Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

„The Walking Dead“ foltert seine Zuschauer

von Max Biederbeck
Die erste Folge der siebten Staffel von „The Walking Dead“ wird im Netz heftig diskutiert. Auch unser Autor fühlte sich von der Gewaltorgie alles andere als unterhalten.

Es ist viertel nach sieben am Dienstagabend. Vor fünf Minuten habe ich das Ende des Staffel-7-Starts von The Walking Dead gesehen. Ich kann nur schwer in Worte fassen, was ich da gerade erlebt habe. Ich komme nicht richtig runter und fühle mich schlecht. Dieser Text kann deshalb nur ein erster und durchaus impulsiver Beitrag sein – Kunst darf auch in der TV-Serie so ziemlich alles. Aber heute Abend muss ich mich doch fragen: Darf sie ihre Zuschauer foltern?

!!! SPOILER ALARM: Dieser Artikel verrät Details über die erste Folge der neuen Staffel von The Walking Dead. Wir haben euch gewarnt !!!

Fans der Show haben Glenn gefühlt schon oft sterben sehen. Als einer der ältesten Charaktere der Serie und moralische Instanz schaffte er es aber doch noch immer irgendwie. Auch vor dem Start der neuen Staffel kursierten bereits viele Gerüchte um sein erneutes potenzielles Ableben.

Der aktuelle Schurke der Zombie-Serie, ein Warlord namens Negan, hatte ihn schon im The-Walking-Dead-Comic als Opfer für seinen gestachelten Baseballschläger ausgewählt. Ein tödliches Exempel wollte er so an der Gruppe um den Ex-Polizisten Rick Grimes statuieren. Auch in der TV-Show würde mindestens einer der Charaktere sterben, so viel stand seit dem Ende der vergangenen Staffel fest. Würden sich die Macher sich an die Vorlage halten? Es war der Cliffhanger des Sommers.

Dass eine derart perverse Gewaltorgie folgen würde, hätte ich nicht erwartet

Kurz bevor ich einschalten wollte, spoilerten mich bereits die YouTube-Empfehlungen für das Video einer Abschiedsrede von Glenn-Darsteller Steven Yeun. Nervig, aber nicht tragisch – immerhin war ich damit vorbereitet. So dachte ich. Dass eine derart perverse Gewaltorgie folgen würde, hätte ich nicht erwartet.

Die Episode The Day Will Come When You Won't Be ist eine nicht enden wollende Folterszene bestehend aus physischer und psychischer Misshandlung ihrer Protagonisten. Die Gewalt ist so ausdauernd und präzise in Szene gesetzt, dass sie den Zuschauer Teil des Geschehens werden lässt – fast als wäre man selbst Mitglied der Gruppe, die dabei zusehen muss, wie Negan sich an einem Mitglied nach dem anderen abreagiert.

Klar, auch der Tod beliebter Charaktere reicht den Showrunnern heute nicht mehr als Schocker. Da muss mehr her. Aber kann die quasi-reale Folter von seit Jahren bekannten Figuren vor laufender Kamera die Lösung sein?

Erst findet Abraham den Heldentot, dann prügelt Negan auf Glenn ein. Der stirbt nicht gleich, sondern starrt mit eingedelltem Kopf und herausstehendem Auge noch bestimmt 20 Sekunden seine Frau an und versucht dabei, die Worte „I find you“ zu stammeln. Sein Peiniger macht sich derweil über ihn lustig. Dann bricht Negan den Willen des Anführers Rick, indem er ihn zum Schein dazu zwingt, seinem Sohn innerhalb eines Countdowns den Arm abzuhacken (Die Alternative ist der Tod der gesamten Gruppe)

Alle diese Szenen sind nicht geschönt, sie ziehen sich teils minutenlang hin. Sie verknüpfen das Leiden der Betrachter, sowohl Gruppe als auch Zuschauer, mit dem der Gefolterten. Kurzum: Ich habe vergangenen Sommer alle Staffeln von The Walking Dead innerhalb kurzer Zeit noch einmal gesehen, bin also durchaus ein abgehärteter Fan. Aber hier wurde es sogar mir zuviel.

Die Macher von The Walking Dead foltern mit dieser Episode nicht nur die Helden ihrer Show, sie reagieren sich auch am Zuschauer ab. Das kündigte sich schon in der letzten Folge der vergangenen Staffel an, die in unerträglicher Länge mit dem ungewissen Tod eines der Gruppenmitglieder spielte. Doch das war nur theatralisch aufgebaute Spannung – jetzt fühlt sich es anders an.

Inhalte, die selbst die absurde Gewalt der SAW-Filme bei Weitem übersteigen

Viele Medien schreiben, die neue Walking-Dead-Episode sei ein Gewaltporno mit Gesichtern, die man teils seit Jahren kennt. Ich kann mich nur anschließen. Dieser bösartige Erguss ist so immersiv, dass es einen aus dem Bildschirm geradezu anspringt. Allein 17 Millionen Amerikaner haben das Spektakel am Sonntagabend in den USA verfolgt, zig Millionen kommen weltweit dazu. Sie alle haben Inhalte gesehen, die selbst die absurde Gewalt der SAW-Filme bei Weitem übersteigen (vielleicht gerade deshalb, weil sie keinesfalls absurd dargestellt werden). Das kann nur als Schritt zur Verrohung der Bildsprache verstanden werden.

Bei der Recherche wurde mir schnell klar, ich bin nicht der einzige Fan, der nachhaltig verstört ist. In den USA ging die Aufregung sogar so weit, dass sich Regisseur Greg Nicotero dazu veranlasst fühlte, klarzustellen: Keine echten Menschen kamen bei dieser Episode zu Schaden und alle Schauspieler leben noch.

Ich selbst habe mir das Goodbye-Video von Steven Yeun gerade noch einmal angesehen. Es wirkt absurd erleichternd auf mich, wie seine Schauspieler-Kollegen ihn albern zum Abschied knutschen. Als müsste auch ich mich davon überzeugen, dass er noch lebt. Da ist etwas völlig falsch gelaufen bei dieser Episode – ich fühle mich alles andere als unterhalten.

+++ Mehr von WIRED regelmäßig ins Postfach? Hier für den Newsletter anmelden +++

GQ Empfiehlt