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Der erste Berlin Code Fight war ein Headhunting-Event im orangen Kleid

von Johanna Wendel
Beim „Berlin Code Fight“ treten Programmierer in Boxer-Manier gegeneinander in den Ring. Gekämpft wird aber nicht mit Fäusten, sondern mit Java-Code: Möge der schnellere Coder gewinnen. Der Code Fight ist allerdings weniger ein Hacker-Fest, sondern eher das PR-Event eines Software-Unternehmens.

Marc Prengemann entdeckt als erstes den Boxring. Normalerweise mischt er an Wettbewerben wie diesem nur von Zuhause mit. Heute allerdings spaziert er mittenrein. In der Platoon Kunsthalle in Berlin Mitte schnattern Leute durcheinander, kleben sich Namensschilder aus rotem Kreppband auf, es fließt Bier und einige Männer rüpeln von der Seite, als seien sie bei einem Boxkampf. Ebenfalls wie bei einem Boxkampf ist der Raum heute Abend gespickt mit Werbebannern. Vor allem vom Sponsor der Veranstaltung: Ayuda, einem kanadischen Software-Unternehmen. 

In dieser Kulisse wird nicht geboxt, sie gehört zum ersten Berlin Code Fight. Meistens finden solche Programmierwettbewerbe online statt, etwa auf Plattformen wie Hacker Rank. Programmierer können dort an verschiedenen Challenges teilnehmen. Heute hockt Marc allerdings nicht an seinem Schreibtisch, sondern trifft seine Gegner von Angesicht zu Angesicht. 14 Coder treten an, zwei Coderinnen. Das Spielprinzip heißt: Jeder gegen jeden im Duell.

Insgesamt gibt es vier Runden und es geht um Schnelligkeit. Fünf Minuten dauert die erste Runde, sieben Minuten die Zweite, dann zehn und im Finale fünfzehn Minuten. Jede Runde wird eine neue Aufgabe gestellt und die Coder müssen für das vorgegebene Problem so schnell wie möglich eine Lösung in Codeform finden — und die Aufgaben werden schwieriger. Offiziell sollte in der Sprache Java programmiert werden, vor Ort erfährt Marc aber, dass die Kontrahenten auch die Programmiersprache Python benutzen dürfen. Weil Marc Android-Programmierer ist, ist Java aber sein Steckenpferd. Das wird später entscheidend für ihn sein.

An einem Tisch aus Getränkekisten wuseln Leute mit orangenen T-Shirts und MacBooks herum. Sie könnten für Teilnehmer gehalten werden, aber sie sind Mitarbeiter des Unternehmens Ayuda. Kostenlose Getränke können an der Bar geholt werden und Snacks werden auf Tabletts verteilt. Alles hier lässt den Eindruck eines Marketing-Events entstehen. Statt um die Förderung junger Hobbyprogrammierer scheint es eher um potenzielle Mitarbeiter zu gehen. Kritik daran hört man heute nur aus Einzelgesprächen heraus.

In einem schmalen Raum, an dessen Wände auf beiden Seiten Stühle stehen, befindet sich die Fighters-Lounge. Auf den Stühlen wartet für jeden Teilnehmer ein Sixpack mit Craft Bier-Flaschen. Ein typisches Berlin-Mitte Hipster-Präsent für die Coder. An zwei Haken hängen orangene Boxer-Roben, die die Finalisten in der letzten Runde tragen sollen. Das nächste Mal sind die Roben zu sehen, als ein Mann sie beim Abbau die Treppe herunter über die Absätze schleift. Getragen hat sie niemand.

Neben Marc taucht in der Fighters-Lounge Justus Perlwitz auf. Er trägt Brille, schulterlange blonde Haare, und grinst mit geraden Zähnen. Er wartet in der dort auf seinen Auftritt und plappert mit den anderen. Erst geht es um den Code Fight, dann um den Arbeitsmarkt, dann Frauen in der IT. Anders als Marc scheint er genau zu wissen, auf was er sich hier eingelassen hat. Er ist Freelance-Programmierer, muss sich selbst vermarkten. Und Eventhallen scheinen dazu der beste Weg zu sein. 

Als es losgeht, stehen zwei Männer im Ring. Auch die Moderatoren hier gehören zu Ayuda. Einer von ihnen ist Andreas Soupilotis, der CEO. Er trägt eine graue Jogginghose und einen Kapuzenpullover. Der andere ist sein Partner Joe Cotugno. Immer wieder zeigen sie auf die Leinwand hinter sich. Groß prangt dort die Neuigkeit, wegen der diese Veranstaltungs stattfindet. Ayuda öffnet ein Büro in Berlin, Full Stack Developers, Back End Developers, Linux Guru und so weiter.

Dann lesen sie einen kurzen Vorstellungstext über jeden Coder vor. Marc hat Wirtschaftsinformatik und Mathematik studiert, jetzt macht er neben dem Job seinen Master in Informatik. Während andere Teilnehmer sich lustige Intros ausgedacht haben, bleibt Marcs Text solide.

Immer zwei Coder machen es sich auf den orangenen Sitzsäcken bequem.Über HackerRank melden sie sich an, ein leeres Fenster und die Challenge-Aufgabe öffnen sich. Dann wird losgecodet, wer schneller ein fehlerloses Programm fertig bekommt, hat gewonnen. Schafft es keiner der beiden, gewinnt derjenige mit dem eleganteren Code. Dies entscheidet eine Jury. Sowohl Marc als auch Justus setzen sich gegen jeweils zwei Gegner durch und kommen bis ins Halbfinale. 
Dann scheidet Marc aus. Alle außer ihm waren mittlerweile auf Phython umgestiegen. Die Schreibweise ist kürzer, das Programmieren geht schneller. Er hat sich an Java gehalten und damit Zeit verschenkt.

Bei Justus lief es dagegen ziemlich rund: Innerhalb von zwei Minuten kegelt er seinen Gegner aus dem Turnier und kommt ins Finale. Und dann wird Justus doch nervös. Immer wieder schaut er sich um, zieht seine Schultern an. Er ist auch der einzige, der sich während dem Coden Kopfhörer aufsetzt um sich mit Musik zu beschallen. 

Dann laufen die 15 Finalminuten. Marc fallen die Kommentare auf, die Justus in seinen Code einfügt hat: „Greedy“, „Greedy is not always the best solution“ und „If we both have the same speed, why don’t we both win?“. Die Jury muss verhandeln, wer sich von nun an als „Bester Coder von Berlin“ bezeichnen darf. Ein Mann aus der orangenen Gang packt in Boxermanier die Handgelenke der Finalisten. Als Justus Arm vom Ayuda-Mann nach oben gerissen wird, fällt den anderen Codern auf, dass Justus seine Hand genommen hat, was irgendwie ein ungeschicktes Bild abgibt.

Justus darf nach New York fliegen, das ist seine Belohnung für den Sieg. Marc und die anderen vermuten, dass Justus dabei wohl auch die Ayuda-Zweigstelle besuchen wird, vielleicht reist er sogar mit ein paar Mitarbeitern zusammen, weil der Reisegutschein nur für eine Person gilt. Aber Justus sagt, er sei Freelancer und suche im Moment keine Festanstellung. Auch Marc ist mit seiner jetzigen Stelle zufrieden und wünscht sich erstmal keinen Wechsel. Mit Ayuda hat er sich noch kaum beschäftigt.„Was machen die überhaupt?“ 

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