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Kosmos-Kolumne / Hakan Tanriverdi über das verlogene Ideal der Meinungsfreiheit im Netz

von Hakan Tanriverdi
Wer im Internet Opfer von Sexismus oder Rassismus wird, bekommt oft ein Schlagwort serviert: Meinungsfreiheit. Ein verlogenes Ideal.

HAKAN TANRIVERDI arbeitet als freier Journalist unter anderem für das Digital-Ressort von Sueddeutsche.de, er twittert unter @hakantee. Für WIRED schreibt er regelmäßig über Netz- und Technologie-Themen. 

Das Internet ist weiß, männlich und tut alles, damit das so bleibt. Nach einem Jahrzehnt mit Facebook, Reddit und Twitter ist mein persönliches Zwischenfazit, dass die Dienste daran nichts ändern wollen. Sie sind nicht bereit, die Konsequenzen aus dem zu ziehen, was sie selbst predigen.

Gepredigt wird zu Recht, dass es keine Grenze mehr gibt zwischen on- und offline. Wer will, kann das Netz anonym nutzen, klar. Aber wenn Gerüchte und Behauptungen mit Klarnamen verbunden werden und für alle lesbar sind, werden sie Teil der persönlichen Identität, können Menschen massiv schaden. Wir tragen das Internet immer bei uns, behandeln es wie ein ausgelagertes Gedächtnis, lernen darüber neue Menschen kennen, beurteilen sie. Wörter liegen uns nicht mehr nur auf der Zunge, sondern auch in den Fingerspitzen. Wir führen ein Nonstop-Gespräch, bei dem der Übergang vom Digitalen zum Analogen seamless ist.

Facebook, Reddit und Twitter legitimieren den Hass, indem sie ihn aktiv zulassen und das mit free speech begründen.

Es ist diese Dauerkonversation, die Facebook, Reddit und Twitter groß gemacht hat. Doch es sind auch gerade diese Netzwerke, auf denen der Ausstoß an Hass am größten ist. Wer will, kann Frauen mit Vergewaltigung drohen, Menschen rassistisch beleidigen und hat auch ansonsten jede Menge Platz für Ausbrüche. Denn gelöscht wird nichts: Facebook, Twitter und Reddit weigern sich, dagegen vorzugehen. Sie legitimieren den Hass, indem sie ihn aktiv zulassen und das mit free speech, also der Meinungsfreiheit begründen.

Es ist eine Argumentation, die nur von Unternehmen kommen kann, die entweder nicht begreifen wollen, dass es zwischen on- und offline keine Grenze mehr gibt. Was unwahrscheinlich ist. Oder aber, und das wäre die These: Sie kriegen keine dieser Drohungen ab, weil sie weiße Männer sind.

Denn von den Einschüchterungen sind vor allem Frauen betroffen. Danielle Citron, Professorin an der Universität in Maryland und Affiliate Scholar am Center for Internet and Society der Stanford-Universität, zitiert in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Hate Crimes In Cyberspace“ mehrere Studien, in denen ausnahmslos festgestellt wurde, wie heftig Frauen den Hass abbekommen. „Es ist unstrittig, dass der Umstand, eine Frau zu sein, das Risiko erhöht, schikaniert zu werden.“ Wenn man dann noch lesbisch, bisexuell, schwarz oder transgender ist, kann man sich die Konsequenzen ausrechnen.

Auf Reddit werden Gruppen, in denen es um schwarze Kultur geht, regelmäßig von Rassisten vollgemüllt. Bilder, Drohungen, Beleidigungen. Alles Meinungsfreiheit.

Der Gründungsmythos des Silicon Valley ist eine Lüge. Das Internet hat uns nicht alle gleichberechtigt gemacht.

Das Silicon Valley will nicht einsehen, dass sein Gründungsmythos eine Lüge ist. Das Internet hat uns nicht alle zu gleichberechtigten Menschen gemacht. Soziale Unterschiede bestehen weiter, unabhängig davon, ob meine Sätze mit „https://“ beginnen. Um das in aller Klarheit zu wiederholen: Wenn es keinen Unterschied zwischen on- und offline gibt, heißt das, dass solche Schmähungen vergleichbar sind mit einer U-Bahnfahrt, bei der man von wildfremden Menschen mit dem Tod bedroht wird. Auch das zeigen Studien, aus denen Citron zitiert. Es ist höchste Zeit, das zu verstehen und sich für die bisher an den Tag gelegte Ignoranz zu entschuldigen.

Was ist also zu tun? Als erster Schritt ist es notwendig, dass soziale Netzwerke für ein ordentliches Community-Management sorgen und die Vorsitzenden das einfordern. Wenn Beiträge als rassistisch oder frauenfeindlich gemeldet werden, muss es möglich sein, dass die Personen, die darüber entscheiden, ein informiertes Urteil fällen. Das wird nur klappen, wenn die Vielfalt nicht als Bonus begriffen wird, sondern als zentrales Grundprinzip einer funktionierenden Gesellschaft.

Wie nötig dieser Schritt ist, zeigt allein schon ein Blick in die Berichte, in denen aufgelistet wird, wer genau bei den Unternehmen arbeitet. Bei Facebook und Twitter sind es je 30 Prozent Frauen und zwei Prozent Schwarze.

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