Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Zukunft der Musik / So werden die Platten von morgen gemacht (Teil 2)

von Sebastian Ingenhoff
Das Album gilt immer noch als Königsdisziplin, an der man sich als Musiker messen lassen muss. Doch warum produziert man im Zeitalter von iTunes und Spotify überhaupt noch Alben? Was macht dieses Format aus? Und liegt die „Zukunft der Musik“ wirklich im Album? Sebastian Ingenhoff ist selbst Musiker und geht diesen Fragen in einer vierteiligen Reportage nach. Diesmal: das Arbeiten im Studio und die Suche nach den optimalen Produktionsbedingungen.

Mit dabei: Sebastian Ingenhoff und Roland Wilhelm bilden das Elektronikduo Camp Inc., das seit Herbst 2014 in den Kölner Gotteswegstudios an seinem Debütalbum feilt. Auch Ex-Timid-Tiger-Sänger Keshav Purushotham und Marius Lauber alias Roosevelt nehmen dort gerade auf. Philipp Janzen probt mit seiner Band Von Spar in dem Studiokomplex in der Kölner Südstadt für die im April anstehende Tour. Hanitra Wagner und ihre Band Ωracles wollen im Februar an einem ganz anderen Ort mit den Aufnahmen zu ihrem Debüt beginnen. Alle ihre Alben (mit Ausnahme des Von-Spar-Albums „Street Life“ vom November) sollen im Sommer oder Herbst 2015 erscheinen.

Ob live in der Garage, im akustisch optimierten Tonstudio oder der eigenen Wohnung — Musik lässt sich auf vielerlei Arten und an vielerlei Orten aufnehmen. Es gibt großartige Platten, die mit bescheidenen Mitteln im heimischen Schlafzimmer entstanden sind, sogenannte Bedroom-Produzenten wie James Blake oder Chet Faker füllen mittlerweile die Headlinerslots der großen Festivals. Gerade Elektro-Musiker verzichten oft auf ein Studio und nehmen in Heimarbeit auf. Denn mit den neuesten Musikprogrammen können auch unerfahrene Produzenten relativ gute Ergebnisse erzielen. Liegt die Zukunft der Musik also im Homerecording?

Von-Spar-Schlagzeuger Philipp Janzen glaubt nicht, dass es so einfach ist: „Ein guter Raumklang ist unabdingbar, nur so kann man beim Mixen einen guten Sound erzielen.“ In einem Zimmer, das nicht akustisch optimiert sei, könne man sich als Produzent hingegen leicht verschätzen. An der Soundästhetik des letzten Albums „Street Life“ habe seine Band fast drei Jahre lang gefeilt. „Das wäre ohne das eigene Studio nicht möglich gewesen“, sagt Janzen. Nach wie vor mieten sich deswegen viele Musiker in professionelle Tonstudios ein und engagieren Produzenten als Berater. Und manche errichten sich ihre Räume mit der perfekten Akustik einfach selbst.

Ein solch eigenes Studio hat viele Vorteile: Man kann permanent produzieren und hat keinen Druck, die Platte in einem festgelegten Zeitraum fertigstellen zu müssen. Mietet man sich hingegen irgendwo ein, bleiben maximal drei bis vier Wochen, in denen alles eingespielt sein muss. Viel mehr kann sich eine Band in der Regel nicht leisten. Was bei manchen Bandkonstellation aber auch von Vorteil sein kann, Stichwort Prokrastination.

Ωracles zum Beispiel werden sich bald für drei Wochen ein Studio auf einem Bauernhof in der Nähe von Kiel einrichten. Sorgen, dass die Zeit zu knapp kalkuliert sein könnte, machen sich die Bandmitglieder keine. Alle von ihnen haben in anderen Formationen schon genug Produktionserfahrung sammeln können. Die Songs liegen als grobe Skizzen vor, die nur noch aufgenommen werden müssen. Und viele Soundelemente wurden schon vorab im Schlafzimmer produziert. „Joshua und Nils sind unsere Produzentenfreaks, die nehmen eh permanent Skizzen bei sich zu Hause auf. Da hat man dann schon einen gewissen Pool an Sounds und kann sich die Rosinen rauspicken“, erklärt Ωracles-Mitglied Dennis Jüngel, der derzeit selbst Musikproduktion an der Musikhochschule Köln studiert. Zwölf bis fünfzehn Lieder will seine Band insgesamt aufnehmen, von einigen gibt es schon fertige Demos, bei denen bloß noch ein paar Spuren ausgetauscht werden müssen. Auf einen Produzenten wollen Ωracles dabei aber verzichten.

Von Spar hingegen haben sich schon für die Aufnahmen zu ihrem vorletzten Album „Foreigner“ ihr eigenes Studio eingerichtet. Der Aufnahmeraum ist zwar klein, aber gut ausgestattet: Es gibt ein großes, etwas antiquiert wirkendes Mischpult, vier Abhörmonitore und jede Menge Synthesizer, die sich über die Jahre angesammelt haben. Dazu Drum Machines, Schlagzeug, Gitarren. Mittlerweile teilt man sich das Studio mit zwei anderen Parteien: Die eine ist Marius Lauber alias Roosevelt, der an seinem Debütalbum arbeitet, das im August erscheinen wird. Die andere sind wir von Camp Inc. Marius ist meistens tagsüber im Studio, wir eher abends. Wir koordinieren uns über einen Kalender, rauchen bei der Übergabe oft noch eine Zigarette zusammen und tauschen uns aus, wie es mit unseren Alben gerade läuft.

Zwischen zwei Von-Spar-Alben können schon mal vier Jahre vergehen. Das ist weniger künstlerische Faulheit, als vielmehr eine ökonomische Notwendigkeit. Mittlerweile produzieren die Bandmitglieder nämlich nicht nur ihre Platten selbst, sondern komponierten zwischen zwei Alben zusätzlich Filmsoundtracks oder sitzen auch für andere Musiker an den Reglern. „Mit Studioequipment zu arbeiten, Klänge mit dem Computer zu verfremden, das sind ja alles Sachen, die man eigentlich immer schon gemacht hat“, sagt Philipp Janzen. „Man ist nur nicht auf die Idee gekommen, dieses ganzen Know-How auch mal anzuwenden.“ Als Musiker mit einem Produktions-Profi im Studio zu arbeiten, sei letztlich wie ein Praktikum. „Irgendwann ist man selbst so eine Art Produzent.“

Auch Keshav Purushotham gehört zu den Künstlern, die sich das Produzieren selbst beigebracht haben. Seit fast zwei Jahren arbeitet er nun schon an seinem Soloalbum und verbringt beinahe jeden Tag im Studio. Doch er fände es gar nicht schlecht, jemanden zu haben, der ihm endlich die Pistole auf die Brust setzt. „Ich lasse mich schon sehr leicht ablenken“, gibt er zu. „Meistens bin ich gegen Mittag im Studio, aber oft kommt es vor, dass ich bis abends gar nichts auf die Reihe bekomme.“ Den Großteil seines Albums hat er alleine eingespielt, für die finale Phase möchte er aber gerne mit „frischen Ohren“ zusammenarbeiten, wie er sagt. Einige Parts der Platte will er mit befreundeten Musikern neu aufnehmen, auch das Abmischen soll jemand übernehmen, der unbefangen an die Songs herangeht. „Das Album soll wie ein Gesamtwerk klingen, und nicht wie eine Ansammlung von Songs. Ich möchte nicht, dass sich so Platzhalter einschleichen“, sagt Purushotham. „Da ist es hilfreich, jemanden zur Hand zu haben, der einen etwas nüchterneren Blick auf die Sache hat.“

Und genau um diese Frage — was ein Album als Gesamtwerk ausmacht — geht es im nächsten Teil unserer Reihe.

Welche Sounds werden unsere Zukunft bestimmen? Wer wird sie für uns erschaffen? Und womit? Das erfahrt ihr den ganzen Februar lang in unserem Themen-Special „Zukunft der Musik“ auf WIRED.de. 

GQ Empfiehlt
Digital ist besser / Nervers gonna nerv

Digital ist besser / Nervers gonna nerv

von Johnny Haeusler