Meist öffne ich Social-Media-Apps auf meinem Smartphone automatisch und reflexartig, so als wären die Icons und mein Finger magnetisch miteinander verbunden. Manchmal merke ich nicht mal, dass ich sie geöffnet habe. Es passiert einfach so. Und zwar immer wieder aufs Neue.
Das ist eine Angewohnheit, über die ich ehrlich gesagt nicht allzu glücklich bin. Manch einer kennt das vielleicht. In Studien haben Wissenschaftler herausgefunden, dass uns Social-Media-Plattformen zwar miteinander verbinden, uns aber auch schlecht fühlen lassen. Und dennoch können wir es nicht lassen. Wir öffnen die Apps so oft am Tag, weil wir nicht damit aufhören können.
Vergangenen Monat habe ich etwas Neues ausprobiert. Ich habe mich aus sämtlichen Social-Media-Apps auf meinem Smartphone ausgeloggt und mich stattdessen in die Desktop-und Web-Varianten der Dienste eingeloggt. Mein Ziel: Facebook, Twitter und Instagram nur auf dem Gerät zu nutzen, das ich eine bestimmte und überschaubare Zeit am Tage verwende. Nämlich meinen Arbeitscomputer.
Und das funktioniert. Zwar langsamer als mit den Smartphone-Apps und mit einigen Bugs, aber es geht. Statt mich durch meinen Twitter-Stream zu wischen, während ich auf die U-Bahn warte, habe ich mir andere Angewohnheiten zugelegt. Zum Beispiel schaue ich mir Nachrichtenseiten an, höre Podcasts und spiele Backgammon auf meinem Handy. Nach dem Aufwachen scrolle ich nicht durch Instagram und Twitter und schaue danach in meine E-Mails, sondern ich lese morgens nur noch meine Mails.
Die Suchtgefahr liegt in der Gestaltung
Alle Social-Media-Apps sind so gestaltet, dass sie uns immer wieder dazu bringen, sie zu öffnen. In den letzten Jahren gab es einen Wandel bei den mobilen Anwendungen von Facebook, Twitter und Instagram. Das Aussehen und die Funktionen der Apps wurden so verändert, dass sie nicht mehr nur statisch waren, sondern sie wurden mit Autoplay-Videos, endlosem Scrollen, chronologischen Posts und Push-Benachrichtigungen benutzerfreundlicher und lebendiger gestaltet.
Bei den Desktop-Anwendungen gibt es diese Neuerungen auch, aber sie sind dezenter eingefügt. Ein Grund dafür ist, dass die Social-Media-Dienste in den letzten Jahren für mobile Geräte verbessert wurden. Facebook und Twitter starteten einst als Web-Anwendungen, wurden von den Nutzern aber mehr und mehr auf Smartphones und Tablets verwendet. Heute nutzen immer mehr Menschen Twitter und Facebook auf ihrem Smartphone (54 Prozent bei Facebook, 45 Prozent bei Twitter). Bei Instagram kann man davon ausgehen, dass es sehr wenige Desktop-Nutzer hat. Der Web-Dienst wurde erst vor zwei Jahren gestartet.
Wenn mir langweilig war, habe ich damit meine Zeit verbracht und mir wurde dadurch nur noch langweiliger
Da Social-Media-Dienste immer mehr auf mobilen Geräten verwendet werden, fühlen sich die Desktop-Versionen weniger aufgeblähter und unaufgeregter an. Dass Social Media am Desktop nicht so viel Spaß macht, bestätigt Adam Alter. Er ist Professor an der Stern School of Business der New Yorker Universität und ist Autor des Buches Irresistible, das den Aufstieg der suchterzeugenden Technologie Social Media beschreibt. „Der Newsfeed lässt sich [am Desktop] nicht so einfach anschauen, als wenn er einfach nur mit einer Fingergeste bewegt wird,“ sagt er. „Der Nutzer hat einen kleinen Mehraufwand, indem er mit der Maus scrollt. Und das kann einen schlechten Einfluss auf seine Social-Media-Erfahrung haben.“
Da ich Instagram oder Twitter auf meinem Smartphone nicht mehr öffnen kann, verbringe ich viel weniger Zeit mit meinem Handy. Ich weiß nun auch, warum ich die Anwendungen so wichtig fand. Wenn mir langweilig war, habe ich damit meine Zeit verbracht und mir wurde dadurch nur noch langweiliger. Nun habe ich das Gefühl, meine freie Zeit sinnvoll zu verbringen, indem ich etwas lese, was ich wirklich lesen will. Zugegeben, ich bin nicht geheilt. Manchmal tippe ich automatisch auf das Twitter-Symbol auf meinem Smartphone, um mich daraufhin auf dem Anmeldebildschirm wiederzufinden. Und ich kann nicht so einfach etwas posten. Viel Glück übrigens dabei, eine Instagram-Story auf dem Notebook zu erstellen. Aber das Ziel meines Experiments ist auch nicht, Social Media aus meinem Leben zu verbannen, sondern besser verstehen zu lernen, warum ich es nutze.
„Ein Teil des Prozesses besteht darin, sich selbst beizubringen, dass man die Apps nicht so sehr braucht, wie man denkt“, sagt Alter. Und das stimmt. Ich fühle mich weniger abhängig von den Diensten, aber es ist gut zu wissen, dass ich sie bewusst nutzen will.