco lebende Huffman hat große blaue Augen, dichtes sandfarbenes Haar und strahlt eine unruhige Neugier aus. An der Universität von Virginia kannte man ihn als Tänzer, der an Wettbewerben teilnahm – und dafür, aus Spaß die Website seines Mitbewohners gehackt zu haben. Wenn Huffman von der Katastrophe spricht, richtet sich seine Sorge nicht so sehr auf spezifische Ereignisse, etwa ein Erdbeben am San-Andreas-Graben, eine Pandemie oder die Explosion einer Schmutzigen Bombe, sondern auf die Zeit danach. Er nennt es die Angst vor „dem vorübergehenden Zusammenbruch unserer Regierung und Struktur“. Mehrere Motorräder, „einen Haufen Waffen, Munition und Nahrung“, all das horte er bereits und könne es damit wohl „versteckt in meinem Haus einige Zeit aushalten“, sagt Huffman.

Wenn man sich einen Menschen vorstellt, der sich auf das Auseinanderbrechen der Zivilisation vorbereitet, sieht man vor dem inneren Auge den typischen Mann im Holzfällerhemd mit Aluhut, einen hysterischen Sammler von Bohnen in Dosen oder einen religiös abgedrifteten Hobbyprediger, der das Ende der Welt kommen sieht. Die Wahrheit ist, dass der sogenannte Survivalism in den vergangenen Jahren auf ganz andere Bereiche der Gesellschaft übergeschwappt ist. Man findet Anhänger im Silicon Valley und in New York City, unter Technologie-Experten und bei Hedgefonds-Managern.

Im Frühjahr 2016, als der Präsidentschaftswahlkampf in den USA eine immer drastischere Teilung der Gesellschaft zum Vorschein brachte, kaufte Antonio García Martínez ein riesiges Waldgrundstück auf einer Insel im Nordwestpazifik. Er brachte mit: Generatoren, Solarpanelen und massenhaft Munition. „Wenn eine Gesellschaft ihren Gründungsmythos verliert, endet alles im Chaos“, sagt der 40-jährige ehemalige Produktmanager bei Facebook und Autor der bitteren Silicon-Valley-Abrechnung Chaos Monkeys. García Martínez wollte einen Zufluchtsort, der weit entfernt von Städten ist, aber nicht komplett isoliert. „All diese Typen denken, man könnte als Einzelner gegen den wütenden Mob bestehen“, sagt er. „Nein, man braucht auf jeden Fall eine Art lokale Miliz. Insgesamt braucht man sehr viel, um die Apokalypse zu überstehen.“

Ein Bürgerkrieg oder ein riesiges Erdbeben, das Kalifornien unbewohnbar macht – darauf wollen wir vorbereitet sein

Tim Chang, Direktor der Investmentfirma Mayfield Fund

Als García Martínez den Leuten, mit denen er in der Bay Area zu tun hatte, von seiner kleinen Insel erzählte, begannen einige von ihnen wiederum, von ihren eigenen Weltuntergangsvorbereitungen zu sprechen. „Vermutlich sind Menschen, die sich sehr genau anschauen, wie die Gesellschaft funktioniert, sensibilisiert dafür, dass wir uns alle auf sehr dünnem kulturellen Eis bewegen“, sagt der Buchautor.

In privaten Facebookgruppen tauschen wohlhabende Überlebenskünstler Tipps über Gasmasken, Bunker und Orte aus, die nicht vom Klimawandel betroffen sein werden. Einer von ihnen, der Chef einer Investmentfirma, sagt etwa: „Ich habe ständig einen vollgetankten Helikopter bereitstehen und besitze einen Bunker mit Luftfiltersystem.“ Damit gelte er zwar selbst in seinem Umfeld als „extrem“, aber viele seiner Freunde würden sich durchaus auch mit Waffen, Motorrädern und Goldmünzen eindeckten. „Das ist nicht mehr so selten heutzutage“, fügt er hinzu.

Der 44-jährige Tim Chang, Direktor der Investmentfirma Mayfield Fund, erzählt: „Es gibt im Valley einen ganzen Haufen von uns. Wir treffen uns, sprechen erst mal über Finanzen und dann über unsere jeweiligen Pläne für den Tag X.“ Da gehe es dann um Fragen wie die, ob es sinnvoll sei, Bitcoins zu horten, wie man an einen zweiten Pass komme und in welchem Land sich ein Ferienhaus lohne, um zur Not dorthin fliehen zu können. „Ich kaufe derzeit eine Menge Immobilien“, sagt Chang. So generiere er passives Einkommen und habe gleichzeitig Zufluchtsmöglichkeiten. Er und seine Frau, die in der Tech-Branche arbeitet, halten ständig gepackte Koffer für sich und die vierjährige Tochter bereit. Chang erzählt von seiner Horrorvorstellung: „Ein Bürgerkrieg oder ein riesiges Erdbeben, das Kalifornien zum Teil unbewohnbar macht – darauf wollen wir vorbereitet sein.“

Als Marvin Liao seine Vorräte begutachtete, fürchtete er, dass Wasser und Nahrung für den Fall der Fälle nicht reichen würden. Wie würde er sie gegen andere verteidigen? Um Frau und Tochter schützen zu können, habe er sich zwar keine Schusswaffen zugelegt, wohl aber andere. „Ich habe Unterricht im Bogenschießen genommen“, sagt der frühere Yahoo-Manager, der heute Partner bei der Investmentfirma 500 Startups ist.

Diese Weltuntergangsvorbereitungen könnte man als typisches Männerhobby ansehen, als eine Art real gewordener Science-Fiction mit Zubehör. Aber einigen Survivalisten ist es bitterernst. Steve Huffman etwa sagt, der Auslöser für ihn sei der Film Deep Impact von 1998 gewesen, der die Folgen eines Asteroiden-Einschlags auf der Erde zeigt. „Jeder will fliehen, alle stecken im Stau.“ Ausgerechnet nahe seiner alten Schule sei das gefilmt worden, erzählt Huffman. Seitdem habe er jedes Mal, wenn er die Straße entlanggefahren sei, gedacht: „Ich brauche ein Motorrad, jeder ohne hätte hier keine Chance.“

Huffman war schon oft auf dem Burning-Man-Festival in der Wüste von Nevada, einem jährlichen Kleidung-ist-optional-Event, bei dem Künstler sich mit Mogulen mischen. Der Reddit-Mann verliebte sich in das Prinzip des Festivals: „radikale Eigenständigkeit“. Das habe er so interpretiert, dass jeder „gern anderen helfen, aber die Hilfe anderer nicht nötig haben“ solle. (Entsprechend gilt die Abkürzung FEMA für die Federal Emergency Management Agency unter Überlebenskünstlern vom Schlage Huffmans als Kurzform von „Foolishly Expecting Meaningful Aid“ – törichtes Erwarten sinnvoller Hilfe). Huffman stellt sich vor, dass er im Katastrophenfall Gleichgesinnte suchen und die Gruppe vermutlich auch leiten wird. „Ich werde auf jeden Fall kein Befehlsempfänger sein“, ist er sich sicher.  

Im Laufe der Jahre ist Huffman mehr und mehr in Sorge geraten bezüglich der politischen Stabilität in den USA. Er fürchtet einen Großaufstand, bei dem „alles Institutionalisierte kollabiert und nichts mehr transportiert werden kann“. Unter Survivalisten ist hierfür die Abkürzung W.R.O.L. üblich – Without rule of law, gesetzlos also. Unser derzeitiges Leben, so Huffman, beruhe auf einer sehr fragilen Übereinkunft. „Wir vertrauen alle darauf, dass unser Land funktioniert, dass unsere Währung wertvoll ist, dass die friedliche Übertragung von Macht sinnvoll ist. Wir vertrauen darauf, dass all das schon funktioniert, nur weil wir daran glauben.“ Die USA hätten schon viel erreicht und viel ausgehalten, „aber es wird noch einiges mehr auf uns zukommen“.

Als er Reddit aufbaute und damit Abertausenden die Möglichkeit gab, online zu diskutieren, und als die Website zu einer der meistgenutzten weltweit wurde, habe er einiges daraus gelernt, sagt Huffman. Vor allem dass Technologie die Beziehung der Menschen zueinander verändert, mit positiven wie negativen Konsequenzen. Er konnte miterleben, wie Social Media bei öffentlicher Angst wie eine Art Vergrößerungsglas wirkt: „Es ist offensichtlich leichter für Menschen, in Panik zu verfallen, wenn sie zu mehreren sind.“ Das Internet erleichtere es, Gleichgesinnte zu treffen und sich schneller über mögliche Krisenszenarien auszutauschen. Lange vor der Finanzkrise 2008 schlichen sich demnach Hinweise auf das bevorstehende Problem in die Kommentarthreads ein. Reddit-User begannen über Hauskredite zu schreiben, die allzu leicht zu haben seien. „Zu gut um wahr zu sein“, hätten manche kommentiert. „Die Risse im Fundament zeigen sich am ehesten auf Social Media“, sagt Huffman.

Warum aber ist gerade das Silicon Valley der Ort, an dem sich Menschen so gern mit Weltuntergangsszenarien beschäftigen? Widerspricht das nicht dem gängigen Klischee der Region als Zentrum derer, die glauben, die Welt zum Besseren verändern zu können?

Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch wirkt, ist bei näherem Hinsehen kein ganz so großer: Technologie belohnt die Fähigkeit, sich in Zukunftsszenarien hineinzudenken. So erklärt es Roy Bahat, Chef von Bloomberg Beta, einer Investmentfirma aus San Francisco: „Wenn man das macht, denkt man oft so weit, dass irgendwann die Utopie kommt – oder eben die Dystopie.“ Weit in die Zukunft zu denken führe entweder zu radikalem Optimismus, etwa dazu, dass Menschen ihre Körper kurz nach dem Tod einfrieren lassen, um von späteren medizinischen Durchbrüchen profitieren zu können. Oder es führe geradewegs in Katastrophenszenarien. Tim Chang, der Investor, der quasi immer auf gepackten Koffern sitzt, sagt dazu: „Mein derzeitiger Status: Ich schwanke zwischen Optimismus und reinem Terror.“

Ein paar Säcke Reis und fünf Dosen Tomaten haben wir gekauft. Wir wären tot gewesen!

Justin Kan, Mitgründer von Twitch

In den vergangenen Jahren ist Survivalism immer tiefer in die Mainstream-Kultur eingedrungen. 2012 zeigte der National Geographic Channel die Realityshow Doomsday Preppers, in der es um Amerikaner ging, die sich auf das vorbereiten, was als S.H.T.F abgekürzt wird: when the shit hits the fan. Vier Millionen Zuschauer sahen die Premiere, zum Ende der ersten Staffel war sie Sendung die populärste des ganzen Kanals. National Geographic fand durch eine Umfrage heraus, dass rund 40 Prozent aller US-Amerikaner der Überzeugung sind, dass es sinnvoller ist, Vorräte anzulegen oder Bunker zu bauen als in die Rentenversicherung 401(k) zu investieren.

Barack Obamas zweite Amtszeit war ein Segen für die Prepper-Industrie. Konservative, die Obama beschuldigten, ethnische Spannungen zu schüren, das Recht auf Waffen einzuschränken und die Verschuldung des Landes zu vergrößern, deckten sich mit haltbaren Nahrungsmitteln ein, ganz wie Kommentatoren wie Glenn Beck und Sean Hannity es ihnen im Fernsehen rieten. Es gab Fachmessen unter dem Stichwort „Bereit sein“, bei denen man Nähen von Wunden lernen (an Schweinefüßen) und sich mit bekannten Überlebenskünstlern aus der TV-Serie Naked and Afraid fotografieren lassen konnte.

Im Silicon Valley waren die Sorgen ein bisschen anders gelagert. Etwa zu der Zeit, als Huffman auf Reddit erste Anzeichen für die Finanzkrise spürte, kam bei Justin Kan das Thema Survivalism überhaupt erst Bekanntenkreis auf. Der Mitgründer des Gaming-Networks Twitch, das später für fast eine Milliarde Dollar an Amazon verkauft wurde, sagt: „Einige meiner Freunde sprachen plötzlich davon, dass der Zusammenbruch der Gesellschaft offensichtlich unvermeidbar ist und man Vorräte anlegen sollte.“ Das habe er dann auch versucht, allerdings etwas halbherzig: „Ein paar Säcke Reis und fünf Dosen Tomaten haben wir gekauft. Wir wären tot gewesen, hätte es ein ernsthaftes Problem gegeben!“ Seine Antwort auf die Frage danach, was er und die anderen Prepper in seinem Freundeskreis gemeinsam haben, sagt Kan: „Geld und Ressourcen.“

Yishan Wong war ein früher Facebook-Mitarbeiter und von 2012 bis 2014 Reddit-CEO. Wie Huffman hat er sich die Augen lasern lassen, um unabhängig zu bleiben, wie er sagt. So sei er nie „auf Hilfe von außen angewiesen, um perfekt sehen zu können“. Auf Fragen antwortet er per E-Mail: „Die meisten Menschen gehen davon aus, dass unwahrscheinliche Ereignisse nicht eintreten. Aber Leute aus der Tech-Branche gehen Risiken sehr viel mathematischer an.“ Das bedeute nicht zwingend, dass jeder in diesen Kreisen damit rechne, dass die Gesellschaft sehr wahrscheinlich bald kollabiere. „Das ist noch immer ein weit entferntes Ereignis, aber eines mit sehr schwerwiegenden Folgen, sollte es eintreten“, sagt Wong. „Also ist es nur logisch, von dem vielen Geld, das man besitzt, einen guten Teil in die Vorbereitung darauf zu investieren.“

Wie viele wohlhabende US-Amerikaner sind es, die sich auf die Katastrophe einstellen? Das lässt sich nicht ganz sicher sagen. Viele reden ungern darüber. („Anonymität ist unbezahlbar“, sagt etwa ein Hedgefonds-Manager.) Manchmal kommt das Thema urplötzlich in einem anderen Zusammenhang auf. Reid Hoffman zum Beispiel, ein bekannter Investor und Mitgründer von LinkedIn, erinnert sich daran, einem Freund von seinen Reiseplänen nach Neuseeland erzählt zu haben. „Oh, wirst du dort eine Apokalypsenversicherung abschließen?“, habe der Freund daraufhin gefragt. Hoffman konnte das zunächst nicht einordnen. Er wusste noch nicht, dass Neuseeland als beliebter Zufluchtsort für den Fall der Fälle gilt. Wenn jemand sage, dass er ein Haus in Neuseeland kaufen wolle, werde das mittlerweile oft als Wink mit dem Zaunpfahl gewertet. Oft gehe es dann etwa um Makler, die „alte Raketensilos“ anböten, in denen man Schutz vor Atomschlägen finden könne.

Hoffman geht davon aus, dass „mehr als 50 Prozent“ aller Silicon-Valley-Milliardäre eine Art Apokalypsenversicherung abgeschlossen haben – in Form von Zufluchtsorten außerhalb der USA. „Allerdings ist das nicht immer ganz zu trennen von der Entscheidung, dort ein Ferienhaus zu kaufen“, sagt der Investor. „Die Beweggründe der Menschen sind komplex.“ Es sei eben beruhigend zu wissen, etwas gegen das getan zu haben, was einem latent Angst mache.

Wir halten uns für überlegene Giganten, die vom Schicksal verschont bleiben müssen, auch wenn wir in Wirklichkeit die sind, die versagt haben

Max Levchin, Mitgründer von PayPal

Wobei nicht nur das irgendwann drohende Ende der Welt im Silicon Valley für Unruhe sorgt, sondern etwa auch die Tatsache, dass Künstliche Intelligenz mittelfristig Jobs verdrängen wird. „Wird sich die Bevölkerung irgendwann gegen die Reichen wenden? Werden sie gegen den technologischen Fortschritt angehen? Führt das zu Aufständen?“, fragt Hoffman.

Noch sei der Punkt nicht erreicht, an dem offen über die Apokalypse gesprochen werde, sagt der CEO einer anderen Tech-Firma. Allerdings wäre das aus seiner Sicht logisch und vernünftig. Er erwähnt die mutmaßlich russische Cyberattacke auf das Democratic National Committee und den großen Hack im Oktober, der das gesamte Internet der USA und Westeuropas beeinträchtigte. „Unsere Nahrungsmittelversorgung hängt von GPS, Logistik und Wettervorhersagen ab“, sagt der CEO. „Und das alles hängt am Internet.“ Das Internet wiederum hänge an der DNS, dem System für das Management von Domain-Namen. „Wenn man die einzelnen Risikofaktoren nimmt und sich bewusst macht, dass man nicht mal alle kennt: Wie groß sind dann eigentlich die Chancen, dass innerhalb der nächsten 50 Jahre nichts passiert?“

Dass Survivalism sich ausbreitet, erkennt man auch daran, dass Menschen anfangen, sich dagegen auszusprechen. Max Levchin, Mitgründer von PayPal und Affirm, sagt: „Es gibt etwas im Silicon Valley, das mir wirklich zuwider ist: die Vorstellung, dass wir überlegene Giganten sind, die vom Schicksal verschont bleiben müssen, auch wenn wir in Wirklichkeit die sind, die versagt haben.“ Levchin sieht die Vorbereitung auf die Apokalypse als moralische Falschrechnung. Wenn er auf Partys in Survivalism-Gespräche verwickelt wird, beendet er sie schnell. Er frage dann einfach: „Ihr habt Angst, dass das Volk sich erhebt? Wie viel Geld habt ihr in letzter Zeit an Obdachlosenunterkünfte gespendet?“ Damit weise er auf das wahre Problem hin: die riesigen Einkommensunterschiede. „Alle anderen Ängste, die die Menschen vorbringen, sind künstlich“, argumentiert Levchin. Es gehe darum, jetzt Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden, nicht die Flucht vorzubereiten. „Wir befinden uns gerade an einem Punkt, an dem es der Wirtschaft noch recht gut geht. Wenn sich die Lage verschlechtert, wird sich auch die Situation vieler Menschen weiter verschlechtern. Was erwartet uns dann?“, fragt der PayPal-Mitgründer.

Jeder in der Community kennt jemanden, der Angst hat, die USA bewegten sich in Richtung Russische Revolution

Robert H. Dugger, Partner beim Hedgefonds Tudor Investment Corporation

An der Ostküste werden ganz ähnliche Unterhaltungen in den Finanzkreisen geführt. „Jeder in dieser Community kennt jemanden, der Angst hat, die USA bewegten sich in Richtung Russische Revolution“, sagt Robert H. Dugger, Partner beim globalen Hedgefonds Tudor Investment Corporation und früherer Finanzlobbyist.

Er beobachte zwei Arten von Reaktionen. Im Prinzip wisse jeder, dass die einzige Antwort „Löst das Problem!“ laute. Deshalb gebe es eine Menge wohlhabender Menschen, die für gute Zwecke spendeten. Andererseits investierten oft dieselben Menschen in Fluchtmöglichkeiten. Dugger erinnert sich an ein Abendessen in New York nach dem 11. September und dem Platzen der Dotcom-Blase. Schon damals hätte „eine Gruppe von Mehrfach-Millionären und einigen Milliardären über verschiedene Szenarien für die Apokalypse gesprochen“. Viele hätten gesagt, dass sie ihre Flugzeuge bereithielten, um an die Westküste fliegen zu können oder gleich in andere Länder. Ein Gast habe nachgefragt, ob denn dann auch die Familie des Piloten mitreisen dürfe. Und was wäre mit den Angestellten? Wie viele Menschen aus dem täglichen Leben müsste jeder mit in sein Flugzeug nehmen, wenn die Revolutionäre vor der Tür stünden? „Letztlich mussten die meisten zugeben, dass so eine Art von Flucht schwer zu machen ist“, erinnert sich Dugger.

Die Angst der Eliten vor Unruhen ist unabhängig von politischen Vorlieben. So sehen selbst die, die Trump im Wahlkampf finanziell unterstützten, es mit Sorge, dass seine Kampagne offensichtlich mit dazu beigetragen hat, dass Menschen den Respekt vor etablierten Institutionen verlieren. Dugger sagt: „Die Medien werden attackiert, als nächstes womöglich die Gerichte. Kommen nach ‚Fake News’ die ‚Fake Evidence’? Das könnte dann zur Frage von Leben oder Tod für Menschen werden, die auf rechtlich bindende Verträge angewiesen sind.“

Robert A. Johnson sieht den Trend zum Fluchtszenario als Symptom einer tiefergehenden Krise. Der 59-Jährige mit Abschlüssen als Elektroingenieur und Ökonom am MIT sowie einem Doktortitel in Wirtschaft an der Princeton University arbeitete fürs US-Parlament, bevor er Chef des Hedgefonds Soros Fund Management wurde. Seit 2009 ist er Chef der Denkfrabrik The Institute for New Economic Thinking. Beim Besuch in seinem Büro in New York erzählt er, er kenne die Sorge vor Veränderungen zum Schlechteren aus eigener Anschauung: Als Kind in Detroit habe er den Niedergang der Stadt miterlebt. „New York erinnert mich an damals“, sagt Johnson. Immer wieder höre er in seinem Bekanntenkreis, dass es sinnvoll sei, „ein Privatflugzeug und darin auch Platz für die Familie des Piloten“ zu haben.

Anfang 2015 war für Johnson der Moment gekommen, ab dem er alarmiert war: Die Ungleichheit bei Einkommen war so groß geworden, dass einige der reichsten Menschen der Welt anfingen, mehr für ihre eigene Sicherheit zu tun. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos sagte Johnson dem Publikum: „Ich weiß, dass es überall in der Welt Hedgefonds-Manager gibt, die Land in Gegenden der Welt kaufen, die ihnen als Zuflucht dienen könnten.“

Johnson wünscht sich, dass die Reichen einen viel stärkeren Gemeinschaftssinn entwickeln, der eine Offenheit für politische Veränderungen miteinschließt, etwa für eine höhere Erbschaftssteuer. „25 Hedgefonds-Manager verdienen mehr Geld als alle Kindergärtnerinnen und Kindergärtner in den USA zusammen“, sagt er und fügt hinzu, dass viele Manager längst fühlten, dass das keine ideale Situation sei. „Sie sind sensibel für die Ungleichheit geworden.“

Warum machen sich ausgerechnet diejenigen, die wir als so mächtig bewundern, die meisten Sorgen?

Robert A. Johnson, Institute for New Economic Thinking

Im Dezember 2016 veröffentlichte das National Bureau of Economic Research eine Analyse der Ökonomen Thomas Piketty, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman, wonach die Hälfte aller Erwachsenen in den USA „seit den 70er Jahren vollständig vom wirtschaftlichen Wachstum ausgeschlossen sind“. Etwa 117 Millionen US-Bürger verdienen demnach in etwa das, was sie bereits in den 80er Jahren verdient haben, während das Einkommen für das obere eine Prozent sich in der Zeit fast verdreifacht hat. Das sei vergleichbar mit den Einkommensunterschieden zwischen dem, was US-Bürger durchschnittlich verdienen, und dem, was das Durchschnittseinkommen in der Demokratischen Republik Kongo sei.

Johnson sagt: „Wenn wir eine bessere Einkommensverteilung hätten und deutlich mehr Geld und Energie in das öffentliche Schulsystem, in Parks, Museen und die Gesundheitsversorgung stecken könnten, würde das viele gesellschaftliche Spannungen auflösen.“ In diesen Bereichen sei viel zu viel abgebaut worden.

Während öffentliche Einrichtungen zerfallen, wird die Sorge der Eliten ums eigene Wohl größer und zum nationalen Dilemma. „Warum sind ausgerechnet diejenigen, die wir als so mächtig bewundern, die, die sich die meisten Sorgen machen?“, fragt Johnson. „Was sagt das über unser System aus?“ Ausgerechnet die Menschen, die über die meisten Ressourcen verfügten, seien nun diejenigen, die im übertragenen Sinne bereit seien, mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug zu springen.

An einem kühlen Abend Anfang November fahre ich mit einem Leihwagen von Wichita, Kansas gen Norden, weg aus der Stadt und raus aufs Land. So weit, bis zwischen Sojabohnenfeldern und Mais ein großes Stahltor zu sehen ist. Davor ein Wachmann in Tarnkleidung mit einem halbautomatischen Gewehr in der Hand.

Auf dem Gelände erwartet mich ein riesiges Betongebäude, dessen massive Metalltür halb offen steht. Larry Hall steht dort, der CEO des Survival-Condo-Projekts, einem 15 Stockwerke hohen Luxusapartment-Komplex auf dem Gelände ehemaliger Raketensilos. In den 60er Jahren lagerten hier Atomsprengköpfe. Einst als Reaktion auf die Gefahr eines sowjetischen Angriffs errichtet, dient der Ort nun der Verteidigung gegen die Ängste der Gegenwart. „Es geht hier um echte Entspannung für die Ultrareichen“, sagt Hall. „Sie kommen hierher und wissen, dass sie gut bewacht werden. Die Kinder können herumlaufen.“

Die Idee für das Projekt kam Hall vor etwa zehn Jahren, als er las, dass die Regierung wieder mehr in die Katastrophenplanung investierte. Nach dem Anschlag vom 11. September hatte US-Präsident George W. Bush Regierungsangestellte per Hubschrauber und Bus in Bunker transportieren lassen, dort dann aber festgestellt, dass Computer und anderes Equipment längt nicht mehr auf dem neuesten Stand waren. Bush ordnete an, dass die USA sich wieder mehr auf Katastrophenszenarien konzentrieren sollten. Er führte Katastrophenübungen für die gesamte Administration ein, die auch die Nachfolgeregierung weiterführte: 2015 etwa rüstete man sich gegen simulierte Hurricanes, Atomschläge, Erdbeben und Cyberattacken.

„Ich fragte mich: Was weiß die Regierung, was wir nicht wissen?“, sagt Hall. 2008 kaufte er das Silo für 300.000 Dollar und baute es bis Ende 2012 um. Das kostete ihn fast zwei Millionen Dollar. Er schuf zwölf Privatwohnungen, die er anschließend für je drei Millionen Dollar verkaufte – bis auf die, die er für sich selbst behalten wollte.

Die meisten Prepper haben keine echten Bunker. So etwas zu bauen, ist teuer und komplex. Die Originalhülle, die Hall übernahm, wurde einst von Armee-Ingenieuren entworfen, um einem Atomangriff widerstehen zu können. Innen ist Platz für 75 Menschen, Nahrung und Benzin reichen für fünf Jahre. In Aquarien schwimmen Tilapia-Fische, unter speziellen Lampen wächst Gemüse, gespeist aus erneuerbarer Energie, wie Hall erklärt. Falls es hart auf hart komme, würde er mit SWAT-Team-artigen Trucks alle Apartmentbesitzer aus einem Umkreis von bis zu 400 Meilen abholen. Und diejenigen mit eigenem Flugzeug könnten in Salina landen, etwa 30 Meilen entfernt. Die Armee habe damals sehr viel Mühe investiert, um diesen Ort zu finden: über dem Meeresspiegel, seismologisch okay und ausreichend weit entfernt von stark besiedelten Regionen.

Hall ist Ende 50, er hat Wirtschaft und Informatik am Florida Institute of Technology studiert, um sich dann auf Netzwerke und Datenzentren zu spezialisieren. Er arbeitete für Norhrop Grumman, die Harris Corporation und andere Rüstungsunternehmen. Heute pendelt er zwischen dem Silo und seinem Zuhause in einem Vorort von Denver, wo seine Frau und der gemeinsame Sohn wohnen.

In dem Gebäudekomplex in Kansas hat man ein wenig das Gefühl einer eleganten und gut ausgestatteten Skihütte – nur ohne Fenster: Billardtisch, Ledercouches, Besteck aus rostfreiem Stahl. Um den Raum so gut wie möglich auszunutzen, hat sich Hall bei Einrichtern von Kreuzfahrtschiffen inspirieren lassen. Bei meinem Besuch ist auch Mark Menosky dabei, ein Ingenieur, der sich um das Alltagsgeschäft kümmert. Hall erzählt, dass es die größte Herausforderung des Projekts war, den Alltag unter der Erde erträglich zu machen. Er informierte sich ausführlich über Möglichkeiten, Depression zu vermeiden (mehr Licht), Cliquenbildung zu verhindern (Hausarbeiten immer wieder neu verteilen) und das Leben, das man überirdisch führt, hier unten zu simulieren. An den Wänden hängen LED-Bildschirme, die die Prärie der Außenwelt live übertragen. Man kann dort auch andere Ausblicke wählen, einen Wald zum Beispiel. Eine Kundin aus New York wollte den Central Park sehen – und hören: „Sie wollte alle Geräusche, die Taxis und all das Hupen.“

Wer will, kann diesen Ort mit allen möglichen Waffen beschießen. Wir haben hier Heckenschützen

Larry Hall, CEO des Survival-Condo-Projekts

Einige Survivalisten haben Hall dafür kritisiert, dass er einen exklusiven Zufluchtsort für Reiche geschaffen hat, und angedroht, seinen Bunker im Katastrophenfall besetzen zu wollen. Darauf angesprochen, winkt Hall ab: „Wer will, kann diesen Ort mit allen möglichen Waffen beschießen.“ Die Wachleute wären überlegen. „Wir haben hier Heckenschützen.“

Tyler Allen ist Makler in Lake Mary, Florida. Am Telefon erzählt er mir, dass er drei Millionen Dollar für eines von Halls Apartments gezahlt hat. Allen sagt, er fürchte, dass die USA vor einem „sozialen Konflikt“ stünden, und die Regierung setze alles daran, die Öffentlichkeit darüber im Unklaren zu lassen. Er ist überzeugt, dass das Ebola-Virus nur deshalb ins Land kam, damit die Bewohner geschwächt würden. Danach gefragt, wie denn seine Freunde auf solche Thesen reagierten, sagt Allen: „Die meisten lachen, weil es ihnen Angst macht.“ Er spüre aber mehr und mehr Respekt vor seiner Weitsicht: „Vor zehn Jahren konnte sich noch niemand vorstellen, dass das Land so kulturell geteilt ist und kurz vor sozialen Unruhen stehen könnte mit all dem Rassismus und dem Hass.“ Wie will er im Falle einer Katastrophe von Florida nach Kansas kommen? „Wenn in Miami eine Bombe mit radioaktivem Material hochgehen würde, würden sich die Leute erst mal in ihren Häusern verschanzen, unablässig Fernsehen schauen oder sich in Bars versammeln“, sagt Allen. Er hätte also „48 Stunden, um so schnell wie möglich abzuhauen“.

Der Makler findet es unfair, dass Menschen wie er, die Vorkehrungen treffen, stigmatisiert werden. Man stecke Präsidenten ja auch nicht in die Verschwörungsecke und setze ihnen im übertragenen Sinne einen Aluhut auf, wenn sie sich auf den Landsitz Camp David zurückzögen. „Aber dir selbst schieben sie den Aluhut zu, wenn du lediglich für den Fall der Fälle vorsorgst, um deine Familie schützen zu können.“

Warum aber wird Survivalism immer nur zu bestimmten Zeiten ein Trend – und zu anderen nicht? Die Vorstellung eines Weltendes – als Prophezeiung, als literarisches Genre, als Gelegenheit für gute Geschäfte – ist nie statisch, sondern hängt immer mit den Ängsten der Gesellschaft zusammen. Die ersten Siedler, die aus Europa kamen, sahen in der amerikanischen Wildnis die Möglichkeit, das Paradies zu erleben oder eben die Apokalypse. Als ein riesiger Waldbrand in Kanada im Mai 1780 den Himmel über der amerikanischen Ostküste verdunkelte (und niemand den wahren Grund kannte), sahen die dortigen Bewohner das als Zeichen der nahenden Rückkehr Jesu. Der Schriftsteller D.H. Lawrence diagnostizierte es als typisch amerikanische Haltung, immer den möglichen Weltuntergang vor Augen zu haben. 1923 schriebe er in Doom! Doom! Doom!, das Jüngste Gericht sei ständig als „Flüstern in den sehr dunklen Bäumen Amerikas“ zu hören.

Historisch gesehen stieg die Faszination für das Weltende immer dann, wenn die USA eine Phase politischer Unsicherheit erlebten. „Im späten 19. Jahrhundert kamen eine Menge utopischer Romane heraus, die jeweils eine dystopische Entsprechung hatten“, sagte der Stanford-Historiker Richard White. Edward Bellamys Looking Backward, etwa, veröffentlicht 1888, handelt von einem sozialistischen Paradies im Jahr 2000. Das Buch wurde sehr erfolgreich, überall im Land gründete man Bellamy-Clubs. 1908 kam dann das Gegenstück mit Jack Londons The Iron Heel, das ein Amerika unter einem faschistischem Regime beschreibt, in dem nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung rund 70 Prozent des Geldes besitzen.

Das Gefühl wurde stärker, dass Amerikas Vorsprung schrumpft und letztlich alles zusammenbrechen wird

Richard White, Stanford-Historiker

Es war eine Zeit, in der die USA sich mit technologischem Fortschritt hervortaten, dem ersten elektrischen Licht zum Beispiel, 1893 auf der Weltausstellung in Chicago vorgestellt. Zeitgleich protestierten viele gegen zu geringe Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und die Gier der Unternehmer. „Eigentlich war es alles ganz ähnlich wie heute“, sagt White. „Viele hatten das Gefühl, dass das politische System nicht mehr zu kontrollieren ist und seinerseits keinen Einfluss mehr auf die Gesellschaft hat.“ Reichtum sei sehr ungleich verteilt gewesen und die Arbeiter hätten sich ungerecht behandelt gefühlt. White sagt: „Insgesamt wurde das Gefühl stärker, dass Amerikas Vorsprung schrumpft und letztlich alles zusammenbrechen wird.“

Für Großunternehmer wurde es entsprechend ungemütlich Ende des 19. Jahrhunderts. 1889 schrieb Andrew Carnegie, damals fast der reichste Mensch der Welt, er sei in Sorge wegen der angespannten Situation. Die verschiedenen Gesellschaftsschichten lebten zu sehr getrennt voneinander und hätten lediglich gemeinsam, dass sie sich nicht für die jeweils anderen interessierten, ja ihnen sogar misstrauten. John D. Rockefeller, der mit Standard Oil zum ersten Milliardär der USA wurde, sah es als seine christliche Pflicht an, etwas zurückzugeben. 1909 schrieb er, das schöne Gefühl, sich alles leisten zu können, gehe schnell verloren, „denn was Menschen wirklich brauchen, kann man nicht mit Geld kaufen“. Rockefeller gründete die Universität von Chicago. Carnegie seinerseits ließ rund 3000 öffentliche Bibliotheken errichten. Beide Männer hätten „das System zu ändern versucht, dass so große Ungleichheit verursachte“, heißt es in der Wohltätigkeits-Studie The Foundation von Joel Fleishman.

Während des Kalten Kriegs wurde das Ende der Welt zum Thema für die Regierung. Die Federal Civil Defense Administration, die Präsident Harry Trump gegründet hatte, gab Anleitungen heraus, wie man einen Atomschlag überleben könne. Eine davon: „Springen Sie in den nächsten Graben oder ins Abwassersystem“. Auch solle man „niemals den Kopf verlieren“. 1958 ließ Präsident Dwight Eisenhower einen geheimen Bunker errichten, der in den Bergen von West Virginia genug Platz für alle Mitglieder des Kongresses bot. Mehr als 30 Jahre blieb der Bunker verborgen, es gab Pläne, die Lincolns Gettysburg Address aus der Library of Congress dort zu verwahren und die Unabhängigkeitserklärung aus dem Nationalarchiv dorthin zu bringen.

1961 rief John F. Kennedy jeden Bürger dazu auf, beim Bau von Atombunkern zu helfen. In einer TV-Ansprache sagte der Präsident, er sei sicher, niemand wolle da zurückstehen. 1976 dann, als Angst vor Inflation aufkam und sich US-Bürger sorgten, sie könnten von arabischen Ölquellen abgeschnitten werden, veröffentlichte der rechtsgerichtete Autor Kurt Saxon den einflussreichen Newsletter The Survivor, in dem es um längst in Vergessenheit geratene Überlebenstipps der ersten Siedler ging. Saxon behauptete, der Ausdruck Survivalist gehe auf ihn selbst zurück. Immer mehr Anleitungen zum Überleben in harten Zeiten kamen auf den Markt. How to Prosper During the Coming Bad Years (1979) etwa gab Tipps zum Goldankauf.

Der „doom boom“, wurde unter Präsident Ronald Reagan noch größer. Der Soziologe Richard G. Mitchell Jr., ein emeritierter Professor der Oregon State University, hat sich zwölf Jahre lang dem Phänomen Survivalism gewidmet: „In der Reagan-Ära war zum ersten Mal von den höchsten Autoritäten im Land zu hören, dass unsere Regierung versagt habe, dass nämlich der institutionalisierte Weg, Probleme lösen zu wollen und die Gesellschaft verstehen zu wollen, nicht der richtige sei.“ Die Menschen hätten damals begonnen sich zu fragen: Was nun?

Als Jahre später die Regierung von George W. Bush Fehler im Umgang mit Hurrikan Katrina machte, erhielt die Survival-Bewegung neuen Zulauf. Neil Strauss, ein ehemaliger Reporter der New York Times wurde zum Prepper und schrieb in seinem Buch Emergency darüber. Sein Argument: In New Orleans sei deutlich geworden, dass die Regierung selbst dann nicht in der Lage sei, ihre Bürger zu retten, wenn sie von einer bevorstehenden Katastrophe wisse. Als Strauss sich nach Katrina für Survivalism zu interessieren begann, traf er einen Tech-Unternehmer, der Flugunterricht nahm, Fluchtpläne ausarbeitete und den Autor einer Gruppe ähnlich denkender „Milliardäre und Zehnfachmilliardäre“ vorstellte. Strauss legte sich eine zweite Nationalität zu, die von St. Kitts, tauschte einen Teil seines Geldes in eine fremde Währungen um und lernte zu überleben, „mit nichts als einem Messer und der Kleidung, die ich am Körper trug“.

Zurück nach Kansas: Wenn Nordkorea mal wieder eine Bombe testet, kann Apartment-Anbieter Hall sicher sein, dass er viele Anrufe bekommt, ob denn noch Platz sei in seinem Wohnkomplex. Allerdings liege die Quelle für die innere Unruhe der Menschen nicht unbedingt immer weit entfernt, sondern vielfach ganz nah: „70 Prozent der Bevölkerung gefällt die Richtung nicht, die unser Land nimmt“, sagt er. Hall und Menosky führen ihren Besuch durch die sicheren Bauten: Das Hauptgebäude hat die Form eines überdimensionierten Maiskolbens. Einige Stockwerke sind Privatwohnungen vorbehalten, andere haben Gemeinschaftsräume. Es gibt einen großen Pool, eine Kletterwand, ein Haustierareal mit Kunstrasen, ein Klassenzimmer ausgestattet mit Macs, eine Sporthalle, ein Kino und eine Bibliothek. Es fühlt sich alles sehr kompakt an, aber man bekommt keine klaustrophobischen Gefühle. In der Waffenkammer liegen Gewehre und Munition für den Fall eines Angriffs. Ein anderer Raum ist mit nichts als einer Toilette bestückt. „Hier können wir Leute einschließen, die kurz mal für sich sein müssen“, sagt Hall. Es gebe Regeln, an die müssten sich alle halten. Die Gemeinschaft der Eigentümer stelle sie auf und könne sie auch mehrheitlich ändern. Eine davon: Jeder Erwachsene muss vier Stunden am Tag arbeiten und darf das Gebäude nicht ohne Erlaubnis verlassen. „Ein- und Ausgang werden ständig kontrolliert“, sagt Hall.

Im Medizintrakt gibt es ein Krankenhausbett, einen Operationstisch und einen Zahnarztstuhl. Zwei Ärzte und ein Zahnmediziner seien unter den Apartmentbesitzern, erzählt Hall. Die Vorratskammer im Stockwerk darüber ist noch nicht ganz fertig und derzeit hauptsächlich mit Konservendosen bestückt. Hall hofft, dass dort bald so viele Nahrungsmittel gelagert werden könnten, dass es wie ein echter Supermarkt wirkt. Die Apartments sind individuell ausgestaltet, je nach Vorliebe der Besitzer: Einer ließ sich Granit aus Connecticut schicken, um einen Kamin wie zu Hause zu errichten. Ein anderer aus Bermuda wollte, dass die Wände in der Farbe seiner Heimat gestrichen werden: orange, grün, gelb. Das wirkte in der Abgeschlossenheit des Apartments dann aber doch so merkwürdig, dass ein Dekorateur einen Kompromiss finden musste.

Ich übernachte in einem Gästezimmer, das keine Video-Fenster hat. Sehr, sehr still ist es hier. Ich fühlte mich, als würde ich in einem extrem gut ausgestatteten U-Boot schlafen. Als ich am nächsten Morgen aufwache, sitzen Hall und Menosky schon im Gemeinschaftsteil des Gebäudes, trinken Kaffee und sehen sich einen Wahlkampfbericht auf Fox News an. In fünf Tagen werden die US-Bürger ihren neuen Präsidenten wählen. Hall, ein Republikaner, beschreibt sich selbst als vorsichtigen Trump-Unterstützer. Er hoffe, dass dessen Business-Erfahrung letztlich mehr wiegen werde als die oft spontanen verbalen Entgleisungen. Umfragen traue er nicht, sagt der Unternehmer, vielmehr sei er beeindruckt von den enthusiastischen Menschenmassen bei Trumps Auftritten.

Hall hält die großen Medien für voreingenommen und ist Anhänger einiger Ideen, die viele für Verschwörungstheorien halten würden. So sei er sich etwa sicher, sagt er, dass der Kongress die amerikanische Bevölkerung zu verdummen versuche. Auf die Frage, warum das Parlament das tun sollte, sagt er: „Sie wollen nicht, dass die Menschen schlau werden und die Politik durchschauen.“ Er habe gelesen, dass 40 Prozent der Kongressmitglieder festgenommen würden, weil sie Teil einer Verschwörung seien, Stichwort Panama Papers, Katholische Kirche und Clinton-Stiftung. „Seit 20 Jahren“ werde daran gearbeitet, das aufzudecken, sagt Hall. Glaubt er wirklich daran? Hall antwortet ausweichend. Ein Nein ist das nicht.

Bevor ich nach Wichita zurückfahre, sehen wir uns noch Halls aktuellstes Projekt an: einen zweiten Untergrundbau, 25 Meilen vom ersten entfernt. Das Ganze ist noch eine Baustelle, irgendwann einmal soll dort ein Gebäude Zuflucht bieten, das dreimal so groß ist wie das ursprüngliche Silo. Eine Bowlingbahn soll es darin ebenso geben wie riesige LED-„Fenster“, um ein Gefühl der Offenheit zu vermitteln. Hall erzählt, dass er Privatbunker für Kunden aus Idaho und Texas baue und das zwei Tech-Firmen ihn damit beauftragt hätten, „einen sicheren Ort für ihre Datenzentren und ihr Kernteam zu schaffen, falls etwas passiert“. Er hat sich die Option erkauft, vier weitere Silos zu erstehen.

Wem ein Raketensilo in Kansas nicht ausreichend weit entfernt ist oder nicht privat genug: Es gibt weitere Möglichkeiten. In der ersten Woche nach Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten meldeten sich 13.401 Amerikaner bei der neuseeländischen Einwanderungsbehörde an, um dort wohnen zu können. Das ist über 17 Mal mehr als normalerweise. Der New Zealand Herald sprach entsprechend von der „Trump-Apokalypse“.

Doch der Zustrom begann schon einige Zeit vor Trumps Wahlsieg. Im ganzen Jahr 2016 kauften Nicht-Neuseeländer rund viermal so viel Land auf der Insel wie im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres, wie Neuseelands Regierung mitteilte. Die meisten Käufer waren Australier, Amerikaner die zweitgrößte Gruppe. Die Schweiz lockte Amerikaner einst mit dem Versprechen des Bankgeheimnisses, Uruguay bot Privatbanken, Neuseeland ist nun attraktiv, weil es als sicher und weit genug vom Rest der Welt entfernt gilt. In den vergangenen sechs Jahren haben etwa 1000 Nicht-Neuseeländer dort dort über Programme einen Wohnsitz beantragt, die vorsehen, dass man mindestens eine Million Dollar im Land investieren muss.

Auch in Neuseeland würde das Leben sehr schwer, aber es wäre nicht zu Ende

Jack Matthews, Vorsitzender von MediaWorks

Der US-Amerikaner Jack Matthews ist Vorsitzender von MediaWorks, einem großen neuseeländischen Rundfunkanbieter, und sagt, Neuseeland sei für so viele attraktiv, weil es als Staat der sogenannten Ersten Welt komplett unabhängig von globalen Warenströmen existieren könnte, sollte eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes die Welt treffen. „Das Leben würde sehr schwer, aber es wäre nicht zu Ende.“ Neuseeland habe zudem den Vorteil, dass selbst Menschen, die im Streit lägen, noch miteinander sprechen. „Es ist ein kleines Fleckchen Erde, hier gibt es keine Anonymität. Die Menschen müssen auch in Krisensituation ihre Höflichkeit bewahren.“

Auckland liegt 13 Flugstunden von San Francisco entfernt. Als ich dort Anfang Dezember eintreffe, ist in Neuseeland gerade Sommeranfang: blauer Himmel, milde Temperaturen, trockene Luft. Wer einmal durchs Land fährt, legt in etwa die Strecke zurück, die man von Maine bis Florida fahren würde. Insgesamt leben hier aber nur halb so viele Menschen wie in New York City. Dafür gibt es sieben Mal so viele Schafe wie Menschen. Neuseeland schafft es regelmäßig in die Top-Ten-Liste der Länder mit Demokratie, nicht-korrupter Regierung und hoher Sicherheit. (Das letzte Mal, dass das Land mit Terrorismus in Berührung kam, war der Angriff französischer Spione auf ein Greenpeace-Schiff 1985.) In einem aktuellen Bericht der Weltbank wird es als die Nation genannt, in der man neben Singapur am besten Geschäfte abschließen kann.

Am Morgen nach meiner Ankunft werde ich von Graham Wall abgeholt, einem fröhlichen Makler, der sich auf sogenannte HNWI spezialisiert hat: high-net-worth individuals. Peter Thiel gehört dazu, der milliardenschwere Investor aus dem Silicon Valley. Wall war überrascht, als Amerikaner im erzählten, dass vor allem die Abgelegenheit Neuseelands Grund für den Run auf das Land sei. „Wir Neuseeländer sprechen gern von der Tyrannei der Entfernung“, sagt Wall. „Ausgerechnet die scheint nun zum Vorteil zu werden.“

Vor meiner Reise hatte ich mich gefragt, ob ich wieder viel in Luxus-Bunkern würde schlafen müssen. Aber Peter Campbell, Chef von Triple Star Management, einer neuseeländischen Baufirma, erzählt mir, dass seine amerikanischen Kunden Bunker unnötig fänden. „Es ist ja nicht so, dass man einen Bunker unter seinem Vorgarten bauen muss, denn schließlich ist man Tausende Kilometer vom Weißen Haus entfernt“, sagt Campbell. Amerikaner wollten anderes: „Hubschrauberlandeplätze sind sehr begehrt. Man kann mit einem Privatflugzeug nach Queenstown fliegen und dann schnell einen Helikopter zum eigenen Haus nehmen.“ Auch interessieren sich Amerikaner laut Campbell für strategische Tipps wie etwa den, wo in Neuseeland die Folgen des steigenden Meeresspiegels am wenigsten zu spüren sein werden.

Bekommt das mal in eure Köpfe: Wir sind nicht euer kleiner letzter Zufluchtsort!

Neuseeländischer Kommentator in einem Prepper-Forum

Doch der wachsende Hunger ausländischer Reicher nach Grundstücken führt zu Unmut in der Bevölkerung. Die Kampagne gegen die ausländische Kontrolle von Aotearoa (der Maori-Name für Neuseeland) lehnt Verkäufe an Nicht-Neuseeländer ab. Vor allem amerikanische Survivalisten sind nicht sehr willkommen. In einer Diskussion über Neuseeland auf der Prepper-Website Modern Survivalist schreibt ein Kommentator: „Bekommt das mal in eure Köpfe: Aotearoa NZ ist nicht euer kleiner letzter Zufluchtsort!“

Ein US-Hedgefonds-Manager um die 40 – groß, gebräunt, durchtrainiert – hat kürzlich gleich zwei Häuser in Neuseeland gekauft und seinen Wohnsitz dort angemeldet. Er bittet mich, seinen Namen nicht zu nennen, ist ansonsten aber sehr offen. Den USA stehe ein Jahrzehnt politischer Unruhen bevor, ist er sich sicher, inklusive Rassenkonflikten, dem Auseinanderklaffen der Bevölkerungsteile und einer schnell alternden Gesellschaft. „Das Land besteht im Prinzip aus der New-York-Region, der Kalifornien-Region und dann all dem, was dazwischen liegt“, sagt er. Er sorgt sich, dass die Wirtschaft leiden wird, wenn die Regierung Sozialversicherung und Krankenversicherung denen anbieten will, die es brauchen. „Druckt man dann einfach mehr Geld, um es ihnen zu geben? Was macht das dann mit dem Wert des Dollar?“, fragt der Manager von der Ostküste. Die Antwort darauf müsse nicht sofort gefunden werden, wohl aber innerhalb der nächsten Jahrzehnte.

Neuseeland ist in Hedgefonds-Kreisen mittlerweile so bekannt als potenzieller Zufluchtsort für ängstliche Amerikaner, dass der Gesprächspartner Wert darauf legt, dass nicht mehr nur um eine „Handvoll Freaks“ gehe, die das Ende der Welt nahen sähen. Dann lacht er: „Es sei denn, ich bin einer von ihnen.“

Seite 1947 versammelt das Bulletin of the Atomic Scientists regelmäßig eine Gruppe von Nobelpreisträgern und anderen Vordenkern, um die Doomsday Clock zu aktualisieren, jene Uhr, die symbolisch anzeigt, wie nah die Apokalypse ist. 1991, als der Kalte Krieg endete, setzen die Wissenschaftler den Zeiger auf 17 Minuten vor Mitternacht, so weit entfernt vom Weltuntergang wie sonst nie (wieder).

Seitdem bewegt sich der Zeiger unheilvoll auf Mitternacht zu. Im Januar 2016, nachdem Russland und die Nato wachsende militärische Spannungen demonstriert hatten und die Welt ihr bis dato wärmstes Jahr seit Aufzeichnung der Temperaturen erlebt hatte, setzten die Forscher ihn auf drei Minuten vor 12. Im November nach der Wahl Trumps kam das Panel noch einmal zu einer vertraulichen Diskussion zusammen. Der Zeiger wurde eine Minute weiter nach vorn gerückt. So nah an Mitternacht stand er seit 1953 nicht mehr. Damals ging es um den ersten Test der Wasserstoffbombe.

Die Angst vor einer Katastrophe ist so lange gesund, wie sie Menschen dazu bewegt, etwas zu tun, damit sie nicht eintritt. Aber der Survivalism der Elite ist kein Schritt in Richtung Prävention, sondern lediglich einer in Richtung Sich-selbst-Rausziehen. Wohltätigkeit lassen sich die USA nach wie vor viel kosten, im Vergleich zu Großbritannien etwa macht sie einen drei Mal so großen Anteil am Bruttoinlandsprodukt aus. Aber das geschieht derzeit mit der Aura des Aufgebens: Die Erfolgreichen und Reichen sehen, dass das amerikanische Projekt schwächelt und damit die Institutionen und Normen, von denen sie profitiert haben. Es schleicht sich die Erkenntnis ein, dass alles auch schiefgehen könnte. Jammern auf hohem Niveau.

Wie Reddit-CEO Huffman sagte: Technologie hat uns geholfen, Risiken besser zu erkennen. Aber wir sind dadurch auch panischer geworden. Technologie erleichtert es uns, der Verführung nachzugeben, uns aus allem zurückzuziehen statt das anzugehen, was uns Angst macht. Justin Kan, der Tech-Investor, der nur halbherzig Vorräte angelegt hat, erinnert sich an ein Telefonat mit einem Freund bei einem Hedgefonds: „Er erzählte mir, wir sollten unbedingt ein Grundstück in Neuseeland kaufen. Die Chance, dass Trump ein faschistischer Diktator wird, sei vielleicht niedrig. Unverändert hoch sei allerdings der Wert eines Zufluchtsortes.“

Doch es gibt auch andere Wege, die Angespanntheit unserer Zeit zu verkraften: „Wenn ich eine Milliarde Dollar hätte, würde ich keinen Bunker kaufen“, sagt Elli Kaplan, CEO des Gesundheits-Startups Neurotrack. „Ich würde sie in gesellschaftliche Institutionen investieren und in deren Weiterentwicklung.“ Man müsse schlaue Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit finden und sicherstellen, dass die Katastrophe nicht eintrete. Kaplan hat zu Präsident Bill Clintons Zeiten im Weißen Haus gearbeitet und war entsetzt, als nun Trump gewählt wurde. Dieses Entsetzen habe sie allerdings wachgerüttelt: „Unsere Gemeinschaft ist stärker“, sagt sie. Das sei ihre Überzeugung, „sogar in der angsterfülltesten Situation“.

Diese Sichtweise ist letztlich ein Glaubensakt – die Überzeugung, dass auch die schwächsten Institutionen immer noch die besten Instrumente eines demokratischen Willens sind. Und dass sie helfen, das unter den gegebenen Umständen Beste für die Gesellschaft zu bewahren. Man hat die Wahl, ob man das glauben will.

Ich rufe einen klugen Mann aus dem Silicon Valley an, Stewart Brand, jenen Autor und Unternehmer, den Steve Jobs einst eine Inspiration nannte. In den 60er und 70er Jahren war Brands Whole Earth Catalog eine Art Bibel der Hippie- und Tech-Gläubigen. (Das Motto: Wir sind sowas wie Gott und sollten das nutzen). Brand sagt mir, dass er in den 70ern durchaus Anhänger des Survivalism war, damit dann aber bald aufhörte. „Ich finde die Vorstellung, dass die Welt angeblich bald auseinanderfällt, grundsätzlich schräg“, sagt er.

Brand ist 77 Jahre alt, lebt auf einem Hausboot und ist weniger beeindruckt von der Schwäche des Systems als vielmehr von dessen Widerstandskraft. Hat nicht die Welt in den vergangenen zehn Jahren gewaltlos eine der schlimmsten Finanzkrisen seit der Großen Depression überstanden? Außerdem Ebola, Tsunamis und die Atomkatastrophe in Japan? Brand sieht Eskapismus als Risiko. Je mehr Amerikaner sich in kleine Kreise zurückzögen, desto gefährdeter sei der „große Kreis des Mitgefühls“, sagt er. Eine Gesellschaft müsse gemeinsam nach Lösungen für Probleme suchen, die dann alle angehen. „Es ist immer einfach zu fragen: Wie schütze ich mich und meine Lieben? Die interessantere Frage ist: Was, wenn die Zivilisation noch eine Weile so weitermacht wie in den vergangenen Jahrhunderten, was wenn sie einfach so vor sich hin tuckert?“

Nach einigen Tagen in Neuseeland kann ich mir vorstellen, warum es einige Menschen bevorzugen, keine von beiden Fragen zu beantworten. Unter einem unglaublich blauen Himmel steige ich in Auckland in einen Hubschrauber und setze mich neben Jim Rohrstaff. Der 38 Jahre alte Amerikaner war mal Golfprofi und machte sein Geld danach mit dem Marketing für Luxus-Golfclubs und Grundstücke. Vor zweieinhalb Jahren ist er nach Neuseeland ausgewandert, mit seiner Frau und zwei Kindern. Er verkauft nun an diejenigen, die „so weit wie möglich von den Themen dieser Welt entfernt sein wollen“, wie er sagt.

Rohrstaff ist Miteigentümer der Immobilienfirma Legacy Partners. Er zeigt mir Tara Iti, ein neues Luxushaus-Projekt mit Golfclub, das vor allem Amerikanern gefällt. Nach einem Flug über ausgedehnte Wälder und Felder, das Meer eine einzige spiegelnde Fläche, landet unser Helikopter neben dem Golfplatz. Die neue Luxus-Siedlung liegt inmitten tausender Hektar Dünen, Wald und Strand. Nur 125 Häuser, umgeben von Natur. „Von außen ahnt man nicht, dass hier irgendwo Häuser stehen“, sagt Rohrstaff auf der Land-Rover-Tour durchs Gelände. „Das ist besser für die Öffentlichkeit und besser für uns.“

Das letzte Stück des Weges gehen wir zu Fuß, durch die Dünen zum Meer. Kein Mensch weit und breit, die Wellen rauschen. Rohrstaff breitet seine Arme aus und lacht. „Dies ist der Ort der Zukunft“, sagt er. Und zum ersten Mal seit Wochen, ja Monaten sogar, dachte ich nicht an Trump – oder irgendetwas sonst.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin The New Yorker. Das Original findet ihr hier.

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