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OkStupid / Die Dating-Profile der Anderen

von Bastian Utz
Wenn man sich dann mal überwunden hat, es mit dem Online-Dating zu versuchen, und die passenden Fotos ausgewählt hat, kommt der schwierigste Part erst noch: Wie füllt man dieses verdammte Profil? Bei den Anderen kann man zumindest lernen, wie man es nicht machen sollte.

Ok, mit dem Versuch, mich hier durchzumogeln, komme ich nicht weiter. „Du hast ja gar nichts in deinem Profil stehen“, schreibt sie. „Aber ich habe deine Fotos mal in die Google-Suche gehauen und herausgefunden, was du so machst.“ Gefallen habe ihr das nicht so,„ich glaube, wir passen nicht zusammen“. Und weiter: „Du solltest vielleicht wissen, dass diese Nachricht unter dem Einfluss einiger Gläser Rotwein geschrieben wurde.“ Ok. Creepy. Aber dann heißt jetzt es wohl: Ich muss mein OkCupid-Profil ausfüllen.

Bei Tinder kommt man vielleicht noch damit durch, das Feld unter den Bildern einfach frei zu lassen. Potenzielle BewunderInnen lassen sich mit einem Einzeiler abspeisen: „Lass uns sagen, wir haben uns im Supermarkt kennengelernt.“ Haha. Nein. Komplexere Plattformen wie OkCupid hingegen nötigen einen mit umfangreichen Fragebögen geradezu, sich verbal ausgiebigst zu entblößen. Und wie man diese Formulare ausfüllt, das hat viel damit zu tun, wie es die anderen tun.

Am Anfang des Profil-Betextens stehen viele Fragen: Was will ich preisgeben? Was sollte ich lieber für mich behalten? Wie will ich klingen? Was kommt nett rüber, was cool, was langweilig, was einfach nur aufgesetzt? Und ist es ok, bestimmte Fragen auszulassen? Ein Weg, das herauszufinden: erst einmal gar nichts schreiben und stattdessen lesen. In den Profilen von anderen. Sehen, was einem gefällt und was nicht. Nur für ein paar Tage.

Ich möchte einen Partner, der 1,73 Meter groß ist und sich immer an alles erinnert, was ich jemals gedacht habe.

Klar lädt allein die Tatsache eines leeren Profils manche schon zum Schreiben ein (siehe oben). Aber im Großen und Ganzen kann man erst einmal in Ruhe nach Best- beziehungsweise Worst-Practice-Beispielen suchen, bevor man sich eigenhändig an die Selbstdarstellung macht.

Denn es ist verdammt schwer, ein Profil zu schreiben, das zwar offen, aber auch ein bisschen mysteriös klingt. Laid-back, aber nicht abgebrüht. Interessant, aber nicht angeberisch. Kurz: etwas, das dein Gegenüber lesen kann, ohne zu gähnen, das Gesicht zu verziehen oder laut loszuprusten. Oder wie Tania kürzlich sagte: „Die Kunst ist, nicht zu viel und nicht zu wenig preiszugeben, interessant zu sein, ohne Unmögliches zu versprechen.“ Was für eine Kunst, das zeigt eben der Blick in die Profile der Anderen.

Ich bin weltoffen, unternehmungslustig und liebe Katzen, Sonnenuntergänge und das Leben.

Da sind zum einen die Mega-Anspruchsvollen. Nichts gegen Menschen, die genau wissen, was sie sollen (ja, bitte, unbedingt!). Es gibt aber eine Art, das nach außen zu tragen, die ist sehr abschreckend. „Ich möchte einen Partner, der 1,73 Meter groß ist, 45 Kilogramm wiegt und sich immer an alles erinnert, was ich jemals gedacht habe. Er soll mir bitte IMMER Blumen mitbringen, sonst bin ich böse. Und wenn du jemals was gegen meine Jungs sagst, bist du raus.“ Kann man schon schreiben, sollte dann aber nicht glauben, dass sich viele Leute finden, die auf die Beschreibung passen — und nicht sofort wegrennen, weil sie „Kontrollfreak!“ in rot blinkenden Lettern vor ihrem inneren Auge sehen.

Das krasse Gegenteil ist der Versuch größtmöglicher Anschlussfähigkeit. Aussagen à la „Ich hole dir die Sterne vom Himmel und mache alles, was du willst“ sind die am verzweifeltsten klingende Variante davon. Sicher nett gemeint, keine Frage — aber auch ein ziemlich klares Signal: Renn weg! Und um Tania noch mal zu zitieren: „Äh, dann kann ich auch einen Computer daten. Ich drücke auf den Knopf, und es passiert... meistens.“

Subtiler sind da schon diejenigen, die man die Generischen nennen könnte. Menschen, die den Drang verspüren, möglichst jedes Feld des Datingplattform-Fragebogens auszufüllen, aber bitte so unverfänglich wie möglich. Mit verbalen Wattebällchen wie „Ich bin weltoffen, unternehmungslustig und liebe Katzen, Sonnenuntergänge und das Leben“ versuchen sie, nur ja nirgendwo anzuecken. Es könnte ja jemand den Impuls verlieren, nach rechts zu wischen oder auf das Like-Sternchen zu klicken. Das wirkt ein bisschen wie ein Bewerbungsschreiben, das man am Ende mit ein paar wahllosen Attributen abzurunden versucht, die bei jedem Menschen gut kommen: „Ich bin zuverlässig, belastbar, pünktlich und ein guter Teamplayer.“

Ich fänd es schon gut, wenn du kein Vollpfosten bist.

Irgendwo über all dem schweben die Meta-Menschen. Sie wissen ganz genau, das das hier alles nur Theater ist, eine Bühne für Selbstdarsteller und Selbsterniedriger, von denen es sich zu distanzieren gilt. Wahlweise schön ironisch-bissig oder aber simuliert bescheiden. Die Supermarkt-Witz-Erzähler vom Anfang gehören genauso dazu wie Leute, die bewusst möglichst trashige Hobbys und Kulturvorlieben angeben, und solche, die auf die Frage „Wie würdest du dich selbst beschreiben?“ antworten: „Puh, ich weiß gar nicht, was ich hier hinschreiben soll, ohne abgedroschen zu klingen.“ Natürlich ist diese Metadistanz zu den Selbstinszenierern selbst Theater.

Aber immerhin scheint auch manchmal die Haltung durch, sich selbst nicht ganz so furchtbar ernst zu nehmen — die wichtigste Zutat für sympathische Profile. In denen scheint nämlich der Humor der oder des Schreibenden durch, ohne dass es zu bemüht wirkt, man bekommt ein Bild vom Gegenüber, ohne dass sie oder er sich ausgiebig beschreiben muss, weil schon einzelne Sätze mehr aussagen als ganze Anforderungslisten. Zum Beispiel (Zitat Tania, again): „Ich fände es schon gut, wenn du kein Vollpfosten bist.“

Diese Kolumne wird von mehreren Autorinnen und Autoren unter Pseudonym verfasst. Bisher haben sie sich gefragt „Wieso reden wir eigentlich nie öffentlich über Online-Dating?“ und festgestellt: „Zeig mir dein Tinder-Foto und ich sag dir, wer du nicht bist“. 

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