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Superbooth 16 ist mehr als nur eine Messe für Elektro-Klangkultur

von Cindy Michel
Und plötzlich ist es vorbei mit analogem Vogelgezwitscher und klassischen Frühlingsgefühlen. Denn wer erst einmal das Eingangsportal zur Superbooth 16 in Berlin durchschritten hat, kommt so schnell nicht mehr raus aus dem Universum der Synthesizer und Modularsysteme. Kreiert hat dieses schwarze Loch voll positiver Energie Andreas Schneider. Im Gespräch mit WIRED erklärt er, warum es eine Messe für elektronische Klangkultur überhaupt geben muss.

In der dunklen Eingangshalle wabert es massig und voluminös laut. Hier fiepst es, da piepst es, dort rauscht und summt es und hier wummert es. Es hört sich an, als würde man an einem Sonntagmorgen nach einem langen Feierwochenende noch einmal alle Locations, Bars und Clubs samt DJs, die man besucht hat, in den Ohren Revue passieren lassen. Nur eben nicht chronologisch, sondern simultan. Alles auf einmal, alles auf Anschlag.

Allein in dem Foyer haben über 50 internationale Aussteller, Entwickler und Bastler aus der Elektro-Musik-Szene ihre Synthesizer aufgebaut und die modularen Systeme aufpoliert – um sie bei der Superbooth 16 in Berlin zur Schau zu stellen.

Alles Einzelhersteller, die Veranstalter Andreas Schneider für die Superbooth 16 vereint hat: „Leute, die mit Modularsystemen Musik machen, haben nicht nur Sachen von einer Marke in ihrem Studio, sondern viele verschiedene Geräte von unterschiedlichen Herstellern. Deswegen müssen sich die Einzelhersteller endlich zusammentun.“

 

Kabel, Kabel, Kabelsalat im Synthesizer

 

Alle Bilder: Jan Kapitän

Und genau das ist Andreas Schneider, dem Gründer und Geschäftsführer von SchneidersLaden mit der Messe für elektronische Klangkultur im Berliner Funkhaus ziemlich gut gelungen. Über 100 Aussteller waren Schneiders Ruf gefolgt und mit allerlei analogen Kuriositäten und Spezialitäten zur Superbooth 16 gekommen.

Schneider ist eigentlich kein Urgestein der Szene. „Ich bin da durch Zufall reingerutscht“, sagt der gelernte Kaufmann, der noch vor 20 Jahren in einem Bremer Regionalbüro des Musiksenders VIVA im Marketing arbeitete. Bei einem Umzug lernte er Jürgen Michaelis von Jomox kennen. „Ich habe gemerkt, dass er und seine GmbH Hilfe brauchen. Die wollte ich ihm gerne geben und mir einen Grund nach Berlin zu ziehen.“ So kam es, dass Schneider bei Jomox im Verkauf und Marketing landete. Immer besser lernte er die Elektroszene Berlins kennen, „deren großartige Energie“ zu schätzen.

Die Leute waren so viel besser drauf, konstruktiver und kreativer als die ganzen HipHop-Fritzen, die ich bei VIVA um die Ohren hatte.

Andreas Schneider

„Die Leute waren so viel besser drauf, konstruktiver und kreativer als die ganzen HipHop-Fritzen, die ich bei VIVA um die Ohren hatte“, erinnert sich Schneider. Bald schon habe er gemerkt, dass Jomox nicht die einzigen seien, die zwar großartige Produkte herstellten, aber wenig Bezug zu Handel, Öffentlichkeit und Presse hätten. Das wollte Schneider ändern und gründete SchneidersBüro in Kreuzberg. Ein kleines Handelsverteterbüro an der Ritterstraße, das sich ausschließlich auf den Versandhandel konzentrierte. Mittlerweile hat sich das Konzept geöffnet und zu SchneidersLaden hin entwickelt.

Das Konzept der Superbooth, eines Meta-Standes, ist nicht neu. Unter diesem Label präsentiert Schneider schon seit 15 Jahren die Elektroszene auf der Musikmesse Frankfurt, versammelt viele Klein- und Einzelhersteller unter seinem Standdach. „Am Anfang hat man mich in die Technoecke gestellt. Mit den Typen, die gar kein Instrument spielen, sondern nur wichtig Knöpfchen drehen“, erinnert sich Schneider und lacht.

Die Herangehensweise von Synthesizer-Spielern und anderen Musikern sei einfach verschieden, meint er. „Leute, die kein Instrument gelernt haben, haben auch nicht den Drang, ihre Virtuosität ständig zur Schau zu stellen. Sie können sich um den Klang kümmern und sehen, ob das Publikum etwas gern hat oder nicht. Sie experimentieren an dem Gesamtereignis der Musik, die vom Publikum konsumiert wird“, erläutert er seine Theorie.

Während das Publikum der Superbooth 16 in Berlin am Eröffnungstag noch zu gefühlten 99 Prozent aus viel zu blassen Jungs und Männern in wiederum viel zu grellen T-Shirts bestand, scheint es am letzten Tag der Veranstaltung sehr viel gemischter. Irgendwie hipper und von der Geschlechtermischung her ausgeglichener. Auf der Moog-Island sitzen Kids mit ihren Eltern vor Synthesizern und testen, was akustisch passiert, wenn man an Knöpfen dreht und Schalter drückt. Wo vorher noch zum Großteil klar erkennbare Nerds die neuesten Modulsysteme und Entwicklungen auf dem Markt unter die Kenner-Lupe nahmen, stehen jetzt auch immer wieder vereinzelt Mädels mit Kopfhörern und sehen so aus, als wüssten sie ganz genau, was sie täten.

„Ich finde, dass hier ganz schön viele Frauen unterwegs sind. Also viel muss man natürlich in Bezug zu anderen Musikmessen sehen“, sagt Andreas Hudl von Softmaschines. Softmaschines sind wohl die einzigen Synthesizer und Pedals der Welt, die man kuscheln kann, ohne blaue Flecken davon zu bekommen. Denn abgesehen von Liebe und Leidenschaft steckt Shopinhaberin und Musikerin Gwendo Tägert ganz viel weiches Füllmaterial in die selbstgenähten Kissen.

„Mit dieser Messe wollte ich die Öffentlichkeit erreichen, Leute für die Szene begeistern, die eigentlich keine Ahnung davon haben. Der elektroverseuchte Typ kennt sie ja schon“, so Schneider, dessen Idee offensichtlich nicht nur bei Hobbymusikern und Freizeit-Synthesizer-Enthusiasten ankommt, sondern auch bei Händlern: „Die großen Musikhäuser waren mit die ersten, die auf der Messe auf mich zukamen und gefragt haben, was sie in ihr Sortiment aufnehmen sollen“, berichtet Schneider. Sein Job sei es jetzt, zu prüfen, welche Produkte bereit für den Großhandel seien und welche erst in ein paar Jahren.

Wer Synthesizer hört, denkt Kabel, Metallgehäuse und bunte Lichter. Ziemlich viel Elektroschrott, wenn die einmal nicht mehr funktionieren sollten. „Das ist eben auch ein Grund, warum unsere Hersteller qualitativ hochwertige Produkte produzieren müssen, die nicht auf dem Müll landen“, erläutert Schneider, für den Nachhaltigkeit ein großes Thema ist. „Wenn jemand seine Geräte nicht mehr möchte, verkauft er sie einfach weiter. Die Dinger verlieren ja nicht ihren Wert.“ Im kommenden Jahr, bei der Superbooth 17, soll auch die Nachhaltigkeit thematisiert werden.

Schneider hatte die Superbooth 16 nicht nur als Fachmesse, sondern ebenso als Festival angekündigt. Und genau das war sie auch. Neben großartigen Konzerten und einem dicken Programm trug sicherlich auch die Location zu dem Festivalcharakter bei, das Funkhaus im Berliner Bezirk Oberschöneweide. Direkt an der Spree im Schatten von Bäumen und morbid angehauchten Klinkerbauten im modernen Bauhausstil, dazu Musik, Drinks, Essen und eine Menge Gleichgesinnter – ziemlich gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Veranstaltung.

Schneider hatte fest mit dem Festivalcharakter gerechnet: „Ich habe ja nicht umsonst DJ Motte, den Gründer der Loveparade, zur Eröffnung eingeladen.“ Die Energie bei der Loveparade sei nämlich ähnlich positiv gewesen wie bei der Superbooth.

 

 

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