Ganze 40 Stunden hatte ein Junge in der chinesischen Provinz Guangdong das Smartphone-Game King of Glory gespielt – außerhalb Chinas auch Honor of Kings genannt. Dann erlitt das Kind, wie chinesische Medien berichteten, „eine Art Herzinfarkt“ und starb. Der Konzern Tencent, der hinter der League-of-Legends-Kopie steht, wurde im Nachgang heftig kritisiert. Denn zahlreiche der 200 Millionen Spieler würden durch das erfolgreiche Mobile-Game in die Sucht getrieben.
Nun hat das Unternehmen die Spielzeiten für junge Nutzer künstlich begrenzt. Spieler bis zwölf Jahre können nur noch eine Stunde am Tag spielen – bis spätestens 21 Uhr. Im Alter zwischen zwölf und 18 sind zwei Stunden gestattet. Gemessen wird das über die in China allgegenwärtige Messenger-App WeChat, die zur Registrierung nötig ist.
Die Spieler haben das Gefühl, ein Erfolgserlebnis und Belohnungen zu verpassen
„Das mag drakonisch sein, ist aber durchaus zielführend“, sagt Gordon Schmid von Lost in Space, der Berliner Beratungsstelle für Internet- und Videospielsucht. „Zumindest mit Blick auf die Suchtentwicklung ist das ein probates Mittel.“ Damit ließe sich jungen und damit eventuell anfälligeren Spielern recht zuverlässig eine zeitliche Struktur beibringen. Selbst wenn sie auf andere Accounts oder Games ausweichen könnten.
„Das Problem ist, dass sie den Konsum nicht mehr regulieren können“, erklärt Schmid. Sie haben das Gefühl, ein „Erfolgserlebnis und Belohnungen zu verpassen“ oder „hinter Mitspielern zurückzufallen.“ Denn insbesonders Multiplayerspiele wie World of Warcraft, League of Legends, King of Glory oder Destiny haben „kein formales Ende“, schüren gezielt den Wettbewerb und erzeugen das Gefühl, dass man sich durch mehr und mehr Spielzeit neue Vorteile erarbeiten kann.
Um mitzuhalten, vernachlässigen Gamer ihre Familie oder den Beruf. „Trotzdem ist es nicht ratsam, die Verantwortung alleine auf die Entwickler abzuwälzen“, sagt Schmid. Insbesondere, da ein „Sendeschluss für Videospiele“ wie in China im Westen derzeit schwer vorstellbar ist. Stattdessen müssten Eltern selbst Initiative zeigen. Denn Angehörigen und süchtigen Spielern sei „meist klar, dass da ein Problem ist“, sagt Schmid. „Es ist oft hilfreich zu versuchen, klare Regeln zu finden.“ Gelingt es den Spielern dann nicht, sich an zeitliche Grenzen oder Verabredungen zu halten, dann muss Unterstützung her: Beratung und Therapie, wie sie mittlerweile in viele Städten angeboten wird.
In Deutschland sind der PINTA Studie des Bundesministeriums für Gesundheit zufolge 3,8 Prozent der 14- bis 24-Jährigen und 1,5 Prozent der 14- bis 64-Jährigen internet- und videospielsuchtgefährdet. Das klingt nach wenig, sollte aber nicht unterschätzt werden.
Das Wort „Sucht“ wird oft zu leichtfertig verwendet: „Man kann das nicht an einer Stundenzahl ablesen. Wer einfach viel spielt, muss noch kein Problem haben“, sagt Schmid. „Die wichtigen Fragen sind eher: Bestehen soziale Kontakte? Trifft jemand noch Menschen im echten Leben? Laufen Schule, Ausbildung und Arbeit?“ Wenn ja, dann sei es auch kein Problem, wenn jemand mal für zehn Stunden in einem Videospiel versinkt.
Dazu müsste auch bedacht werden, „dass Videospiele einen wichtigen Teil der modernen Kultur und Freizeitgestaltung darstellen“, sagt Schmid. Recht dramatisch titelt die New York Times aktuell „Warum manche Männer nicht arbeiten: Videospiele sind einfach zu gut geworden“ und zitiert im Text eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts National Bureau of Economic Research. Demnach sollen Männer im Alter zwischen 21 und 30 seit 2015 ganze 203 Stunden weniger im Jahr arbeiten als noch acht Jahre zuvor.
Wenn die Arbeit läuft, dann ist es auch kein Problem, mal 10 Stunden in ein Videospiel zu versinken
Stattdessen verbringen sie diese Zeit mit Videospielen. Auch weil sie eine Spielroutine ihrem Alltag vorziehen. Auf rund 3,4 Stunden pro Woche statt wie bislang nur zwei Stunden sei ihre Gaming-Zeit gestiegen. Hier von Sucht zu sprechen, ist jedoch übereilt.
„Diese Entwicklung ist wohl eher dem gesellschaftlichen Wandel zuzuschreiben“, sagt Suchtberater Schmid von Lost in Space. „Videospiele sind heute ganz normal und zugänglich: Also werden sie natürlich mehr gespielt. Ähnliches sehen wir mit den Smartphones oder dem Internet. Da ist nichts Erschreckendes dran.“ Auch Ökonomen zweifeln die Schlussfolgerung der Studie an. Der Rückgang der Arbeitszeit könnte ebenso auf die Globalisierung, Automatisierung und stagnierende Gehälter zurückzuführen sein.
Auch Studienautor Erik Hurst nimmt das Ergebnis mit bissigem Humor: „Warum sollte man in seinen 20ern nicht ein bisschen Spaß haben, um dann eben mit 80 zu arbeiten?“, sagt er gegenüber der New York Times.