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Sascha Lobo über seine re:publica-Absage / Kurzfassung

von Elisabeth Rank
Die Rede zur Lage der Nation wird Sascha Lobo 2015 nicht halten – zumindest nicht im Mai auf der re:publica. Auf der wichtigsten deutschen Internet-Konferenz tritt der bekannteste deutsche Internet-Erklärer in diesem Jahr nicht auf. Stattdessen hat er WIRED erzählt, wie er den Debattenstand zu Datenschutz und Netzneutralität sieht, was er über Angela Merkel und die Samwer-Brüder denkt, ob er je wieder Twitter-Parties veranstalten wird und wie er die Chancen einer neuen Netzpartei einschätzt. Das ausführliche Interview mit Sascha Lobo ist im WIRED-Member-Bereich und im gedruckten Magazin zu lesen — als Vorgeschmack: hier die Kurzfassung.

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WIRED: Sascha Lobo, bei der Berliner re:publica-Konferenz im Mai 2014 haben Sie eine furiose, aber des-illusionierende Rede gehalten. Die deutsche Internet-Community sei ein kaum engagierter, politisch weitgehend passiver Haufen. Ein Jahr ist vergangen. Hat sich etwas geändert?
Sascha Lobo: Ja, ein wenig. Meine Rückfragen bei den Plattformen und Blogs, die ich in der Rede erwähnt hatte, ergaben, dass es hinterher einen Anstieg bei den Spenden gab. Natürlich wünsche ich mir, dass Institutionen wie netzpolitik.org oder Digitale Gesellschaft ihre Arbeit finanzieren können. Worum es mir vor allem ging: die Lippenbekenntnisse aufs Korn zu nehmen. Leute erzählen, wie wichtig ihnen Privatsphäre im Netz sei, obwohl sie sich über die reine Formulierung des Anspruchs heraus kaum dafür interessieren. Bequemlichkeit ist ihnen viel wichtiger – aber das hört sich halt nicht so geil an. Mich nervt das sehr. Die Aktivisten, die dahin gehen, wo es wehtut, bekommen zum Dank eine rostige Büroklammer zugesteckt. Daran hat sich noch zu wenig geändert.


WIRED: Es geht also doch um Geld?
Lobo: Ein merkwürdig unbeliebtes Thema, aber man muss darüber reden. Was ist uns etwa Netzneutralität wert? Ganz buchstäblich, in Euro. Am Ende waren es zwei, drei Dutzend Leute, die es im April 2014 geschafft haben, eine Abstimmung im Europaparlament zur Netz-neutralität in die richtige Richtung zu drehen. Das war superknapp. Der junge Österreicher Thomas Lohninger hat dabei eine entscheidende Rolle gespielt – wäre er nicht zum richtigen Zeitpunkt da gewesen, weil er stattdessen in der Bar hätte arbeiten müssen, um sich die Miete zu verdienen, wäre das schiefgegangen. So einfach.

WIRED: Sie stellen der Netzgemeinde ein Armutszeugnis aus: großes Potenzial, kaum mobilisierbar. Sie könnten sich auch fragen: Bin ich mit schuld daran, weil ich als Motivator versagt habe?
Lobo: Die Frage kann ich ja nur falsch beantworten. Was wichtig ist: Die sogenannte Netzgemeinde ist ungeheuer diffus. Allerdings hat sie in der Tat vergleichsweise viel Macht, jedenfalls publizistische. Sie will es bloß nicht wahrhaben, und das ist Teil des Problems. Andere Lobby- und Einflussgruppen bewundern die öffentliche Schlagkraft: kein Medium, keine größere Interessengruppe in Deutschland, wo nicht auch ein sogenannter Netzmensch dabei ist. Und zumindest in wichtigen Punkten wie Netzneutralität oder Sperren gibt es eine weitgehend gemeinsame Haltung. Da gibt es niemanden, der sagt: „Ach, Netzsperren finden wir eigentlich gut.“

WIRED: Wie lässt sich der Widerspruch lösen? Muss sich die Gemeinde stärker organisieren?
Lobo: Da würde ich phänomenologisch argumentieren: Es gibt bis jetzt keinen reinen, breit aufgestellten Netzverein, keine Gewerkschaft der Internet-Arbeitenden. Die bislang Organisierten sind, abgesehen vom Chaos Computer Club, vergleichsweise nah an existierenden Machtstrukturen – D64 etwa, der der SPD nahesteht. Die sind relativ laut und nicht schlecht, wenn es um netzpolitische Belange geht, aber eben Parteivereine.



WIRED: Was heißt das?
Lobo: Dass die anderen einfach keinen großen Bock auf Struktur zu haben scheinen. Man will sich vernetzen, aber nicht organisieren. Es gibt in Deutschland einen Fahrgastverband der Bahn, aber keinen Verband der Social-Media-Nutzer. Und das sind, vorsichtig geschätzt, 30 Millionen Leute.

WIRED: Verspielen diese 30 Millionen damit nicht die Chance, Einfluss zu nehmen?
Lobo: Wieso denn? Gespräche mit Politikern kann man auch jetzt schon führen. Medien kann man jetzt schon zum Schauplatz von Debatten machen. Was würde es ändern, wenn es plötzlich einen Dachverband gäbe – außer dass irgendein armes Schwein jedes Jahr die Steuererklärung nach der Gemeinnützigkeitsverordnung des Finanzamts machen müsste?

WIRED: Als Sie Anfang 2014 den Slogan „Das Internet ist kaputt“ verfassten …
Lobo: … der noch weitergeht. „Das Internet ist kaputt, die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht.“ Das ist wichtig.

WIRED: Muss man noch klarer feststellen, dass nicht nur die Terroristen die Feinde einer offenen Gesellschaft sind, sondern auch die Geheimdienste?
Lobo: Ich gehörte eigentlich nicht zu denen, die sagen: Dienste abschaffen. Es gäbe für sie ja auch sinnvolle Aufgaben. Allerdings scheint mir inzwischen die Reformierbarkeit deutlich unterhalb des Nullpunkts zu liegen. Und deshalb habe ich wahnsinnig wenig Hoffnung.

WIRED: Dabei gibt es ja genug Orte im Netz, an denen die Nutzer das Internet nicht als kaputt empfinden. Orte, wo das Vernetzungsversprechen noch funktioniert.
Lobo: Weil auf Facebook so superinteressante Diskussionen über Hegel stattfinden? Was wir meiner Meinung nach erkennen müssen: Wir befinden uns 2015 am Anfang einer neuen Entwicklungsphase des Internets. Einer Phase, in der das Szenario der Totalüberwachung immer und überall mitschwingt, in einer Art, gegen die sich das normaldigitale Individuum kaum allein wehren kann. Dagegen gibt es nur politische, publizistische, technologische Mittel, die Breitenwirkung voraussetzen.

WIRED: Ihre Zuhörer und Leser sind größtenteils zwischen 25 und 50. Was ist mit den Jüngeren, die Sie gar nicht kennen?
Lobo: Ich kann mir vorstellen, dass ich eine Art Übergangsphänomen bin, das die nächste Generation nicht mehr braucht. Bei den Jüngeren sehe ich jetzt schon eine erfrischende Selbstverständlichkeit, mit der gesellschaftliche Prozesse ins Netz transformiert werden. Gewisse Fragen stellen sie gar nicht mehr, was zu 90 Prozent positiv und zu zehn Prozent negativ ist. „Jetzt sei doch mal offline!“ – das hat da gar keine logische Grundlage mehr: Off–was? In den Köpfen der Jugend ist viel mehr systemische Intelligenz vorhanden, als viele zu glauben bereit sind. Und dieses grauenvolle Gelaber, die jungen Leute hätten keine Ahnung und würden Mark Zuckerberg ins offene Messer laufen, das ist tatsächlich bloß Gelaber.


WIRED: Sie werden bei der re:publica in diesem Jahr keine Rede halten.
Lobo: So ist es.

WIRED: Warum nicht?
Lobo: Ich hatte das Gefühl, es könnte sinnvoll sein, mal eine Pause zu machen. Die Erwartungen auf andere Art zu brechen, als es von mir erwartet wird.

WIRED: Im Licht dessen, was Sie zum Zustand des Internets sagen: Hören wir da Verbitterung heraus?
Lobo: Verbitterung ist eine zu irreversible, destruktive Empfindung, als dass sie beschreiben könnte, was in mir vorgeht. Natürlich hat ein digitaler Meteoriteneinschlag wie die Snowden-Enthüllungen eine weitreichende Wirkung. Leute, die begeistert weitermachen wie früher, halte ich nicht für netzoptimistisch, sondern für realitätsfern. Für mich ist der Impuls jetzt aber: Machen! Nicht nur reden.

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WIRED: Es geht also doch um Geld?
Lobo: Ein merkwürdig unbeliebtes Thema, aber man muss darüber reden. Was ist uns etwa Netzneutralität wert? Ganz buchstäblich, in Euro. Am Ende waren es zwei, drei Dutzend Leute, die es im April 2014 geschafft haben, eine Abstimmung im Europaparlament zur Netz-neutralität in die richtige Richtung zu drehen. Das war superknapp. Der junge Österreicher Thomas Lohninger hat dabei eine entscheidende Rolle gespielt – wäre er nicht zum richtigen Zeitpunkt da gewesen, weil er stattdessen in der Bar hätte arbeiten müssen, um sich die Miete zu verdienen, wäre das schiefgegangen. So einfach.

WIRED: Sie stellen der Netzgemeinde ein Armutszeugnis aus: großes Potenzial, kaum mobilisierbar. Sie könnten sich auch fragen: Bin ich mit schuld daran, weil ich als Motivator versagt habe?
Lobo: Die Frage kann ich ja nur falsch beantworten. Was wichtig ist: Die sogenannte Netzgemeinde ist ungeheuer diffus. Allerdings hat sie in der Tat vergleichsweise viel Macht, jedenfalls publizistische. Sie will es bloß nicht wahrhaben, und das ist Teil des Problems. Andere Lobby- und Einflussgruppen bewundern die öffentliche Schlagkraft: kein Medium, keine größere Interessengruppe in Deutschland, wo nicht auch ein sogenannter Netzmensch dabei ist. Und zumindest in wichtigen Punkten wie Netzneutralität oder Sperren gibt es eine weitgehend gemeinsame Haltung. Da gibt es niemanden, der sagt: „Ach, Netzsperren finden wir eigentlich gut.“

WIRED: Wie lässt sich der Widerspruch lösen? Muss sich die Gemeinde stärker organisieren?
Lobo: Da würde ich phänomenologisch argumentieren: Es gibt bis jetzt keinen reinen, breit aufgestellten Netzverein, keine Gewerkschaft der Internet-Arbeitenden. Die bislang Organisierten sind, abgesehen vom Chaos Computer Club, vergleichsweise nah an existierenden Machtstrukturen – D64 etwa, der der SPD nahesteht. Die sind relativ laut und nicht schlecht, wenn es um netzpolitische Belange geht, aber eben Parteivereine.

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WIRED: Was heißt das?
Lobo: Dass die anderen einfach keinen großen Bock auf Struktur zu haben scheinen. Man will sich vernetzen, aber nicht organisieren. Es gibt in Deutschland einen Fahrgastverband der Bahn, aber keinen Verband der Social-Media-Nutzer. Und das sind, vorsichtig geschätzt, 30 Millionen Leute.

WIRED: Verspielen diese 30 Millionen damit nicht die Chance, Einfluss zu nehmen?
Lobo: Wieso denn? Gespräche mit Politikern kann man auch jetzt schon führen. Medien kann man jetzt schon zum Schauplatz von Debatten machen. Was würde es ändern, wenn es plötzlich einen Dachverband gäbe – außer dass irgendein armes Schwein jedes Jahr die Steuererklärung nach der Gemeinnützigkeitsverordnung des Finanzamts machen müsste?

WIRED: Als Sie Anfang 2014 den Slogan „Das Internet ist kaputt“ verfassten …
Lobo: … der noch weitergeht. „Das Internet ist kaputt, die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht.“ Das ist wichtig.

WIRED: Muss man noch klarer feststellen, dass nicht nur die Terroristen die Feinde einer offenen Gesellschaft sind, sondern auch die Geheimdienste?
Lobo: Ich gehörte eigentlich nicht zu denen, die sagen: Dienste abschaffen. Es gäbe für sie ja auch sinnvolle Aufgaben. Allerdings scheint mir inzwischen die Reformierbarkeit deutlich unterhalb des Nullpunkts zu liegen. Und deshalb habe ich wahnsinnig wenig Hoffnung.

WIRED: Dabei gibt es ja genug Orte im Netz, an denen die Nutzer das Internet nicht als kaputt empfinden. Orte, wo das Vernetzungsversprechen noch funktioniert.
Lobo: Weil auf Facebook so superinteressante Diskussionen über Hegel stattfinden? Was wir meiner Meinung nach erkennen müssen: Wir befinden uns 2015 am Anfang einer neuen Entwicklungsphase des Internets. Einer Phase, in der das Szenario der Totalüberwachung immer und überall mitschwingt, in einer Art, gegen die sich das normaldigitale Individuum kaum allein wehren kann. Dagegen gibt es nur politische, publizistische, technologische Mittel, die Breitenwirkung voraussetzen.

WIRED: Ihre Zuhörer und Leser sind größtenteils zwischen 25 und 50. Was ist mit den Jüngeren, die Sie gar nicht kennen?
Lobo: Ich kann mir vorstellen, dass ich eine Art Übergangsphänomen bin, das die nächste Generation nicht mehr braucht. Bei den Jüngeren sehe ich jetzt schon eine erfrischende Selbstverständlichkeit, mit der gesellschaftliche Prozesse ins Netz transformiert werden. Gewisse Fragen stellen sie gar nicht mehr, was zu 90 Prozent positiv und zu zehn Prozent negativ ist. „Jetzt sei doch mal offline!“ – das hat da gar keine logische Grundlage mehr: Off–was? In den Köpfen der Jugend ist viel mehr systemische Intelligenz vorhanden, als viele zu glauben bereit sind. Und dieses grauenvolle Gelaber, die jungen Leute hätten keine Ahnung und würden Mark Zuckerberg ins offene Messer laufen, das ist tatsächlich bloß Gelaber.


WIRED: Sie werden bei der re:publica in diesem Jahr keine Rede halten.
Lobo: So ist es.

WIRED: Warum nicht?
Lobo: Ich hatte das Gefühl, es könnte sinnvoll sein, mal eine Pause zu machen. Die Erwartungen auf andere Art zu brechen, als es von mir erwartet wird.

WIRED: Im Licht dessen, was Sie zum Zustand des Internets sagen: Hören wir da Verbitterung heraus?
Lobo: Verbitterung ist eine zu irreversible, destruktive Empfindung, als dass sie beschreiben könnte, was in mir vorgeht. Natürlich hat ein digitaler Meteoriteneinschlag wie die Snowden-Enthüllungen eine weitreichende Wirkung. Leute, die begeistert weitermachen wie früher, halte ich nicht für netzoptimistisch, sondern für realitätsfern. Für mich ist der Impuls jetzt aber: Machen! Nicht nur reden.

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