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Schlechter Scherz: Das geleakte Sex-Tape von YACHT war nur eine PR-Aktion

von Chris Köver
Wenn unser privates Sex-Tape schon ins Netz gelangt ist, dann verkaufen wir es lieber selbst! Mit dieser Geschichte machte die Popband YACHT gestern Schlagzeilen, auch bei WIRED. Doch dann stellte sich heraus: Die ganze Aktion war eine PR-Gag, um das neue Musikvideo der Band zu bewerben. Viele finden das allerdings gar nicht lustig.

Gestern berichteten wir an dieser Stelle über die US-Band YACHT: Ein privates Sextape der beiden Bandmitglieder Jona Bechtolt und Claire Evans sei gegen ihren Willen ins Netz geleakt worden. Deswegen habe die Band entschieden, das Video lieber selbst zu verkaufen, um so „Handlungsmacht“ zurückzugewinnen. In einem Post auf Facebook plädierten YACHT an ihre Fans, das Tape nicht anzusehen und wenn doch, dann zumindest direkt auf ihrer Seite herunterzuladen statt illegal.

Wie sich später herausstellte, war diese Aktion eine elaborierte PR-Falschmeldung der Band, die damit ihr neues Musikvideo bewerben wollte. Auf der Webseite fuck.teamyacht.com schreiben Bechtolt und Evans, die seit 2006 zusammenarbeiten und auch privat ein Paar sind, dass sie sowohl den Leak als auch den Verkauf des Tapes und einen anschließenden Server-Crash vorgegaukelt hätten, um ihr neues (nicht pornografisches) Musikvideo zum Song „I want to fuck you til I’m dead“ zu bewerben, das seit heute auf Pornhub zu sehen ist.

Das „Projekt“, schreiben sie, habe ihnen erlaubt, mit Themen wie „Science Fiction, der Aufmerksamkeits-Ökonomie, Clickbait-Journalismus und Celebrity Sextapes“ zu spielen.

Die Aktion ist einerseits aufgegangen: WIRED und viele andere Medien haben gestern über den Fall berichtet. Allerdings stehen Bechtolt und Evans auch in der Kritik: Dass sie sich als Opfer einer solchen Verletzung ihrer Privatsphäre ausgegeben haben, um ihre Musik zu promoten, empfinden viele als respektlos gegenüber jenen, deren Fotos und Aufnahmen tatsächlich gegen ihren Willen ins Netz gelangen – eine sehr reale Form von Gewalt, die nicht nur Celebrity-Frauen betrifft.

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Bechtolt und Evans verwehren sich in ihrem Statement gegen diesen Vorwurf: „Wir wollten uns nie über die Opfer von sexuellem Missbrauch lustig machen. Ehrlich gesagt finden wir es verstörend, dass Medien den unglaublich unverantwortlichen Sprung machen würden von ‚Celebtrity Sextape‘, der Trope, auf die dieses Projekt explizit Bezug nimmt, zu ‚Rache Pornografie‘, die unlustig, ekelhaft, moralisch abstoßend ist und keinerlei Bezug hierzu hat. In unserer fiktionalen Geschichte gab es keine Gewalt oder Ausbeutung.“

Das Statement zeugt von einem blinden Fleck der Band, die sich sonst im Netzdiskurs so heimisch fühlt

Allerdings hatten Evans und Bechtolt sich zuvor selbst als Opfer von „Ausbeutung“ bezeichnet und emotional an ihre Fans plädiert, das Tape nicht anzusehen. Auch zeugt das Statement von einem blinden Fleck der Band, die sich sonst im Netzdiskurs so heimisch fühlt, als könne sie darauf spielen wie auf einem Klavier: einem Nichtwissen um die Debatten, die seit Jahren über Online-Gewalt geführt werden.

Denn wenn sexualisierte Bilder eines Menschen gegen seinen oder ihren Willen veröffentlicht werden, dann hat das nichts mit Sex zu tun und es ist auch mehr als eine Verletzung der Privatsphäre. Es ist eine Demonstration von Macht: Ich kann das tun und du kannst nichts tun, um es zu verhindert. Oft genug zielen solche Aktionen darauf ab, das Leben eines Menschen zu zerstören – manchmal gelingt das.

In dieser Hinsicht besteht also sehr wohl eine Parallele zwischen der „Rache-Pornografie“, von der die Band sich hier so wortgewaltig distanziert und dem Leak von Prominenten-Fotos oder Videos, wie es zuletzt Jennifer Lawrence und anderen Hollywood-Schauspielerinnen passierte. Solche Leaks sind eine Form von Gewalt, und AktivistInnen kämpfen seit Jahren darum, dass sie als Verbrechen behandelt werden.

Bechtolt und Evans sind als Kultur-Hacker bekannt, die in ihren Projekten und Aktionen sonst spielerisch und elegant auf der Klaviatur von Technologie, Politik, Science-Fiction und Medienöffentlichkeit spielen. In diesem Fall ist ihnen der Ton wohl entgleist.

Hier das vollständige Statement der Band YACHT:

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Und hier unser ursprünglicher Artikel:

Claire Evans und Jona Bechtolt sind es gewohnt, im Netz sichtbar zu sein. Als Pop-Band YACHT experimentieren sie ständig auf Social Media und loten die Grenzen jeder Bühne für ihre Zwecke aus. Die neuste Form von Öffentlichkeit hat das Duo allerdings nicht selbst gewählt: Jemand hat eine Aufnahme im Netz veröffentlicht, die die beiden beim Sex zeigt – und die nie für ein größeres Publikum als sie selbst gedacht war.

Eine Verletzung der eigenen Privatsphäre, gegen die Evans und Bechtolt auch juristisch vorgehen: „Wir haben gegen diese Person rechtliche Schritte eingeleitet“, schreiben die beiden auf Facebook.

Der Schritt, den sie wenige Stunden danach bekanntgaben, ist wesentlich ungewöhnlicher: Das Paar hat sich entschieden, die Aufnahme, die ohnehin illegal im Netz kursiert, selbst zu verkaufen. Für fünf Dollar kann man das Sex-Tape jetzt auf ihrer neuen Webseite fuck.teamyacht.com herunterladen, ganz einfach zu bezahlen per Kreditkarte. „Dieses Video ist öffentlich,“ schreiben Bechtolt und Evans dazu. „Wir können das nicht ändern. Wir können nur ‚so YACHT wie möglich‘ damit umzugehen.“

„So YACHT wie möglich“, das bedeutete in diesem Fall, ihre Fähigkeiten und ihre Fan-Basis zu nutzen, um die Handlungsmacht zurückzugewinnen, die ihnen mit der Veröffentlichung des Videos genommen wurde. „Wenn ihr das Video unbedingt sehen müsst, bitten wir euch, es nicht aus einem Torrent runterzuladen oder irgendwo zu streamen“, schreiben YACHT in einem kurzen Text auf ihrer Website. „Zu kontrollieren, wie dieses Video gesehen wird und wer davon profitiert, ist die einzige Form von Handlungsmacht, die uns in dieser ausbeuterischen Situation geblieben ist.“

Diese Art Hacker-Mentalität im Umgang mit Problemen ist typisch für das Pop-Duo. Egal ob es sich um ein neues Album handelt, das sie veröffentlichen, eine App zu ihrer Heimatstadt Los Angeles, eine Sonnenbrillen-Kollektion oder ein Parfum (ja, all diese Dinge haben YACHT schon produziert), Bechtolt und Evans sind Forscher. Sie wollen in erster Linie verstehen, wie ein System funktioniert. Dann nehmen sie es auseinander und nutzen es neu, für ihre eigenen Zwecke.

Als sie vergangenes Jahr ihr neuestes Album veröffentlichten, mieteten sie eine Plakatwand an einem Highway in Los Angeles und schickten die Koordinaten per Tweet an ihre Fans. Wer kam, traf unter dem Billboard auf Evans und Bechtolt und bekam ganz analog einen Flyer in die Hand gedrückt. Eine befreundete Künstlerin filmte die Aktion mit einer Drohne und streamte sie live ins Netz. Jedes Tech- und Musikblog berichtete darüber – und YACHT hatten wohl die effektivste Publicity für ihre Musik, die sie mit knappen finanziellen Mitteln stemmen konnten.

„Wir waren immer schon Early Adopter,“ sagte Evans dazu im Interview mit WIRED. „Wir sind an den Möglichkeiten jeder neuen Plattform und App interessiert, wir halten sie nur für zu begrenzt und überlegen uns immer, wie man sie auf neue Weisen nutzen könnte.“

Systeme recherchieren, verstehen, zerlegen, anders nutzen – die gleichen Strategien, die sie für ihre Projekte anwenden, nutzen YACHT jetzt, um die private Krise zu bewältigen. System heißt diesem Fall: das Netz – und wie es eingesetzt wird, um Macht zu demonstrieren. Denn egal ob es sich um geklaute Nacktfotos von Jennifer Lawrence handelt oder ob jemand Bilder seiner Ex-Freundin auf Revenge-Porn-Seiten hochlädt: Wer so etwas tut, will Macht ausüben über die Person, deren Würde und Privatsphäre sie verletzt.

Die Frauen, die von diesen Aktionen betroffen sind, sollen sich schutz- und machtlos fühlen angesichts einer Situation, in der sie nicht mehr kontrollieren kann, wer diese Bilder zu sehen bekommt. Und zwar für immer, denn solche Bilder verschwinden in der Regel trotz aller Anstrengungen nie wieder ganz aus dem Netz.

Sich die Kontrolle über die Bilder – und damit ein Stück der Macht – zurückzuholen, diese Strategie haben in der Vergangenheit schon andere vorgemacht, deren private Aufnahmen ohne ihre Zustimmung veröffentlicht wurden. So hat die dänische Aktivistin Emma Holten Anfang 2015 eine Serie von Aktaufnahmen im Netz veröffentlicht, nachdem ein Hacker zuvor Nacktfotos von ihr auf einer Revenge-Porn-Website veröffentlicht hatte. „Die Männer, die diese Bilder ansahen, wussten, dass es gegen meinen Willen geschah“, schrieb sie in einem Begleitstatement. Sie habe erkannt, dieser Falle könne sie nur entkommen, indem sie selbst Bilder veröffentlicht, die mit ihrem Einverständnis aufgenommen wurden.

Evans und Bechtolt gehen mit ihrer Aktion noch einen Schritt weiter: Sie nehmen sich die Aufnahme nicht nur zurück. Sie monetarisieren das, was als Waffe gegen sie gedacht war. Der denkbar kreativste Umgang mit so einer Situation – und definitiv „so YACHT wie nur möglich“. 

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