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Bei dieser Sprachlern-App ist die Community wichtiger als Vokabeln

von Lina Hansen
Wer spricht, lernt schneller. Mit der Tandem-App können sich deswegen Menschen aus aller Welt zum Sprachenlernen verabreden. Der Community-Gedanke ist den Gründern besonders wichtig.

Ein Foto hochgeladen, ein paar Fragen zu mir beantwortet und nun muss ich erst mal abwarten. Das Tandem-Team prüft mein Profil und stellt sicher, dass ich mit der App tatsächlich eine Sprache lernen möchte – und nicht etwa nach Dates suche.

Seit zwei Jahren gibt es Tandem mittlerweile – 1,5 Millionen Mal wurde die App schon heruntergeladen. Tobias Dickmeis und Arnd Aschentrup, beide Medienwissenschaftler und alte Studienkollegen hatten zunächst an einer App gearbeitet, die ganz allgemein Videochats ermöglichte. „Wir haben aber sehr schnell gemerkt, dass der größte Use Case der App das Sprachenlernen ist und uns dann darauf konzentriert“, sagt Dickmeis. Über Tandem finden sich Sprachlernwillige, die sich per Text, Sprachnachrichten und Videochats verbinden. Hierbei wird das klassische Tandemprinzip verfolgt – man spricht über bestimmte Themen und lernt dabei die Sprache des jeweils anderen.

Mit der App haben sich die beiden Gründer eine große Zielgruppe erschlossen: „1,2 Milliarden Menschen weltweit lernen gerade eine neue Sprache“, sagt Aschentrup. „Vor allem in den Großstädten in Ländern wie Brasilien, Mexiko, Russland oder China“. Ein riesiger Markt. Die häufigste Sprachkombination ist laut Aschentrup Spanisch und Englisch. „Aber summiert gibt es sehr viel mehr Tandempaare, die die weniger geläufigen Kombinationen sprechen. Schwedisch und Norwegisch oder Ukrainisch und Russisch zum Beispiel“.

Die Länder, aus denen die Tandempartner kommen, sind vielfältig, kein Land macht mehr als zehn Prozent der Nutzer aus. „Gestartet sind wir mit etwa 40 Sprachen. Mittlerweile sind es 148, darunter auch elf Gebärdensprachen“, so Aschentrup.

Das Tandem-Team hat mein Profil freigeschaltet. Die App will, dass ich ein Thema vorschlage, über das ich mit meinen potentiellen Sprachlernpartnern reden kann. Ziemlich praktisch, so können wir Smalltalk und unangenehme Gesprächspausen vermeiden und gleich losquatschen. Mit einem Thema im Kopf lässt sich eventuelle Schüchternheit außerdem viel besser überwinden. „Let’s talk about travel“, schreibe ich in mein Profil.

Einen Ort zu schaffen, an dem sich die Nutzer sicher fühlen, hat für Dickmeis und Aschentrup höchste Priorität. Man solle keine Angst haben, sich zu blamieren. Eine Handvoll Beschwerden gingen jeden Tag ein, gemessen an der Zahl der täglichen User – die Tandem nicht kommuniziert – sei das jedoch sehr wenig. „Am Anfang waren 70 bis 80 Prozent unserer Arbeit Communitybuilding“, sagt Aschentrup. Das sei am wichtigsten. Deswegen fingen sie auch jetzt erst an, konkrete inhaltliche Entwicklungen voranzutreiben.

Das sollen jedoch nach wie vor keine Vokabeln oder Grammatikregeln sein, sondern vielmehr Inhalte, die die User dazu anregen sollen, gemäß ihres Lernfortschrittes neue Themen zu behandeln. „Bei herkömmlichen Sprachtandems ist auch oft ein Lehrer oder Berater dabei“, sagt Dickmeis. „Wir wollen nun ein Curriculum innerhalb der App entwickeln, das wie ein digitaler Betreuer funktioniert“. Außerdem soll man bald seine Fortschritte tracken und sie mit seinen Freunden vergleichen können.

Die ersten Nachrichten trudeln ein – Adriano aus Portugal will wissen, wie es mir geht. Okay, also doch Smalltalk. Wir sprechen ein bisschen auf Deutsch über seine Heimatstadt und irgendwann schlage ich vor, auf Portugiesisch zu wechseln. Meine Kenntnisse sind zwar beschränkt, aber zum Üben bin ich ja hier. Währenddessen kommen immer mehr Nachrichten: Von Julien aus Frankreich, Andreia aus Brasilien und Yannick aus der Schweiz. So viele Unterhaltungen kann ich gar nicht gleichzeitig führen – und so viele Sprachen gleichzeitig üben erst recht nicht. Die im spontanen Übermut eingestellten Sprachen in meinem Profil waren vielleicht doch zu viele. Aber es ist interessant zu sehen, mit wievielen potentielle Tandempartnern ich schon in den ersten 30 Minuten in Kontakt treten könnte.

Geld verdient Tandem mit einem Tutorenprogramm. „Manche User wollen zunächst einmal die Grundkenntnisse einer Sprache erwerben oder sich auf bestimmte Tests vorbereiten“, sagt Dickmeis. Dafür können sich Tutoren mit Vorerfahrung bewerben, das Tandem-Team führt eine Probestunde durch und bei entsprechener Qualifikation können sie dann Stunden anbieten. „Uns ist die Qualität der angebotenen Stunden sehr wichtig, so dass wir momentan nur etwa 160 Tutoren beschäftigen“. Den Preis legen die Lehrer selbst fest, meist bewegt er sich zwischen 15 und 20 Dollar die Stunde. Die Schüler können ihre Stunden selbstständig buchen und immer wieder zu einem bestimmten Tutor zurückkehren, der sie bei ihren Lernfortschritten begleitet.

Das Konzept geht auf: Das Tandem-Büro in Berlin-Friedrichshain hat momentan 16 Mitarbeiter aus zehn verschiedenen Ländern. Und das Team wächst, gerade sind Dickmeis und Aschentrup wieder auf der Suche nach einem neuen Büro, weil das alte zu klein wird.

Adriano und ich haben uns jetzt eine halbe Stunde unterhalten und uns beide in die jeweilig andere Sprache hineingefunden. Gleich verabreden wir uns für die nächste Lernsession – diesmal wollen wir über Filme sprechen. Aber dafür sollte ich mir vorher vielleicht ein paar mehr Vokabeln aneignen.

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