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So kam es zur Großrazzia gegen die rechte Facebook-Gruppe „Großdeutschland“

von Max Biederbeck
Eine solche Razzia hat es gegen Facebook-User in Deutschland wohl noch nie gegeben: Die Polizei geht bundesweit gegen Mitglieder des sozialen Netzwerks vor, die Teil einer versteckten rechtsradikalen Gruppe sein sollen. Angefangen haben die Ermittlungen bei einem Sachbearbeiter im Allgäu.

Wenn es um Ermittlungen in sozialen Netzwerken geht, will die Staatsanwaltschaft Kempten sich nicht verplappern. „Nein, meines Wissens gab es keine Kooperation mit Facebook, um Informationen zu erhalten“, erklärt ein Sprecher gegenüber WIRED. „Aber ja“, sagt er, „der Vorgang“ sei schon seit Monaten in Planung.

Der Vorgang, das ist eine Großrazzia in 13 deutschen Bundesländern mit Schwerpunkt Bayern und Berlin am Mittwochmorgen. 25 Polizeidienststellen, allein 100 Beamte in Berlin, durchsuchten die Wohnungen von knapp 60 Beschuldigten. Sie beschlagnahmten Computer und Smartphones, durchkämmten die Räume nach Schriften und einschlägigen Symbolen. Der Vorwurf: Volksverhetzung.

Und federführend bei dieser bundesweiten Ermittlungsaktion ist eben die Staatsanwaltschaft Kempten im Allgäu. Die Beschuldigten, erklärt ihr Sprecher, seien vor allem die Mitglieder der geheimen Facebook-Gruppe „Großdeutschland“. Hunderte Mitglieder habe diese gehabt und die internen Postings seien voller Hass und Gewalt gewesen. Gegen Flüchtlinge, gegen Medien und gegen politisch Andersdenkende.

„Wenn solche Hetze in einem öffentlichen Raum stattfindet – und der war bei dieser Gruppengröße definitiv gegeben – dann reicht das als Anfangsverdacht für eine Durchsuchung aus“, sind die Kemptener Staatsanwälte sicher. Hauptbeschuldigte sind die Administratoren der Gruppe, ein 42-Jähriger aus dem Ostallgäu und ein 37-Jähriger aus Nürnberg. „Zusätzlich sind wir gegen diejenigen Mitglieder vorgegangen, deren Postings besonders auffielen“, ergänzt der Sprecher.

Gewalt, auch sprachliche, in welcher Form und in welchem Zusammenhang auch immer, sind nicht zu akzeptieren

Bundesinnenminister Thomas de Maizière

Mehrere Monate habe sein Büro dafür ermittelt, nur wie genau, das will er nicht verraten. Nur so viel: Vor einiger Zeit schon sei man auf das Thema aufmerksam geworden und habe einen Sachbearbeiter abgestellt, der dann zügig damit begann, die Gruppeninhalte auszuwerten.

Wie der Zugang zur eigentlich geheimen Gruppe „Großdeutschland“ gelang und wie die Koordination auf Bundesebene ablief, möchten weder das BKA noch die Staatsanwaltschaft Kempten gegenüber WIRED mitteilen. Facebook, wie gesagt, habe jedenfalls nicht geholfen. Auch, ob sich der Sachbearbeiter als digitaler verdeckter Ermittler selbst in die Gruppe einschleuste, will man in Kempten nicht bestätigen. Verneinen allerdings auch nicht.

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„Gewalt, auch sprachliche Gewalt, in welcher Form und in welchem Zusammenhang auch immer“ sei „nicht zu akzeptieren“, sagte am Mittwochmittag stattdessen Innenminister Thomas Maizière in Berlin vor der Presse. Er folgt damit der Strategie der Bundesregierung, stärker gegen den Hass im Internet vorzugehen. Im Dezember 2015 richteten Bund und Länder zusammen die Projektgruppe „Bekämpfung von Hasspostings“ ein. Ein weiteres Prestige-Projekt ist die Facebook-Taskforce von Bundesjustizminister Heiko Maas. Die jüngsten Razzien sollen auch zeigen, dass der Staat keineswegs tatenlos zusieht, wenn in privaten Gruppen im Netz gegen Menschen gehetzt wird.

Schon lange wirft die Regierung Facebook, Twitter und Co. vor, zu wenig gegen terroristische oder volksverhetzende Inhalte in ihren Netzwerken zu tun. Auch in Recherchen von WIRED zeigten sich die Anbieter überfordert von der schieren Masse an Kommentaren und Videos, die sie überprüfen und im Zweifel entfernen müssten. Ohne die Mitarbeit der User haben es die Internet-Konzerne schwer, proaktiv gegen Hass-Postings vorzugehen. Ende Juni tauchten allerdings Berichte auf, dass Facebook und Google mittlerweile an Algorithmen arbeiten, die automatisch entsprechende Inhalte erkennen. Gegen Nazis im Silicon-Valley-Style.

Das dürfte sowohl den Innen- als auch den Justizminister gefreut haben. Auch in ihrem gerade beschlossenen Anti-Terror-Paket setzt die Bundesregierung auf mehr Selbstverpflichtung der Unternehmen.

Die Behörden kommen nicht hinterher mit der Verfolgung, deshalb kapitulieren sie und sourcen das Problem aus

Volker Tripp, Verein Digitale Gesellschaft

Doch genau das stößt auch auf Kritik. „Die Behörden kommen nicht hinterher mit der Verfolgung von Online-Tätern, deshalb kapitulieren sie und sourcen das Problem an Private aus“, sagt Volker Tripp vom Verein Digitale Gesellschaft, der sich für Bürgerrechte im Netz einsetzt. „Da entscheidet dann kein Richter mehr, was Terror ist und was nicht, sondern ein Unternehmen“, schlussfolgert Tripp. Ein effektiver Schutz der Rechte des Einzelnen werde so immer unwahrscheinlicher.

Und als hätten sie ihn gehört, promoten die Minister jetzt die bundesweite Razzia gegen die rechtsradikale Facebook-Gruppe „Großdeutschland“. Das Signal soll sein: Auch in privaten Gruppen machen sich Hetzer strafbar, wenn sie beleidigen oder zu Hass und Gewalt aufrufen.

Tatsächlich unter Strafe steht das Verbreiten von Schriften, in denen zum Hass gegen nationale, rassische, religiöse oder durch ethnische Herkunft bestimmte Bevölkerungsteile aufgerufen wird oder in denen diese beschimpft oder verleumdet werden. „Auch eine Äußerung in einem Facebook-Forum dürfte eine Schrift in diesem Sinne sein“, sagt der Fachanwalt für Internetrecht Henning Kahlert.

Es stellt sich allerdings auch die Frage, wie sinnvoll die Razzien generell überhaupt sind, ganz abgesehen von deren rechtlicher oder öffentlichkeitspolitischer Bedeutung. „Wir müssen fragen, ob solche Aktionen wirklich das gesellschaftliche Problem von rechtem Hass im Netz lösen“, sagt Christina Dinar von No-Nazi-Net. Gruppen wie „Großdeutschland“ hätten ein bestimmtes System der Organisation. Nach öffentlichen Ereignissen wie dem vom Mittwoch suchten sie die Lücken: Wer aus der Gruppe könnte etwas verraten haben, wo ist die undichte Stelle? „Die Szene könnte sich noch mehr verengen und verschließen, wenn das öfter vorkommt“, fürchtet Dinar. 

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