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Ihr kennt das: Alte Gadgets verschwinden auf mysteriöse Weise

von Anja Rützel
Wohin gehen unsere Gadgets, wenn sie sterben? Und hat irgendwer meinen Popel-Laptop gesehen?

Dieser Kolumnenbeitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im Mai 2015. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

„Wo ist eigentlich unser Senso?“, fragte ich letztens meine Mutter beim Sonntagstelefonat. Sie gab vor, nicht zu wissen, was ich meine. Ich meinte dieses Schrottspiel aus den frühen Achtzigern, eine dicke runde Elektroplunderscheibe, die aus vier großen Feldern in den Farben Rot, Blau, Gelb und Grün bestand. Sie leuchteten abwechselnd in zufälliger Reihenfolge auf und gaben dabei für jede Farbe einen kurzen Ton von sich: möp, mööp, möööp und möööö.

Für den unbeteiligten Zuschauer und -hörer war das mö-möp-möööp-mööööööööpende Senso ähnlich nervenaufreibend wie ein Kreischvogel.

Das Spiel bestand nun darin, sich diese Reihenfolge zu merken und nach der Vorgabe auf den Tasten nachzudrücken. Meine Mutter hatte angeblich keine  Ahnung, wo das Gerät abgeblieben war, weggeschmissen hätte sie es jedenfalls nicht, sagte sie, ich traute ihr nur halb. Schließlich hatte sie erst vor Kurzem eingeräumt, dass der unfassbar nervige Nymphensittich, den ich als Kind hielt, doch nicht wundersamerweise eigenständig das Türchen seines Käfigs geöffnet hatte und unbemerkt davongeflogen war, sondern dass sie ihn — des Krakeelens und der ewigen Mauserei überdrüssig – auf dem Balkon eigenhändig aus seinem Käfig hätte heraus-schütteln müssen.

Wo bleiben all die toten oder halb toten Quatschgadgets?


Für den unbeteiligten Zuschauer und -hörer war das mö-möp-möööp-mööööööööpende Senso ähnlich nervenaufreibend wie ein Kreischvogel, weswegen es womöglich ebenfalls durch Mutterhand aus unserem Haushalt entsorgt wurde. Aber wo waren all die anderen Sensos? Schließlich hatte, als ich ein Kind war, fast jeder meiner Freunde ebenfalls so eine Piepsscheibe. Durchzieht westliche Müllhalden, wenn man sich bis zur Ende- der-Achtziger-Schicht runtermaulwurft, eine dünne Senso-Ader? Stößt man irgendwo auf eine Telespiel-Konsolen-Lage? Wo bleiben all die toten oder halb toten Quatschgadgets?

Je länger ich nachdachte, umso mehr mysteriös verschwundene Dinge fielen mir ein. Mein erster iPod, der zumindest in der Erinnerung backsteingroße Ausmaße hatte. Und meine schöne Armbanduhr, die auf Knopfdruck die Anfangsmelodie der Teletubbies spielte! Ich bekam sie geschenkt, als ich etwa 25 Jahre alt war. Weil der Melodieknopf sehr sensibel war, löste er gelegentlich bei der leichtesten Berührung aus, mitunter auch im muffgedämpften historischen Lesesaal der Universität Tübingen, was dann immer ein entsprechendes Buhei zur Folge hatte. Am Ende schepperte sie nur noch blechern und traurig, aber weggeworfen hätte ich sie doch nie. Und wo waren bitte mein bizarr popelfarbenes IBM-Laptop aus den späten Neunzigern und das grauenvolle Thinkpad mit fancy herausfahrender Tastatur, das ich so oft wegen irgendwelcher Defekte beim Kundenservice einschicken musste, dass ich bei erneutem Wutanruf meinerseits hörte, wie der Telefonierende mit unzureichend abgedeckter Sprechmuschel in den Raum rief: „Es ist wieder Anja!“ Echt wahr.

Jedenfalls: Alle diese Dinge sind spurlos verschwunden, wobei ich mir sicher bin, sie keinesfalls entsorgt zu haben. Nach irgendeinem Umzug waren sie nicht mehr da, wobei ich mich stets auch nicht erinnern konnte, sie überhaupt eingepackt zu haben.

In meiner Vorstellung nutzten die fast toten Geräte die Chance, sich mit letzten Batteriekräften davonzuschleppen, ihren nutzlosen Akku klappernd hinter sich herziehend. Wie Elefanten, die sich laut Tarzan-Filmen zum Sterben ja auch noch mal an einen bestimmten Ort, den Elefantenfriedhof, wuchten. Um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, sollten wir den Gadgetkrempel, der als Nächstes über die Klinge springen und als nicht mehr interessant in der hintersten Kammerecke landen wird, gut im Auge behalten. Vielleicht werden wir dann nächstes Jahr um diese Zeit Zeuge, wie sich nachts auf ein geheimes Signal hin alle Selfie-Sticks aufmachen, um sich irgendwo zu einem großen Stöckeberg zur letzten Ruhe zu schichten. Als habe ein sehr großes Rudel extrem minimalistischer Hirsche gleichzeitig ihre Geweihstangen abgeworfen.

Anja Rützel hat als Autorin für WIRED eine Gadget-Kolumne geschrieben. Daraus stammt dieser Beitrag. Sie überlegt immer noch, ob ihre verlorenen Gadgets vielleicht doch in dem Geheimzimmer ihrer Wohnung sind, in das kein Besucher darf. Oder hat ihr Hund sie gefressen? In einer anderen WIRED-Ausgabe beschrieb sie jedenfalls in ihrer Kolumne, warum E-Commerce nur besoffen Spaß macht. 

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