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Staatstrojaner gegen Grundgesetz: die verfehlte Digitalstrategie der SPD

von Max Biederbeck
Die Polizei soll in Zukunft häufiger in Computer und Smartphones einbrechen dürfen. Noch in dieser Woche will die Regierung das Gesetz dazu verabschieden – auch wenn es nach Meinung vieler Experten verfassungswidrig ist. Die SPD steht vehement dahinter. Vermutlich aus dem Irrglauben heraus, dadurch bei den Wahlen wieder Boden gut zu machen. Ein Kommentar.

Man will jetzt so schnell wie möglich Tatsachen schaffen, auch wenn der Weg zum Ziel umstritten ist. Wie netzpolitik.org berichtet, plant die Große Koalition noch in dieser Woche, ihre neue Regeln zum Einsatz von Staatstrojanern durch den Bundestag zu bringen. Die Regierung verpackt die Ausweitung der digitalen Überwachung in ein anderes, harmlos klingendes Gesetz über das Fahrverbot als Nebenstrafe

Die Inhalte sind politisch dennoch hoch brisant und werden von zahlreichen Experten als rechtswidrig eingestuft. Der Vorstoß geht vor allem auf die SPD zurück: Sie macht Wahlkampf mit dem Versprechen, mehr Sicherheit zu schaffen, auch wenn dabei die Intimsphäre vieler Bürger verletzt wird. Dabei können die Sozialdemokraten nur verlieren.

Eigentlich, so hat es das Bundesverfassungsgericht 2008 entschieden, darf die Polizei nur laufende Kommunikation abhören – und auch das nur unter ganz besonderen Bedingungen. „Ruhende Daten“ auf der Festplatte sind tabu, eine „Online-Durchsuchung“ dürfe es grundsätzlich nicht geben, urteilten die Richter damals. Ausnahme: „Wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen.“ Darunter würde zum Beispiel ein Terrorangriff fallen.

Jetzt soll alles anders werden. Im neuen Plan der GroKo ist eine Ausweitung der „Online-Durchsuchungen“ auf 38 Straftaten vorgesehen, darunter Bestechung, Verbreitung von Kinderpornographie, Geldfälschung. Auch Raub, Bandendiebstahl, Mord und Totschlag würden unter das neue Gesetz fallen. Das sind fraglos üble Delikte – doch der Eingriff, den die Regierung da vorhat, widerspricht klar den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Hört man sich unter Rechtsexperten um, glaubt niemand, dass die neuen Regeln dem Schutz der Grundrechte genügen. „Da soll eine kleine Online-Durchsuchung auf den Weg gebracht werden, die im Grundgesetz aber nicht vorgesehen ist“, sagt Ulf Buermeyer, Vorsitzender der gemeinnützigen Gesellschaft für Freiheitsrechte. Seine Organisation überprüft bereits den Gang nach Karlsruhe, um das Gesetz anzufechten. „Wenn das Verfassungsgericht bei seinen Maßstäben bleibt“, sagt Buermeyer, „kann dieses Gesetz keinen Bestand haben.“

Zum einen verwandelt es den staatlichen Eingriff in unsere Intimsphäre, der eigentlich für Ausnahmesituationen gedacht ist, in ein tägliches Instrument für die Behörden. Zum anderen geht es nicht länger nur darum, bei der Kommunikation mitzuhören: Wer in ein Smartphone einbricht, schaut – bildlich gesprochen – dem Besitzer unter die Kleidung. Er sieht alles, von Banalitäten bis zu intimsten Geheimnissen. Für solche Eingriffe muss die Hürde besonders hoch liegen; selbst der Verdacht einer Straftat sollte nicht ohne weiteres ausreichen.

Zudem sind die Ermittler gezwungen, für ihre Abhöraktionen Software einzusetzen, die von zwielichtigen Firmen wie Gamma International entwickelt werden – verantwortlich etwa für den Trojaner FinFisher. Solche Software nutzt Schwachstellen aus, die die Behörden geheim halten, um ihre eigenen Zwecke zu verfolgen. Weder Hersteller noch User erfahren davon. Dafür nehmen die Ermittler in Kauf, die grundsätzliche Sicherheit der Bevölkerung zu gefährden. Welche Folgen das haben kann, zeigt der aktuelle Fall der weltweiten Masseninfektionen mit der Ransomware WannaCry.

Bleibt die Frage nach dem Warum. Wenn ein Gesetz so deutlich mit inhaltlichen wie rechtlichen Problemen kämpft, warum verfolgen CDU und SPD es dann so hartnäckig? Fragt man bei Sozialdemokraten nach, hört man hinter vorgehaltener Hand das Wort „Paranoia“: Die Parteiführung scheint vor allem eine vermeintliche Schwäche beim Thema Innere Sicherheit für ihre Niederlagen bei den jüngsten Landtagswahlen verantwortlich zu machen.

Für ein neues „Law and Order“ -Denken in der Partei spricht auch ein Treffen zwischen Martin Schulz und dem Niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius Anfang Juni. Ihre zehn Thesen für eine „starke sozialdemokratische Innenpolitik“ sollen der neuen SPD ein Image von Härte und Durchsetzungskraft geben. Dazu passt der Alleingang des Bundesjustizministers Heiko Maas gegen Hasskommentare auf Facebook. Auch Maas halten Rechtsexperten entgegen, sein umständlich benanntes Netzwerkdurchsetzungsgesetz – kurz: NetzDG – verstoße gegen Grundrechte wie Meinungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung.

Worte wie „gefährlich“ und „praxisfern“ zählten bei einer Bundestagsanhörung am Montag noch zu den milderen Urteilen der Sachverständigen. „Ich halte das Gesetz für verfassungswidrig“, sagte etwa Bernd Holznagel, Professor für Medienrecht an der Universität Münster. „Es schafft Anreize, Inhalte im Zweifel aus dem Netz zu löschen.“ Inhalte, die eigentlich geschützt sind durch Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Presse-und Meinungsfreiheit garantiert. Auch Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen oder Medienrechtler Wolfgang Schulz von der Universität Hamburg sehen durch das NetzDG die Meinungs- und Pressefreiheit bedroht. „Das Gesetz müsste wenigstens vorsehen, dass Inhalte, die fälschlicherweise gelöscht wurden, wieder ins Netz gestellt werden”, sagt Holznagel.

Trotz solcher Bedenken scheint sicher, dass die Regierung das NetzDG verabschieden wird – wahrscheinlich in einer Sondersitzung Ende Juni, kurz vor Beginn der Sommerpause. Kritiker mögen gleich darauf Klagen einreichen – sowohl gegen NetzDG als auch Bundestrojaner. Bis Gerichte entscheiden, vergeht allerdings Zeit. Der Wahlkampf dagegen geht jetzt in die entscheidende Phase – und die SPD sucht dringend nach Themen, mit denen sie sich profilieren kann.

Doch den Einsatz von Staatstrojanern auszuweiten, ist ein Fehler. Diese Strategie wird den Sozialdemokraten keine Stimmen einbringen, schon gar nicht bei jüngeren, Internet-affinen Wählern. In Nordrhein-Westfalen hat die SPD die Wahlen außerdem nicht verloren, weil sie beim Thema Innere Sicherheit schlecht aufgestellt war – ihr damaliger Innenminister dort, Ralf Jäger, war ein innenpolitischer Hardliner. Die Niederlage lag nicht an seinem politischen Thema, sondern an ihm als Person.

Wenn die SPD jetzt versucht, mit schnell zusammengestoppelten, rechtlich fragwürdigen Gesetzen noch einmal aufzuholen, kann das nur nach hinten losgehen. Statt mit eigenen Konzepten zu zeigen, wie sich auch in einer digitalen Zukunft weiterhin die Grundrechte garantieren lassen, spielen die Genossen ihren Gegnern in die Hände – vor allem aber einer Partei, der viele Menschen beim Thema Sicherheit ohnehin mehr zutrauen, und die diese ganze Entwicklung vermutlich richtig gut findet: der CDU.

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