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„Mobilität wird nicht mehr von Besitz abhängen“, sagt Verkehrs-Staatssekretärin Dorothee Bär

von Max Biederbeck
Unsere Autos fahren selbst und senden unsere Daten, Hersteller betrügen mithilfe von Software, wir verlieren die Kontrolle. Die Unsicherheit ist groß, wenn es um die Zukunft des Verkehrs geht. Dorothee Bär (CSU) ist Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und zuständig für die Straßen und ihre Anbindung ans Netz. Sie ist überzeugt: Wir haben keine Wahl, wir müssen uns anpassen. 

WIRED: Wenn Sie aus dem Fenster schauen, wie werden die Leute in 20 Jahren in dieser Stadt unterwegs sein?
Dorothee Bär: Ich hoffe, dass die Zukunft des Verkehrs nicht nur automatisiert und autonom sein wird, sondern im Idealfall auch noch elektrisch.

WIRED: Klingt, als könnten Sie es nicht abwarten. Viele Menschen stehen dieser Entwicklung dagegen skeptisch gegenüber.
Bär: Vor allem die technische Entwicklung geht schneller, als wir denken. In fünf Jahren wird sich das Verkehrsbild schon stark verändert haben.

WIRED: Und das hört sich an, als würde es eine Menge zu regulieren geben. Wer ist im Zweifelsfall schuld am Unfall: das autonome Auto, der Hersteller oder der Fahrer?
Bär: Für Haftungsfragen haben wir in unserem Ministerium eine umfassende Strategie zum automatisierten und vernetzten Fahren entwickelt. Wo neue Gesetze erforderlich sind, werden wir diese verabschieden. Wesentlich schwieriger wird es, die Transformation auch für die Gesellschaft hinzubekommen. Wir dürfen nicht nur abstrakt über das Thema sprechen, sondern müssen den Menschen anhand von praktischen Beispielen erklären, welche konkreten persönlichen Vorteile sie dadurch haben.

WIRED: Die da wären?
Bär: Wenn Sie einen 80-Jährigen aus einem Dorf in meinem Wahlkreis fragen, ob er Interesse an einem selbstfahrenden Auto hat, dann sagt er: Nein, lasst mich mit dem Zeug in Ruhe! Wenn ich diesem 80-Jährigen aber erkläre: Du musst nächstes Jahr wegen Grauem Star operiert werden und kannst dann drei Monate lang nicht mehr Auto fahren, danach traust du dich vielleicht nicht mehr und musst deinen Führerschein in die Schublade legen. Dann wirst du die Möglichkeit haben, dich von deinem neuen Fahrzeug auch weiterhin die fünf Kilometer zum nächsten Arzt oder Supermarkt bringen zu lassen. Dann wird er wahrscheinlich sagen: Ok, so schlecht ist die Entwicklung ja gar nicht.

Uber, Wundercar und Co. sollten Modellprojekte auf dem flachen Land einrichten.

WIRED: Also halten wir fest: Das Auto bleibt auch in Zukunft des Deutschen liebstes Kind.
Bär: Ja, der Individualverkehr wird auf jeden Fall den stärksten Anteil behalten. Und weil sich die wenigsten eigene Flugzeuge oder Züge leisten können, bleibt selbstverständlich die Straße der Verkehrsträger Nummer eins.

WIRED: Meinen Sie mit Individualverkehr eigene Autos, die Menschen selbst besitzen, oder wird das Ganze über Sharing-Modelle ablaufen? In Städten sind diese ja schon jetzt ein Erfolgsmodell.
Bär: Carsharing wird eine sehr wichtige Rolle spielen. Das sieht man zum Beispiel an den Shell-Jugendstudien. Wenn es um Wünsche von Jugendlichen für die Zukunft geht, sind weder das eigene Auto noch der Führerschein ein großes Thema. Wenn ich weiß, dass ich jederzeit und überall auf ein Fahrzeug zugreifen kann — einen Minibus, den ich mir mit anderen teile, oder ein E-Mobil-Carsharing-Modell im ländlichen Raum — dann muss ich keinen Wagen mehr besitzen. Mobilität wird eben nicht mehr von Besitz abhängen.

WIRED: Aber gerade auf dem Land ist das doch unheimlich schwer umzusetzen, die nötige Infrastruktur ist einfach nicht vorhanden.
Bär: Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Wenn der Bürgermeister eines kleinen Dorfes für jeden Ortsteil ein Modell kauft, das sich alle teilen können, dann ist das sicher für viele sehr interessant.

WIRED: Das eigene Auto abschaffen? Auf dem Land?
Bär: Das habe ich nicht gesagt. Viele besitzen noch ein zweites Auto, mit dem sie nur zwei- oder dreimal pro Woche zum Einkaufen fahren. Wenn ich dieses Fahrzeug wirklich nur für diese Fälle benötige, wäre es doch wesentlich günstiger, sich an einem solchen Sharing-Modell zu beteiligen. Ähnliches gilt für diejenigen, die derzeit in der Kritik stehen, die Taxi-Industrie zu bedrohen — Uber, Wundercar und wie sie alle heißen. Für die wäre es ideal, mal ein Modellprojekt auf dem flachen Land einzurichten. Da liegen wirklich Potenziale: Es ist keine Konkurrenz vorhanden und die Leute sind extrem dankbar, wenn sie Alternativen zum eigenen Auto bekommen.

Selbstfahrende Autos können eine sehr langweilige Angelegenheit sein.

WIRED: Dann teilen wir demnächst also unsere Autos und sie fahren irgendwann auch noch ganz von selbst. Spannende Zeiten.
Bär: Naja, diejenigen, die in der Forschung und Entwicklung drinstecken, sagen längst: Haken dran, es funktioniert, das Thema ist erledigt. Für uns ist das jetzt noch spannend, aber ich habe selbst mal in so einem Auto gesessen und gemerkt: Es ist auch eine sehr langweilige Angelegenheit. Weil diese Autos darauf programmiert sind, sich immer an die Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten.

WIRED: Also konnten Sie nur müde lächeln, als in Baden-Württemberg der erste selbstfahrende Truck mit Winfried Kretschmann über die Autobahn tuckerte?
Bär: Es war zumindest nichts Neues. Wir waren vor kurzem im Silicon Valley und haben die Entwickler eingeladen, ihre Systeme nicht nur in Kalifornien, sondern auch mal auf deutschen Autobahnen zu testen. Wir haben das Digitale Testfeld Autobahn auf der A9 in Bayern eingerichtet, das nutzen nicht nur deutsche Unternehmen. Weltweit gibt es ein großes Interesse am sogenannten „German Testbed“. Ich glaube, dass wir durch unsere Automobilindustrie — zum Beispiel im Bereich der Sensorik — in der Champions League mitspielen können.

WIRED: Aber die deutsche Autoindustrie — Stichwort VW-Affäre — hat doch gerade erst bewiesen, dass sie in Sachen Software und Sensorik nicht vertrauenswürdig ist.
Bär: Doch, ich glaube, das ist sie. Wir haben nur bei einem einzigen Unternehmen Kenntnisse über Manipulationen. Das Kraftfahrt-Bundesamt führt derzeit Nachprüfungen bei betroffenen Volkswagen-Dieselmodellen und bei anderen Herstellern von Diesel-Fahrzeugen aus dem In- und Ausland durch. Die Ergebnisse werden in einem Gesamtbericht veröffentlicht. Es verbietet sich, zu spekulieren. Ein Generalverdacht gegen die gesamte Automobil-Branche ist vollkommen unangemessen.

WIRED: Nur ein schwarzes Schaf also?
Bär: Das ist keine Krise der deutschen Automobilindustrie. Wir genießen immer noch ein sehr hohes Ansehen, was „Qualität Made in Germany“ betrifft.
Dass wir entwickeln können, haben wir an unterschiedlichen Stellen bewiesen. Aber man muss es eben auch wollen. Noch einmal, die entscheidende Frage ist: Wie schaffen wir die gesellschaftliche Transformation?

Nur ein Prozent der Verkehrsunfälle in Deutschland sind auf technisches Versagen zurückzuführen. Da weiß man, wem man mehr zu vertrauen hat.

Dorothee Bär

WIRED: Ok, dann fragen wir auch noch einmal: wie?
Bär: Die größte Relevanz bekommt das Thema dadurch, dass die Verkehrssicherheit enorm erhöht wird. Wenn man davon ausgeht, dass 95 Prozent aller Verkehrsunfälle in Deutschland auf menschliches Versagen zurückzuführen sind und gerade mal ein Prozent auf rein technisches Versagen, dann weiß man, wem man mehr zu vertrauen hat.

WIRED: Der Mensch hackt dann stattdessen das Autosystem und verursacht eben so den ein oder anderen Unfall.
Bär: Alle Systeme bedürfen eines besonderen Schutzes, auch das haben wir in unserer Strategie festgeschrieben. Für die Akzeptanz wäre es wichtig, dass die Leute wissen, welche Daten ihr Auto von ihnen erhebt — das wissen sie nämlich heute schon nicht mehr. Die Frage lautet doch: Was lernt mein System da über mich. Mein Auto weiß im Laufe der Zeit, wer ich bin. Ich fahre jeden Tag diese und jene Strecke zur Arbeit, ich habe diesen und jenen Kraftstoffverbrauch. Und ähnlich wie man bei Smartphones oder Tablets nicht sein Leben lang an einem System hängen bleiben muss, sollte es auch beim Auto sein. Das wäre aus Verbrauchersicht sicher die idealste Lösung. Weil sie auch die Frage beantwortet, wem die Daten gehören: Sie gehören den Nutzern.

WIRED: Das vernetzte Verkehrssystem, das Sie beschreiben, braucht auch die richtigen Übertragungswege. Nun ist Deutschland beim Thema Funknetz nicht gerade gut aufgestellt. Wenn also tausende Autos kommen, und alle funken —werden diese das Netz dann nicht völlig überlasten?
Bär: Es sind ausreichend Funkfrequenzen vorhanden und sie werden auch sicher von den Providern freigegeben. Das müssen sie sogar. Die entscheidendere Frage ist die nach den Kosten. Neben der klassischen Hardware und Software des Fahrzeugs ist das der entscheidende Faktor.

Heute findet in Berlin die Konferenz WIRED Mobility statt. Weitere Artikel zum Thema findet ihr hier. 

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