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Indie-Game „Tacoma“: Eine neue Dimension des Space-Explorer-Genres?

von Oliver Klatt
Mit „Gone Home“ bewiesen die Indie-Entwickler Fullbright 2013, dass ein einzelnes Haus — vollgestopft mit Alltagsgegenständen und Erinnerungen — allein schon eine bewegende Videospielgeschichte erzählen kann. Ihr neues Game „Tacoma“ spielt hingegen in einer verlassenen Raumstation. WIRED durfte das Game antesten und Game-Designerin Karla Zimonja über ihr neues Projekt ausfragen.

Sieben Jahrzehnte in der Zukunft, 300.000 Kilometer von der Erde entfernt: In der Rolle der Astronautin Amy Ferrier geht man als Spieler von „Tacoma“ an Bord einer Raumstation — und wundert sich. Denn von der Crew fehlt jedes Lebenszeichen. Allein die Stimme von ODIN, dem Bordcomputer, ist zu hören. Essensbehälter und Getränkepackungen schweben schwerelos durch die menschenverlassenen Gänge. Computerdisplays und Anzeigetafeln zeigen Glitch Art statt nützlicher Informationen. Und der eigentlich auf Hilfsbereitschaft programmiere ODIN gibt sich störrisch. Kein Zweifel: Irgendetwas ist hier gehörig schief gelaufen.

Eine Raumstation ist ein guter Schauplatz für ein Spiel über das Alleinsein.

Karla Zimonja, Game-Designerin

„Genau wie bei ‚Gone Home‘ wollten wir auch mit ,Tacoma‘ ein Spiel entwickeln, das seine Geschichte über die Umgebungen erzählt, die man als Spieler erforscht“ sagt Zimonja. „Um niemanden zu langweilen, haben wir uns aber für ein Setting entschieden, dass sich stark von unserem ersten Spiel abhebt.“ Das wurde zur Herausforderung für das kleine Entwicklerteam. Denn diesmal konnten man nicht einfach zum benachbarten Second-Hand-Shop laufen, dort Fotos machen und die Fundstücke anschließend ins Spiel übertragen. Diesmal war die eigene Vorstellungskraft gefragt. Um der Raumstation Glaubhaftigkeit zu verleihen, zogen die Entwickler YouTube-Videos von Astronaut Chris Hadfield zu Rate, in denen er über sein Leben an Bord der International Space Station berichtete.

Grafisch kann „Tacoma“ zwar nicht mit der Mehrzahl anderer Weltraum-Games mithalten, aber die Station wirkt überzeugend genug, um sie als zweite Realität zu akzeptieren und sich in ihr auf die Suche nach Hinweisen zum Verbleib der Besatzung zu begeben. „Wir beginnen immer damit, uns eine Welt auszudenken, und überlegen dann, wie ein normaler Mensch auf diese Welt reagieren würde“, erklärt Zimonja den Design-Ansatz von Fullbright. „Eine Raumstation ist ein guter Schauplatz für ein Spiel, in dem es um das Alleinsein gehen soll. Wir wollen den Spieler ein Gefühl der Müdigkeit und der Melancholie spüren lassen.“

Angst zu erzeugen, sei jedoch nie das Ziel gewesen. „Tacoma“ ist kein Horrorgame. „Da ist nichts an Bord, das dich auffressen will“, sagt Zimonja. Von dieser Sorte Videospiel gibt es ja schließlich schon genug. Allen voran das im vergangenen Jahr veröffentlichte „Alien Isolation“, das ebenfalls an Bord einer Raumstation spielt — und den Begriff Angst im Videospiel neu definiert hat.

„Als ,Alien Isolation‘ veröffentlicht wurde, hatten wir schon längst mit der Arbeit an ,Tacoma‘ begonnen. Das hat uns tatsächlich überhaupt nicht beeinflusst.“, sagt Zimonja. „Es stimmt zwar, dass es viele Spiele gibt, die auf Raumstationen spielen. Aber das bedeutet nicht, dass ein weiteres Game vor diesem Hintergrund nicht funktionieren kann. Es gibt ja auch unzählige Titel, die einen fernen Planeten als Schauplatz haben.“ Das stimmt. Aber ein wenig wundert es schon, dass Fullbright sich nach dem originellen Ansatz von „Gone Home“ auf ausgetretene Pfade begeben. Denn natürlich denkt man bei „Tacoma“ sofort an Filme wie Kubricks „2001“ und Tarkowskis „Solaris“. Oder an Spiele wie „System Shock“ oder „Echo Night: Beyond“. „Mich interessiert an Science-Fiction schlicht das Erschaffen neuer Welten“, rechtfertigt Zimonja die Entscheidung.

So stark, wie es auf den ersten Blick aussieht, weicht „Tacoma“ auch gar nicht von den Themen ab, die „Gone Home“ viel Zuneigung, eine Menge Unverständnis undnoch mehr „Game of the Year“-Auszeichnungen eingebracht haben. In beiden Spielen geht es um das menschliche Miteinander. Um die Komplexität von Beziehungen und die Notwendigkeit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. „Die seltsam fremdartige Kulisse der Raumstation bildet einen schönen Kontrast zu den zwischenmenschlichen Interaktionen“, sagt Zimonja. „Die sechs Besatzungsmitglieder kannten sich nicht, bevor sie ihre Mission begonnen haben. Sie mussten also lernen, miteinander klarzukommen und dafür Sorge tragen, dass sie in dieser ungewöhnlichen Situation nicht den Verstand verlieren.“ Während „Gone Home“ die Normalität aufregend und interessant erscheinen ließ, sind es die Unterschiede zur Normalität, die Zimonja am Sci-Fi-Setting ihres neuen Spiels faszinieren.

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Wenn man als Spieler in Amy Ferriers schweren Magnetschuhen allein durch die verwaiste Raumstation stapft, wird man ständig Zeuge von Gesprächen der verschollenen Besatzung. Aufgezeichnete Ereignisse und Wortwechsel werden als Hologramme in den Raum projiziert und helfen dabei, sich einen Weg durch die Station zu bahnen und zu entschlüsseln, was sich an Bord der Tacoma abgespielt hat. Auch das ist nicht unbedingt originell. Die bald erscheinende Neuauflage von „Doom“ und auch der Team Shooter „The Division“ bedienen sich einer ganz ähnlichen Mechanik, um die Vergangenheit lebendig werden zu lassen. Aber wenn „Gone Home“ eines gezeigt hat, dann, dass man bei Fullbright etwas vom Geschichtenerzählen versteht. Und davon, dass die kleinen, alltäglichen Dramen genau so viel Stoff für ein Videospiel hergeben, wie Weltraumschlachten und Endzeitszenarien. Vieles deutet also darauf hin, dass es den Entwicklern aus Portland gelingen wird, auch das Sub-Genre des Space-Station-Explorers um eine neue Dimension zu bereichern.

Tacoma“ erscheint 2016 für PC und Xbox One. 

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