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Warum Facebook ein ikonisches Kriegsfoto gelöscht hat

von Max Biederbeck
Der Streit um ein gelöschtes Foto bringt Facebook mal wieder als großen Zensor in die Schlagzeilen. Doch das soziale Netzwerk reagiert diesmal energischer als sonst. Angefangen hat alles, weil ein Romanautor mit seinen Followern diskutieren wollte.

Update 13.09.2016: Mittlerweie hat Facebook dem Druck nachgegeben und das Kriegsfoto von Kim Phuc im Sozialen Netzwerk freigegeben. Die Hintergründe des Streits umd die Medien- und Meinungsfreiheit auf der einen und die Kontrolle und Sicherheit auf der anderen Seite lest ihr hier:

Für Tom Egeland ist es eine geradezu absurde Geschichte. „Hätte ich einen Roman über dieses Thema geschrieben, die Kritiker hätten ihn als plumpen Sci-Fi-Schinken abgetan“, sagt der Bestseller-Autor. In seinem bekanntesten Werk Relic erfindet Egeland eine fiktive Weltverschwörung. Was ihm da gerade auf Facebook passiert, fühlt sich durchaus ähnlich an – ist allerdings echt.

Vor zwei Wochen postete der Norweger ein weltbekanntes Bild von Kim Phuc auf seiner Facebook-Seite: ein nacktes vietnamesisches Mädchen, das vor einem Napalm-Angriff der US-Amerikaner flieht. Egeland hat schon einige solcher historischen Kriegsfotos online gestellt. „Wir alle haben den dreijährigen toten Jungen an der Mittelmeerküste in Erinnerung. Ich wollte solche Bilder im Wandel der Zeit diskutieren“, sagt er.

Dann aber löschte Facebook das Foto, weil das Mädchen darauf nackt ist. Es verstoße gegen die Benutzerrichtlinien. Dazu gibt es eine Warnung: Falls Egeland so etwas noch einmal postet, sperrt ihn das soziale Netzwerk.

Für die abgebildete Kim Phuc, mittlerweile 53-Jahre alt, ist das ein Skandal. In einem Interview mit der Osloer Tageszeitung Dagsavisen verteidigt sie Egeland. Der wiederum postet den Artikel samt Bild auf Facebook – und wird der Warnung entsprechend für 24 Stunden gesperrt. Ein Warnschuss, der eine Kette an Ereignissen in Gang setzt, die am Freitag ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Denn kurz darauf berichtet Norwegens größte Zeitung Aftenposten über den Fall – und wieder meldet sich Facebook. Das Hamburger Büro des Unternehmens ruft bei der Zeitung an und fordert sie auf, das weltberühmte Foto offline zu nehmen. Als die Aftenposten dem nicht nachkommt, löscht Facebook das Bild.

Die Aftenposten wehrt sich. In einem offenen Brief an Mark Zuckerberg höchst persönlich schreibt Chefredakteur Espen Egil Hansen: „Obwohl ich Chefredakteur von Norwegens größter Zeitung bin, muss ich mir klarmachen, dass du meine redaktionelle Verantwortung einschränkst.“ Die Zeitung druckt den Brief und stellt zusätzlich ein Video-Interview mit Hansen ins Netz. Tenor: Facebook sei der größte Herausgeber der Welt – der Agenda Setter dafür, wer welche Informationen bekommt.

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„Und du missbrauchst deine Macht“, schreibt Hansen an Zuckerberg. Auch die norwegische Premierministerin postet das umstrittene Bild, versieht es aber mit dicken Zensur-Balken um ihren Protest auszudrücken. Natürlich geht das kleine Mädchen Kim Phuc zu diesem Zeitpunkt längst viral und ist als Politikum der Meinungsfreiheit überall im Netz zu sehen.

Facebook wiederum, sonst eher schwierig zu erreichen, reagiert prompt. Weltweit gehen Pressemeldungen raus, ein Sprecher des sozialen Netzwerks sagt gegenüber WIRED: „Wir sind uns doch natürlich alle einig, dass es sich hier um ein ikonisches Bild handelt.“ Die weltweite Aufregung sei allerdings übersteigert: Weder gebe es einen Algorithmus, der automatisch jedes Nacktbild heraussiebt, noch könne man solche Fehler über Nacht beheben. „Das ist ein Lernprozess, und wir merken gerade: Er kann durchaus manchmal Schmerzhaft sein“, so der Facebook-Sprecher.

Der Streit um das Kriegsfoto reiht sich in eine Debatte ein, die mittlerweile seit rund einem Jahr geführt wird. Auf der einen Seite steht Facebook als „Laissez-Faire“-Netzwerk, das nach Meinung vieler zu wenig gegen die Verbreitung von Terror- und Hass-Inhalten unternimmt. In Deutschland kommt der Druck vor allem aus dem Justizministerium. Gerade erst hat aber auch der Bundesinnenminister die deutsche „Botschaft“ des Unternehmens besucht, um einen gemeinsamen Plan gegen den Terrorismus im sozialen Netzwerk zu erarbeiten. Dazu gehört auch die Kontrolle von Posts, bevor sie überhaupt online gehen. Im Zuge der Debatte um Hatespeech trat Facebook auch der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia bei.

Auf der anderen Seite steht Facebook der Informationsriese, kaum greifbar und undurchsichtig. Dessen News Feed ist zum zehnjährigen Jubiläum so bedeutend geworden ist, dass Nachrichtenorganisationen geradezu von ihm abhängig sind. Gleichzeitig befeuern Konflikte wie der um Tom Egelands Post die Angst von Verlegern und Datenschützern, dass Facebook zu einem riesigen Zensur-Apparat mutiert.

CEO Mark Zuckerberg dementiert das immer wieder: „Wir sind kein Medien-Konzern“, sagte Zuckerberg im August. „Wir müssen eine Balance finden zwischen dem, was wir löschen und dem, was wir online stehen lassen“, sagt sein Sprecher.

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Vor einigen Wochen erst hat Facebook das Kuratieren von Trending-Topic-Nachrichten im Stream von einem menschlichen Team auf einen Algorithmus übertragen. Das Netzwerk reagierte damit auf Vorwürfe, seine Mitarbeiter würden Nachrichten über die US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton bevorzugen. Der Algorithmus allerdings führte zu einer Schwämme an Falschmeldungen auf Facebook.

Das Bild von Kim Phuc haben hingegen Menschen aussortiert, nachdem User des Netzwerks es gemeldet hatten. Die zuständigen Mitarbeiter arbeiten nach strikten Richtlinien, sie müssen löschen, sobald ein nacktes Kind zu sehen ist. „Den Mitarbeitern hier Ermessen zuzugestehen ist bei Tausenden von Posts mehr als schwierig“, heißt es von Facebook. „Wir müssen uns fragen, wie wir das hinbekommen.“

Ob das soziale Netzwerk mit seiner Kompromissbereitschaft den Kritikern die Angst vor der großen Zensur nehmen kann, muss sich zeigen. „Ich wollte nur über die Fotos diskutieren, das Ganze war für mich kein Kreuzzug“, sagt Tom Egeland. Jetzt müsse er den ganzen Tag mit Journalisten aus aller Welt telefonieren und stecke mittendrin im Kampf um die Meinungsfreiheit. „Ich würde lieber an meinem nächsten Roman weiterschreiben“, sagt der Norweger.

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