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Tablets mit Antenne und kein Internet für Studenten: Wie ein Amerikaner Nordkoreas IT-Nachwuchs unterrichtete

von Sonja Peteranderl
Nach dem Sony-Hack liefern sich die USA und Nordkorea gerade einen virtuellen Schlagabtausch. Doch wie sieht Digitalisierung im nordkoreanischen Alltag aus? Will Scott hat als IT-Lehrer in dem abgeschotteten Land gearbeitet — und dabei auch Hard- und Software made in Nordkorea kennengelernt.

Die dortigen Entwickler haben sich offenbar vom Feind inspirieren lassen. Statt eines Apfel-Logos prangt bei Red Star zwar ein roter Stern, ansonsten sieht Nordkoreas Betriebssystem aber verdächtig nach Apple aus. „Jemand hatte anscheinend Mac OS X und ihm wurde gesagt: Mach etwas, das so aussieht und so arbeitet wie das“, sagt Will Scott. Red Star ist ein typisches Beispiel dafür, wie digitale Innovation in Nordkorea funktioniert: „Sie passen Dinge an, um es für den eigenen Markt zu adaptieren“, so Scott. Der Computerwissenschaftler, der an der University of Washington in Seattle forscht, hat das kommunistische Betriebssystem auf dem Chaos Communication Congress in Hamburg mit einer Live-Demo vorgestellt und einen seltenen Einblick in Nordkoreas digitale Entwicklungen gegeben — wohl als einer der ersten auf einem westlichen Hackerkongress.

 

Students at the Pyongyang University of Science and Technology gathered around a computer after class.

Ein von Will Scott (@ttocslliw) gepostetes Foto am Sep 9, 2014 at 12:34 PDT

Obwohl Nordkorea so isoliert ist, sind Handys inzwischen Alltag, zumindest in Pjöngjang.

Will Scott

Von außen wirkt Nordkorea wie eine Festung, aus der nur gefilterte Bilder dringen: von Feiern für den „großen Führer“ Kim Jong-un oder martialischen Soldatenparaden. „Man sieht immer Extreme wie das Militär, aber man versteht nicht, was dort eigentlich passiert“, sagt Scott. „Ich hatte immer den Verdacht, dass das nicht das ganze Bild sein kann.“ Deswegen wollte der IT-Student Nordkorea selbst erleben — und bot sich der Universität für Wissenschaft und Technik in Pjöngjang als Computerlehrer an.

Ausgerechnet ein US-Amerikaner, der an einer Hochschule in Nordkoreas Hauptstadt IT unterrichtet: Das wäre an den Hochschulen für die Parteikader wohl undenkbar gewesen. Doch die Universität für Wissenschaft und Technik in Pjöngjang ist ein Experiment, das eine gewisse Öffnung Nordkoreas widerspiegelt. Sie wurde 2010 von einem koreanisch-amerikanischen evangelikalen Christen eröffnet, als einzige privatfinanzierte Universität in Nordkorea. Viele Vorlesungen werden auf Englisch gehalten, die Schwesternhochschule steht in China, interkultureller Austausch wird stark gefördert. Im Herbst 2013 unterrichtete Will Scott dort Bachelorstudenten, im Herbst 2014 kehrte er noch einmal zurück, um Kurse zu geben, etwa zu Betriebssystemen.

Doch dem Land fehlen die Entwickler, um die digitale Zukunft voranzutreiben.

Besonders gefragt war Scotts Wissen über Linux und Android. Denn tatsächlich ist das Betriebssystem Red Star im Alltag gar nicht so weit verbreitet: „Ich habe niemanden ernsthaft irgendwo Red Star benutzen sehen“, sagt Scott. „Das ist ein Mythos.“ Er glaubt, dass Red Star wohl eher bei nordkoreanischen Firmen zum Einsatz kommt — Verbraucher würden auf ihren Laptops und Computern meistens Windows XP verwenden, manchmal auch Windows 7. Die meisten Computer und andere Gadgets, die in Nordkorea verkauft werden, stammen zwar aus China, doch das Land arbeitet an der Entwicklung lokaler Modelle, die Android-basiert sind. Es gibt mittlerweile ein nordkoreanisches Tablet, und im vergangenen Jahr kam das Arirang-Smartphone heraus, das anscheinend eine Kopie eines chinesischen Smartphones ist. „Anfangs wollten sie 600 Dollar dafür haben, was viel ist — ich weiß nicht, wer das kauft“, sagt Scott. Aber das Arirang fange an, sich zu verbreiten. „Obwohl Nordkorea so isoliert ist, sind Mobiltelefone inzwischen Alltag, zumindest in Pjöngjang“, sagt Scott. Das Land würde aber auch in Software und Hardware investieren.

 

From an earlier visit, a shot by @drewkelly of me providing technical guidance at the Pyongyang children's palace.

Ein von Will Scott (@ttocslliw) gepostetes Foto am Dez 12, 2013 at 3:49 PST

Doch Nordkorea fehlen die Entwickler, um die digitale Zukunft voranzutreiben. „Ich glaube, sie wissen, dass sie Leute brauchen, die helfen, das gesamte Android- und Tablet-Ökosystem zu entwickeln“, sagt Scott. „Viele Studenten der Universität für Wissenschaft und Technik in Pjöngjang helfen nach ihrem Abschluss dabei, neue Apps zu entwickeln oder weiterzuentwickeln.“ Aus dem ersten Jahrgang der Universität, der 2013 seinen Abschluss machte, arbeiten viele Absolventen heute in IT-Forschungseinrichtungen wie dem Choson Computer Centre (KCC) und dem Pyongyang Information Centre (PIC).

Scott glaubt nicht, dass seine Studenten später zu Cyber-Kriegern werden.

Als Scott auf Reddit von seinen Erfahrungen in Nordkorea berichtete, wurde er angefeindet, weil er angeblich Nordkoreas Nachwuchshacker ausbilden würde — die dann die USA attackieren könnten. Scott glaubt jedoch nicht, dass seine Studenten durch ihn zu Cyber-Kriegern werden. Er habe nichts unterrichtet, was nicht auch in Büchern oder im Netz zu finden sei, sagt er.

Die Kenntnisse und die Motivation der Studenten seien sehr unterschiedlich gewesen. „Manche fanden Computerwissenschaft und Hacking spannend und in ihrer Freizeit sind sie ins Computerlabor gegangen und haben gespielt oder sich an Coding versucht“, so Scott. Andere seien hingegen mehr an der englischsprachigen Ausrichtung der Universität interessiert gewesen als an Computern. Mobiltelefone hätten fast Alle gehabt, einige auch Laptops, die sie in die Uni mitbrachten — sie kamen allerdings auch aus wohlhabenden Familien.

Trotz allem hatten die Studenten kein Internet. Gelernt wurde aus Büchern, Dokumente tauschten sie per USB-Stick aus — die voller Viren waren.

Seine Studenten hatten trotzdem keinen Zugang zum Internet, das in Nordkorea nur ein kleiner Kreis nutzen darf. Alles was sie konnten, hatten sie wie in alten Programmierer-Zeiten aus Büchern gelernt. Dokumente wurden per USB-Sticks ausgetauscht, die aber voller Viren waren. Der Austauschlehrer aus den USA durfte dagegen auf dem Campus surfen: „Es hat mich überrascht, dass ich das Internet nutzen konnte, und dass es ungefiltert war, weder durch China noch durch Nordkorea“, sagt Scott. Mit einem Proxy auf Campus-Level wurden alle seine Anfragen aber mit seinem Usernamen und Passwort assoziiert. Einmal wöchentlich fiel es aber aus, wegen Stromausfällen. Die nordkoreanischen Studenten aus dem Graduiertenprogramm und die Lehrer konnten nur in einen Raum in der Bibliothek gehen, um für Forschungsprojekte im Internet zu surfen – allerdings in einem gefilterten Netz, und nur unter Beaufsichtigung.

 

A koryolink advertisement in the #pyongyang airport. The poster promotes the first 3g phone service in the country, and shows off a local arrirang phone.

A photo posted by Will Scott (@ttocslliw) on Sep 9, 2014 at 1:26pm PDT

Andere Hochschulen wie die Kim-Il-Sung-Universität, eine kommunistische Elite-Kaderschmiede, die Scott bei einer Tour besuchen konnte, haben zwar Zugang zu Nordkoreas Intranet Kwangmyong, dafür aber keinen Internetanschluss. „Sie wollen nicht, dass es Orte gibt, an denen es sowohl Internet- als auch Intranetzugang gibt, die Systeme sollen isoliert sein und Ausländer sollen keinen Zugang zum internen System bekommen“, sagt Scott. Das Intranet soll bis zu 5000 Seiten enthalten, mit Informationen, Archiven, Bildungsmaterial. Auch die meisten nordkoreamischen Unternehmen, die digitale Kommunikation für ihre Geschäfte brauchen, sollen eine E-Mail-Adresse und eine Website im Intranet erhalten und mit dem System verbunden sein.

Aber wie kommen Studenten, die keinen Netzzugang haben, an neue Informationen? „Es gibt eine Regierungsstelle, über die man an Papers herankommen kann, die nicht verfügbar sind“, sagt Scott. „Wenn man eine Anfrage an die Behörde stellt, dann geht jemand für dich ins Internet, findet es und schickt es zurück.“

 

Checkout at the Pyongyang diplomatic store. The contrast between traditional way of life and modern technology is very noticeable here.

Ein von Will Scott (@ttocslliw) gepostetes Foto am Sep 9, 2014 at 9:47 PDT

Scotts nordkoreanisches Tablet hat weder Wi-Fi noch Bluetooth — aber eine ausklappbare Antenne, mit der sich drei TV-Programme empfangen lassen.

Auch Will Scotts nordkoreanischem Tablet, das er bei seinem Aufenthalt gekauft hat und beim CCC vorstellte, fehlen Wi-Fi und Bluetooth-Funktionen — dafür hat es aber eine ausklappbare Antenne, mit der sich drei TV-Programme empfangen lassen. Zumindest wenn man in Nordkorea ist. Es dauert ein bisschen länger, bis das Tablet angeht, dann erscheinen auf dem voreingestellten Bildschirmhintergrund Raketen-Illustrationen und ein Cyberwar-Szenario. Das Tablet wird mit einer Handvoll Anwendungen geliefert: Manche von ihnen sind nordkoreanische Adaptionen von bestehenden Apps wie dem Spiel „Angry Birds“ oder der Video-Software Quicktime, bei denen vordergründig nicht viel mehr als das Logo und die Sprache verändert wurden. Doch es gibt auch echte Erfindungen aus Nordkorea, zum Beispiel die elektronische Sammlung aller Reden der nordkoreanischen Führer. „Jeder dieser Bände enthält zahlreiche Reden“, sagt Will Scott. „Und für jede einzelne kann man Übersetzungen und die Definition von Begriffen nachschlagen.“ Neue Apps können Nutzer sich jedoch nicht einfach aus dem Internet downloaden sondern müssen sie sich in einem Geschäft auf ihre Geräte aufspielen lassen.

Auf dem Campus in Pjöngjang konnte Will Scott sich frei bewegen, außerhalb des Universitätsgeländes wurde er immer von einem Aufpasser begleitet — und erlebte so wie alle Ausländer auch nur einen bestimmten Ausschnitt Nordkoreas. Einen seiner Guides konnte er immerhin überreden, zu einem speziellen Computergeschäft zu fahren, wo er sich für 25 Cent eine Kopie des Betriebssystems Red Star kaufen konnte. Inzwischen ist er aber nicht mehr der einzige westliche IT-Experte, der Zugang zu dem Programm hat: Die aktuelle Version von Red Star wurde gerade via BitTorrent geleakt. Will Scott beteuert aber, dass er nicht dahinter steckt. 

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