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Horror-Game „Until Dawn“: Ich weiß, was du letzten Sommer gespielt hast

von Tim Rittmann
Abwechslungsreich und sogar ein bisschen gruselig: Until Dawn ist ein Teenie-Slasher für die Playstation 4. Sony und Entwickler Supermassive Entertainment verdeutlichen mit dem Game, wie unscharf die Trennlinie zwischen Computerspielen und Filmen geworden ist.

Die obligatorische Hütte im Nirgendwo: Genau hier sind die Zwillinge Beth und Hannah vor einem Jahr auf mysteriöse Weise in den Tod gestürzt. Acht ihrer Freunde kommen zurück an den Unglücksort, der Bruder der Toten will es so. Sie sind junge Großstädter, sündig, normal, verwöhnt, sympathisch. Und sie gehen in die Wildnis, um sich dezimieren zu lassen. Denn über das verschneite Grundstück streunt ein maskierter Mörder.

Schon zu Beginn von „Until Dawn“, dem neuen Horror-Game für die PlayStation 4, werden konsequent sämtliche Slasher-Klischees erfüllt, die spätestens seit der „Halloween“-Reihe Teil der Popkultur sind: von der Zusammenstellung der Clique — die Zicke, der Sportler, der Nerd — bis hin zum kausalen Zusammenhang von Sex und gewaltsamem Tod. Doch das Wissen um die Grundstrukturen des Slasher-Genres soll den Spieler bloß in Sicherheit wiegen. Denn je länger das Spiel andauert, desto häufiger läuft er mit seinen Erwartungen ins Leere — oder ins Messer.

Abwechselnd steuert man in „Until Dawn“ einen der acht Charaktere durch das tödliche Winter Wonderland. Die spielerischen Elemente sind dabei auf das Nötigste beschränkt, vereinzelte Quick-Time-Events und Halt-Den-Controller-Still-Spielchen sind Hinweis darauf, dass „Until Dawn“ irgendwie auch ein Videogame sein soll. Doch das Zauberwort heißt: interaktives Entertainment. Denn „Until Dawn“ erinnert durch die vielen geskripteten Szenen und die aufwendig inszenierten Dialoge eher an „Heavy Rain“ als an „Resident Evil“ oder „Alien: Isolation“, dem letzten wirklich guten Survival-Horror-Game.

Die Fokusierung auf die Story von „Until Dawn“ erinnert mehr an „Heavy Rain“ als an „Resident Evil“.

Supermassive Entertainment

Weitaus interessanter als die Quick-Time-Events sind die sammelbaren Objekte. Genauso wie unzählige Hinweis-Schnipsel zur Vergangenheit des Psychokillers finden sich hier und da kleine Totem-Figuren. Hebt der Spieler sie auf, gewähren sie ihm eine kurze Vision, etwa davon, wie jemand auf einem Felsen zerschellt oder von einer Explosion verschluckt wird. Manchmal auch von einem Gegenstand oder einem Tier, das einem in naher Zukunft über den Weg läuft. Wer die Zeichen richtig zu deuten vermag, entgeht womöglich seinem grausamen Schicksal.

Denn darum geht es in „Until Dawn“ vor allen Dingen: der Karmakeule auszuweichen. Ständig trifft der Spieler Entscheidungen und beeinflusst damit die empfindliche Gruppendynamik. Figuren sind nett oder gemein, neugierig oder diskret, gehen nach links oder rechts, aber eben nur auf Geheiß der Sofa-Gottheit vor dem Fernseher. Mit scheinbaren Banalitäten unterzeichnet man Todesurteile, die berühmten Flügelschläge des Schmetterlinges, die Wirbelstürme verursachen können — sie flattern immer wieder durchs Bild.

Es ist immer noch ein kleiner Traum von Game-Designern, den Entscheidungen des Spielers eine entsprechende Gewichtung zu verleihen. Sie wollen ein dynamisches, hoch empfindliches Universum schaffen, in dem es nur ein Gesetz gibt: die Kausalität zwischen Handlung und Schaden. Es ist ein Versprechen, das Bioware-Rollenspiele und die Games von Telltale gegeben haben, am lautesten aber wohl Peter Molyneux, der große Phantast unter den Spiele-Entwicklern. Und nun also „Until Dawn“.

Die britischen Entwickler Supermassive Games geben an, ihre Teenie-Horror-Story lasse mehrere hundert verschiedene Enden zu. In den knapp neun Stunden Spielzeit könne jeder Charakter sterben, aber auch überleben — es hänge allein vom Spieler ab. Was nichts anderes bedeutet, als dass „Until Dawn“ wieder und wieder gespielt werden kann, ohne sich zu wiederholen. So funktioniert langfristige Motivation.

Die Entwickler versprechen, dass „Until Dawn“ durch seine mehr als 100 Enden viel Wiederspielwert erhält.

Supermassive Entertainment

Das sollte freilich zum Experimentieren einladen. Klar kann man versuchen, alles zum Guten zu wenden und den Killer als Eindringling möglichst harmonisch zu beseitigen. Das hat allerdings ungefähr genauso viel Reiz, wie „Skyrim“ zu spielen, ohne jemals einen Drachen zu töten.

Was auch geht: Die Charaktere so gegeneinander ausspielen, dass sie ein möglichst hässliches Ende finden, mit dem maskierten Killer als ausführendem Organ des Spielers. Von oben herab blickt dieser dann auf seine Versuchskaninchen.

Um das Spielerlebnis den Ängsten des Spielers ein wenig anzugleichen — denn ein bisschen gruselig ist „Until Dawn“ durchaus — werden die einzelnen Spielabschnitte durch Therapiesitzungen mit einem verrückten Psychologen unterbrochen. Dr. Hill entwickelt sich dabei nicht nur zu einem kranken Sympathieträger, er durchbricht auch die vierte Wand und wendet sich direkt an den Spieler. Dr. Hill weiß: Der wahre Psychokiller sitzt vor dem Fernseher. 

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