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Was passiert mit den Spenden an Wikipedia?

von Lina Hansen
Wikipedia brauchte Hilfe. „Spenden wir alle nur einen kleinen Betrag, dann unterstützen wir die Wikipedia und retten das freie Wissen“, hieß es wochenlang auf der Seite der Enzyklopädie. Doch wozu genau soll das Geld jetzt genutzt werden? WIRED hat nachgefragt.

Alle Jahre wieder bittet Wikipedia um Geld. Besser gesagt, die hinter der Enzyklopädie stehende U.S. amerikanische Wikimedia Foundation und die Wikimedia Deutschland e.V. tun es. Gerade ist der jüngste Spendenmarathon zu Ende gegangen.

Am Fundraising übten Community und Medien ordentlich Kritik. Wofür, so die Frage der meisten, braucht die Stiftung eigentlich das ganze Geld? Wir haben mit Abraham Taherivand, dem Vorstandschef von Wikimedia Deutschland, über zukünftige Projekte und die Kritik an der Verteilung der Spenden gesprochen.

WIRED: Wikimedia Deutschland brauchte jüngst wieder Geld, hat im Dezember das Spendenziel erreicht und sogar übertroffen. Können Sie etwas zur Verteilung der Spenden sagen?
Abraham Taherivand: Wir agieren auf Grundlage eines Jahresplans, der sich in drei Schwerpunkte aufgliedert. Ein großer Teil davon ist Software und Infrastruktur, darunter unsere freie Software Mediawiki, die hinter allen Wikimedia-Projekten steckt und die wir kontinuierlich nach Nutzerbedürfnissen weiterentwickeln. Ein weiterer Punkt ist Wikidata, ein Großprojekt, das seit 2012 besteht und eine freie strukturierte Wissensdatenbank ist.

WIRED: Wikidata muss ich mir als die Datenbank hinter der Wikipedia vorstellen?
Taherivand: Nicht ganz, Wikidata ist technisch gesehen keine Datenbank. Aber Wikidata beinhaltet alle möglichen Daten, die nicht in den Texten, sondern in den Boxen in den Artikeln vorkommen. Bei einem Artikel über Berlin zum Beispiel die vergangenen Bürgermeister, die Einwohnerzahlen oder die verschiedenen Stadtteile.

WIRED: Welche Schwerpunkte gibt es noch?
Taherivand: Eine Sache, die uns seit der Vereinsgründung begleitet, ist die Unterstützung von Freiwilligen. Brauchen Sie für die Informationsbeschaffung ein bestimmtes Buch, so können Sie bei Wikimedia ein Literaturstipendium beantragen. Wir übernehmen aber auch Reisekosten. Alle Voraussetzungen für die Förderung lassen sich auf unseren Seiten nachlesen.

80 Prozent der Spenden gehen in den zentralen Topf der Wikimedia Foundation, der Rest bleibt bei uns in Deutschland

WIRED: Sie wollen also einen finanziellen Anreiz schaffen, sich zu beteiligen?
Taherivand: Die Arbeit an der Wikipedia passiert nicht nur online, sondern auch bei realen Treffen. Freiwillige, die diese Fahrtkosten nicht übernehmen können oder wollen, werden von uns unterstützt. Das Hauptaugenmerk für die Freiwilligen soll die Arbeit an der Wikipedia sein, nicht die Sorge um finanzielle Ausgaben. Zeitgleich wollen wir auch noch Freiwillige dazugewinnen. Jegliche inhaltliche Arbeit, auch das Editieren und Teile der Softwareentwicklung, wird von der Community gemacht – unsere Aufgabe ist es, dass wir die technische Basis zur Verfügung stellen. Wir greifen auch nicht in Entscheidungsprozesse ein.

WIRED: Es gibt die weltweit agierende Wikimedia Foundation und Länderorganisationen wie Ihre. Spenden Menschen in Deutschland auch automatisch an den großen Bruder?
Taherivand: 80 Prozent der Spenden gehen in den zentralen Topf der Wikimedia Foundation, der Rest bleibt bei uns. Als eingetragener Verein haben wir neben dem Fundraising auch Fördermitglieder und aktive Mitglieder. Auch dabei hilft so eine Kampagne: Durch sie haben wir knapp 14.000 neue Mitglieder begrüßen können und bewegen uns auf eine Mitgliederzahl von 50.000 zu.

WIRED: Gibt es denn auch inhaltliche Unterschiede zwischen Ihnen und der Foundation?
Taherivand: Damit wären wir beim dritten Schwerpunkt unseres Jahresplans: Wir wollen die Rahmenbedingungen freies Wissen stärken. Das machen wir hier von Berlin aus und das hat einen anderen Fokus als bei der Foundation. Wir wollen uns auch politisch engagieren und setzen uns mit deutschen Gesetzen auseinander. Wir arbeiten mit Institutionen zusammen, zum Beispiel Bibliotheken und Museen, die sich auf Deutschland konzentrieren. Wenn wir Freiwillige unterstützen, stehen die hierzulande natürlich im Vordergund. Die Foundation sorgt für die englischsprachige Wikipedia und ist auch in Südamerika aktiv.

WIRED: Was passiert mit den Beiträgen zahlender Mitglieder?
Taherivand: Die Beiträge bleiben komplett bei Wikimedia Deutschland. Das ist natürlich auch für uns sehr erfreulich, weil sie dann direkt uns und unsere Arbeit damit unterstützen.

WIRED: Würde sich so ein Mitgliederverein dann nicht auch als Vorlage für die Foundation anbieten?
Taherivand: Für uns ist es ein Erfolgsmodell, das liegt aber auch an unserem Steuersystem. Die Foundation ist als Foundation gegründet worden, die kann nicht einfach so ihre Geschäftsform ändern. Wikimedia Deutschland existiert aber seit 2004 als gemeinnütziger Verein.

Es gibt keine überdurchschnittlich hohen Leistungen, unsere Gehälter bewegen sich im klassischen NGO-Umfeld

WIRED: Es gab einige Kritik am Fundraising von Wikimedia. Es wird zum Beispiel spekuliert, ob Mitarbeiter überdurchschnittlich hoch bezahlt werden oder ob besondere Leistungen für sie gibt.
Taherivand: Nein, es gibt keine überdurchschnittlich hohen Leistungen. Wir in Deutschland veröffentlichen keine einzelnen Mitarbeitergehälter, aus denen Rückschlüsse möglich wären. Aber unsere Gehälter bewegen sich im klassischen NGO-Umfeld. Es gibt keine zusätzlichen Vergütung über das hinaus, was andere NGOs auch anbieten.

WIRED: Die Kritik geht noch weiter. Das Spendenbanner führe die Geldgeber in die Irre: Man will für die Wikipedia spenden, in Wirklichkeit geht das Geld aber an weitere Projekte eines Wikimedia-Vereins dahinter.
Taherivand: Innerhalb der Banner gab es ein Schaubild, auf dem man genau sehen konnte, wie die Zahlungsströme aussehen, wo die Mittel eingehen und wo sie verwendet werden. Die Wikipedia ist ein Projekt innerhalb des Wikimedia Movements und durch die Spendengelder werden auch die Freiwilligen, die an der Wikipedia arbeiten, gefördert.

WIRED: Also kein Gewissenskonflikt?
Taherivand: Aus unserer Sicht kommt das Geld durchaus direkt der Wikipedia zugute. Wer würde denn sonst das Geld erhalten? Die Wikipedia ist ja an sich als Community organisiert, aber in Deutschland in Form einer Entität. Die Entität sind wir. Wir veröffentlichen unseren Tätigkeitsbericht, und das müssen wir aufgrund unseres Status als gemeinnützigem Verein auch tun. Wir haben eine maximale Transparenz, was die Spendengelder angeht. Das gilt auch für unseren Jahresplan.

WIRED: Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich im kommenden Jahr?
Taherivand: Die Panoramafreiheit, also das freie Abfotografieren von Gebäuden im öffentlichen Raum, ist auf EU-Ebene immer noch nicht durch. Das Thema, das vor einiger Zeit in Deutschland so präsent war, es ist immer noch kein EU-weites Gesetz. Der Unterschied in der Gesetzeslage in den unterschiedlichen EU-Ländern ist eine große Herausforderung, vor allem bei Projekten, die die Community involvieren.

WIRED: Und von der Panoramafreiheit abgesehen?
Taherivand: Uns geht es generell auch darum, Politiker davon zu überzeugen, dass es ein guter Schritt ist, Datenspuren nicht nur einzelnen Konzernen zu überlassen. Wir möchten, dass alle wissen, was mit ihren Daten geschieht, und dass Menschen freien Zugriff auf Daten, auf Informationen, auf Wissen haben. Aufklärungsarbeit ist das Stichwort. Im Bereich Bildung haben wir uns zum Ziel gesetzt, das freie Wissen zu erweitern und uns mit Positionspapieren und Studien entsprechend zu fokussieren. Wir führen selbst Studien durch, fördern aber auch junge Wissenschaftler finanziell, damit sie ihre Publikationen unter freie Lizenzen stellen können.

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