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Müssen wir alle Spione werden, um Manipulation zu erkennen?

von Dirk Peitz
Über Nacht wurden in US-Medien Verdächtigungen verbreitet, es gebe Verstrickungen zwischen Donald Trump und der russischen Führung. Was ist nun der größere Skandal – der Inhalt des Dossiers, in dem das steht, oder dass BuzzFeed es ungeprüft veröffentlicht hat? Die Antwort ist kompliziert, und sie geht uns alle an: Wenn sich Fake News nicht mehr unzweifelhaft als solche erkennen lassen, müssen wir uns um die Zukunft der Wahrheit sorgen.

Am Dienstag gab es aus den USA zwei ausnahmsweise wirklich mal interessante Meldungen zu Donald Trump. Die erste ließ sich allerdings rasch als Fake News entlarven: Twitter, so lautete ihr Inhalt, habe Trumps Account gelöscht, weil die Plattform angeblich „Rassismus und Hass nicht toleriere“.

Die Website, die das vermeldete, ist erstens eine schon länger bekannte Fake-Version der Online-Präsenz des Nachrichtensenders CNN. Und der in dem vermeintlichen Bericht zitierte angebliche Twitter-Sprecher Paul Horner ist zweitens ein ebenfalls seit längerem bekannter Fake-News-Schreiber, der es sogar schon zu einem Porträt über sich in der hochseriösen Washington Post gebracht hat. Vor allem aber wurde Trumps Twitter-Account drittens offensichtlich nicht gesperrt. In der Nacht zu Mittwoch schrieb der baldige US-Präsident dort in Großbuchstaben: „FAKE NEWS – A TOTAL POLITICAL WITCH HUNT!“

Dieser Tweet bezog sich aber keineswegs auf die Falschmeldung über seine angeblich gesperrten Twitter-Account. Sondern auf die wesentlich bedeutsamere zweite Nachricht und deren möglichen Folgen: Das echte CNN hatte am Dienstag als erstes Medium über die Inhalte eines 35-seitigen Dossiers zu möglichen Verstrickungen Trumps und von Mitgliedern seines Teams mit dem Kreml berichtet. Kurze Zeit später stellte BuzzFeed ein Scan des Originaldokuments ins Netz, nur mit wenigen Schwärzungen versehen.

Das Problem mit diesem von einem ehemaligen Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes MI6 – zunächst offenbar im Auftrag von republikanischen Trump-Kontrahenten und später auch Unterstützern der Clinton-Kampagne – im Laufe des vergangenen Jahres erstellten Dossiers ist: Den Wahrheitsgehalt des darin Beschriebenen hat bislang niemand verifizieren können.

Ein Dokument, dessen Wahrheitsgehalt noch ungeprüft ist, wurde in den höchstoffiziellen Kreislauf staatlicher Stellen aufgenommen – und geriet dank BuzzFeed zugleich an die Öffentlichkeit

Sind es bloß Gerüchte, die da zum Beispiel über ein vermeintlich existierendes Sexvideo erzählt werden, das russische Geheimdienste aufgenommen haben sollen und das Trump kompromittieren, gar erpressbar machen soll durch die russische Führung? Ein Kreml-Sprecher jedenfalls hat die Existenz eines solchen Videos am Mittwochmorgen bestritten. Ist das Video und sind auch manch andere oder gar alle Behauptungen in dem Dokument vielleicht schlicht Erfindungen eines Ex-Geheimdienstlers? Eines Mannes, der zwar als glaubwürdig gilt – aber halt doch dafür bezahlt wurde, Trump-Gegner mit möglichst scharfer Enthüllungsmunition auszustatten, um dessen Wahl zum US-Präsidenten zu verhindern. Oder ist am Ende doch irgendwas dran an dem Dossier?

Seriöse Medien wie die New York Times, der Guardian und die Washington Post haben auf diese Fragen bislang keine Antworten gefunden. Dennoch berichten auch sie über das Dossier, das ihnen nach eigenem Bekunden schon länger vorlag. Eine der damit verbundenen Enthüllungen lautet: Auch die US-Geheimdienste kennen das Dossier. Sie sollen in der vergangenen Woche der streng geheimen Version des Berichts über den Hack der Demokraten, die sie dem amtierenden Präsidenten Obama und dem zukünftigen Präsidenten Trump vorgelegt haben, einen zweiseitigen Anhang hinzugefügt haben, in dem der Inhalt des nun von BuzzFeed in Gänze veröffentlichten Trump-Dossiers zusammengefasst worden sei. Damit ist ein Dokument, dessen Wahrheitsgehalt noch ungeprüft ist, in den höchstoffiziellen Kreislauf staatlicher Stellen aufgenommen worden – und dank BuzzFeed zugleich an die Öffentlichkeit geraten.

Die Online-Nachrichtenseite folgt auf dem ersten Blick lediglich dem Beispiel von Enthüllungsplattformen wie WikiLeaks und dem Whistleblower Edward Snowden. Die haben ebenfalls Originaldokumente im Sinne einer größeren Transparenz öffentlich gemacht (beziehungsweise im Fall von Snowden öffentlich machen lassen durch Medien wie den Guardian). Snowdens Enthüllungen über die Methoden der NSA jedoch bestanden aus offiziellen Dokumenten dieses Geheimdienstes, auch wenn die nur zum internen Gebrauch bestimmt waren. WikiLeaks hat früher ebenfalls unter anderem offizielle Dokumente zum Irak-Krieg enthüllt, doch selbst bei den zuletzt geleakten E-Mails der Clinton-Kampagne zweifelt bislang niemand an deren Authentizität.

Das ist die neue Realität unserer Online-Welt: Ist etwas erst mal raus, schafft es sich seine eigene Evidenz und wird unmittelbar Gegenstand der Kommentierung

Das Trump-Dossier hingegen stammt aus keiner staatlichen Quelle, es ist kein amtliches Schriftstück. Es ist eine mit journalistischen Mitteln erstellte Kolportage eines Ex-Geheimdienstlers, der verschiedene anonyme Informanten zitiert und deren Aussagen zudem quasi-geheimdienstliche Einschätzungen beigefügt hat. Das Dossier ist nur insofern echt, als dass es offenbar keine Fälschung ist – ob der Inhalt aber ein Fake ist, kann niemand sagen bislang.

Daraus ergeben sich gleich zwei Probleme. Das erste ist eines der Medien, die nun berichten: Bislang galt es als selbstverständlich, keine unverifizierten, womöglich auch niemals verifizierbaren Aussagen aus ebenso wenig verifizierbaren Quellen zu benutzen. Diese Regel hat BuzzFeed gebrochen. Wenn auch wir hier nun über die Vorgänge schreiben, so folgen wir dem Beispiel anderer und können uns lediglich darauf berufen, dass das Trump-Dossier mit dem Moment seiner Veröffentlichung Gegenstand medialer Betrachtung geworden ist, unabhängig vom Wahrheitsgehalt des Inhalts. Ist etwas erst mal raus, schafft es sich seine eigene Evidenz und wird unmittelbar Gegenstand der Kommentierung: Das ist die neue Realität unserer Online-Welt, und sie ist am gestrigen Tage noch etwas wilder geworden, als sie es zuvor schon war. Das müssen wir jetzt auch erst mal verarbeiten.

Das zweite, womöglich noch weitreichendere Problem stellt sich nicht nur Journalisten, sondern allen Menschen, die heute vor allem sozialmedial am öffentlichen Diskurs teilnehmen: Auf welchen faktischen Grundlagen debattieren wir in Zukunft, wenn das, was ein Fake ist und was nicht, nicht mehr eindeutig bestimmbar ist?

Dass sozialmediale Debatten längst durch Verschwörungstheorien und durch wachsendes Misstrauen etwa gegenüber staatlichen Statistiken vergiftet sind, ist das eine. Doch wie mühsam es auch immer sein mag, überprüfbar falsche Behauptungen wie etwa die über Trumps Twitter-Account lassen sich als solche benennen. Doch wie geht man mit Behauptungen um, die sich überhaupt nicht mehr auf ihre Richtigkeit hin überprüfen lassen – weil sie dem zwar seit langem existenten, aber für die breite Öffentlichkeit in dieser Form neuen Geheimdienstreich der potenziell gezielten Fehlinformation entstammen könnten? Müssen wir jetzt alle erst mal das Agentenhandwerk der Propaganda erlernen, bevor wir weiter mitreden können? Wird der öffentliche Diskurs nun zunehmend fiktionalisiert, bis wir die Fakten vor lauter Lügen kaum noch erkennen?

Lügen wie die von Donald Trump lassen sich nicht mit unüberprüfbaren Behauptungen kontern, die sich am Ende womöglich auch als Lügen herausstellen

Dass es nun in dieser Wucht Donald Trump trifft, einen Mann, der während des US-Wahlkampfs objektiv feststellbar viele Lügen verbreitet hat, mag diejenigen Leute trösten, erheitern, feixen machen, die ihn ohnehin verachten – auch wegen seines äußerst erratischen Verhältnisses zu Fakten, Wahrheiten, jedweder Vorstellung von Realität an sich.

Doch Lügen, wie die, welche Donald Trump verbreitet hat (und vermutlich weiter verbreiten wird), lassen sich nicht mit unüberprüfbaren Behauptungen kontern, die sich am Ende womöglich auch als Lügen herausstellen könnten. Dagegen helfen nur Fakten und Wahrheiten. Dass die nicht einfach so existieren da draußen, in einem Zustand reiner Objektivität, sondern wieder und wieder zweifelsfrei als solche verifiziert werden müssen – genau daran erinnert die Diskussion um das Trump-Dossier, die gerade erst begonnen hat. Und deshalb ist es wichtig, über dessen Existenz zu schreiben und zu diskutieren.

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