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An die Kabel! Das Netz muss sich verbünden

von Max Biederbeck
Solange Regierungen Aktivisten mithilfe des Internets mundtot machen können, brauchen sie diese Gegner nicht zu fürchten. Deswegen muss das Netz sich verbünden.

Dieser Artikel stammt aus WIRED-Ausgabe 01.2017. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die WIRED-Artikel lesen, bevor sie online gehen: Hier könnt ihr unser Magazin testen.

Die Regierung der Türkei hat einen gefährlichen Feind, aber er kann ihr egal sein. Er trommelt mit dem Spruch „Halk için hack“ zum Angriff, Hacken im Namen des Volkes. Sein Wappen zieren Hammer und Sichel. Sein Name: RedHack. Seit Jahren bricht die Gruppe bei Staatsbehörden ein. Sie hat persönliche Daten Hunderter Diplomaten gestohlen, infiltrierte die Computersysteme der Polizei und zapfte Geheimdienstinformationen an.

Sie stammt tief aus der türkischen Hacktivisten-Szene und hat sich online so bedrohlich aufgebaut, dass der Staat sie seit 2012 als bewaffnete Terror­organisation verfolgt. Ende 2016 verschafften sich Hacker des Kollektivs Zugang zu den E-Mails des Energieministers Berat Albayrak und leakten die Daten an Medien und Wikileaks: 20 Gigabyte voll mit Korruption und Manipulation aus dem Inneren der Regierung.

Doch den Enthüllungen zum Trotz bleibt die türkische Öffentlichkeit fest im Griff des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Brisante Informationen werden einem Regime nur gefährlich, wenn sie zu politischen Konsequenzen führen können. Sein Feind mag gefährlich sein, aber Erdoğan hat die Macht, ihn zu isolieren. Er lässt Webseiten zensieren, die mit den Leaks arbeiten, und Journalisten inhaftieren, die darüber be­richten – etwa den deutschtürkischen Welt-Reporter Deniz Yücel im Februar. RedHack kann in die Systeme der Regierung einbrechen, aber die Gruppe ist ohnmächtig, die Zivilgesellschaft wirklich vor dem Regime zu schützen.

Denn die steht einem techno­logisch hochgerüsteten und durchdachten Unterdrückungsapparat gegenüber: Er lenkt Meinungen im Netz, überwacht Journalisten und hackt Bürgerrechtler. In der Türkei entwickelt sich, was für Autokraten weltweit zum Instrument geworden ist: Sie missbrauchen das Internet, um ihr Volk zu unterdrücken.

Security Without Borders denkt vor, was zum Standard gehören muss: eine globale IT-Abteilung für Menschenrechte

Auf der einen Seite lässt Putin Wahlen manipulieren und entsendet Troll-Armeen, um Diskussionen zu steuern. Chinas Kommunistische Partei sperrt seine Bevölkerung mit der Great Firewall in ein nationales Netz ein. Die Sittenwächter im Iran filtern unerwünschte Social-Media-Accounts aus. Auf der anderen Seite machen Sicherheitsbehörden die Watchdogs mit allen Mitteln aus dem Coder-Handbuch mundtot.

Wer sich gegen das Regime stellt und sich online organisiert, schwebt in ständiger Gefahr. Dabei gibt es die Möglichkeit, den Verfolgten zu helfen. Die Programmierer, Netzwerk-Experten und Hacker der freien Welt müssen sich nur zusammentun. Ihr Motto: Nicht Angriff ist die beste Verteidigung, sondern Verteidigung.

Um gegen autokratische Regime zu bestehen, muss sich eine Kultur der digitalen Wehrhaftigkeit etablieren. Der Kampf um die Demokratie lässt sich nicht allein mit offensiven Hacking-Kampagnen von Anonymous oder RedHack gewinnen. Aktivisten, Journalisten und Graswurzel-Bewegungen, sie beginnen und organisieren ihre Arbeit heute im Internet – wer dort nicht kämpfen kann, hat schon verloren.

In einem Berliner Café erklärt Claudio „Nex“ Guarnieri, wie man eine solche Verteidigung aufbauen kann. Er hat im Dezember auf dem Hackerkongress 33C3 in Hamburg eine wütende Rede gehalten. Hacker ignorierten, dass das Internet in Ländern wie Syrien zur Kriegswaffe geworden ist, schimpfte er. Es bedrohe ganze Gesellschaften. Programmierer aber „genießen sechsstellige Gehälter, Luxuszimmer und die Aufmerksamkeit der Medien“.

Nex selbst ist in der italienischen Hacker-Szene groß geworden. Im Internet sah er schon immer ein Instrument zur gesellschaftlichen Befreiung. 
Seit acht Jahren ist er Profi, er wechselte von der privaten Wirtschaft zu Amnesty International. Er glaubt: Weil die IT-Industrie zu schnell gewachsen ist, hat sie das Ethos vom politischen Hacker durch das Versprechen auf Karriere und Ruhm ersetzt. Der guten Sache fehle das Personal – und so siegen die vermögenden Unterdrücker, die ihre Spionagesoftware und ihre Experten einfach einkaufen können, auch in Deutschland.

Nex will den Kulturwandel für seine Branche und hat Security Without Borders gegründet, nach dem Vorbild von Ärzte bzw. Reporter ohne Grenzen. Die Organisation soll eine Anlaufstelle für Programmierer sein, die grenzüberschreitend helfen wollen, und sie soll jene entlas­ten, die vor Ort kämpfen, zum Beispiel in der Türkei. „Es gab in der Vergangenheit durchaus Gruppen, die sich vom Ausland aus für Aktivisten eingesetzt haben, zum Beispiel Telecomix während der Arabischen Revolution“, erklärt er.

Telecomix hatte syrischen Widerstandskämpfern gegen das Assad-Regime beim Aufbau von Internetverbindungen geholfen, bevor sich der Konflikt in einen unüberschaubaren Krieg verwandelte. Den meisten solcher Hacker-Gruppen fehlten allerdings die Größe und Unterstützung, um langfristig einen Unterschied zu bewirken. Security Without Borders will deshalb ein mächtiges Netzwerk zur Verteidigung von Bürgerrechten entwickeln.

Die Idee klingt ein wenig nach Kino, wie der Kampfschrei „Hack The Planet“ aus Hackers, dem quietschbunten Pop-Film aus den 90ern. Aber vielleicht braucht es jetzt genau einen solchen romantischen Ausfall. 

Das Citizen Lab, das an der Universität Toronto an der Schnittstelle zwischen Technologie und Menschenrechten forscht, bestätigt: Gerade gibt es eine Welle von Hacker-Angriffen auf Bürgerrechtler. Dazu gehören etwa die sogenannten Nile Phish Hacks gegen NGOs in Ägypten. Mutmaßlich staatlich beauftragte Programmierer brachen dabei per Malware in die Computer ein. Ein anderer Fall betrifft mexikanische Gesundheitsaktivisten, die für eine höhere Besteuerung von Softdrinks wie Coca-Cola kämpfen. Mit infizierten SMS, so berichtet das Citizen Lab, sollten ihre Handys kompromittiert werden.

Der Istanbuler Alp Toker vom Transparenz-Projekt Turkey Blocks wurde im vergangenen Sommer bekannt. Als einer der Ersten vermeldete er während des Militärputsches, dass Twit­ter, Facebook und Youtube in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli für zwei Stunden gesperrt waren.

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Die Regierung der Türkei hat einen gefährlichen Feind, aber er kann ihr egal sein. Er trommelt mit dem Spruch „Halk için hack“ zum Angriff, Hacken im Namen des Volkes. Sein Wappen zieren Hammer und Sichel. Sein Name: RedHack. Seit Jahren bricht die Gruppe bei Staatsbehörden ein. Sie hat persönliche Daten Hunderter Diplomaten gestohlen, infiltrierte die Computersysteme der Polizei und zapfte Geheimdienstinformationen an.

Sie stammt tief aus der türkischen Hacktivisten-Szene und hat sich online so bedrohlich aufgebaut, dass der Staat sie seit 2012 als bewaffnete Terror­organisation verfolgt. Ende 2016 verschafften sich Hacker des Kollektivs Zugang zu den E-Mails des Energieministers Berat Albayrak und leakten die Daten an Medien und Wikileaks: 20 Gigabyte voll mit Korruption und Manipulation aus dem Inneren der Regierung.

Doch den Enthüllungen zum Trotz bleibt die türkische Öffentlichkeit fest im Griff des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Brisante Informationen werden einem Regime nur gefährlich, wenn sie zu politischen Konsequenzen führen können. Sein Feind mag gefährlich sein, aber Erdoğan hat die Macht, ihn zu isolieren. Er lässt Webseiten zensieren, die mit den Leaks arbeiten, und Journalisten inhaftieren, die darüber be­richten – etwa den deutschtürkischen Welt-Reporter Deniz Yücel im Februar. RedHack kann in die Systeme der Regierung einbrechen, aber die Gruppe ist ohnmächtig, die Zivilgesellschaft wirklich vor dem Regime zu schützen.

Denn die steht einem techno­logisch hochgerüsteten und durchdachten Unterdrückungsapparat gegenüber: Er lenkt Meinungen im Netz, überwacht Journalisten und hackt Bürgerrechtler. In der Türkei entwickelt sich, was für Autokraten weltweit zum Instrument geworden ist: Sie missbrauchen das Internet, um ihr Volk zu unterdrücken.

Security Without Borders denkt vor, was zum Standard gehören muss: eine globale IT-Abteilung für Menschenrechte

Auf der einen Seite lässt Putin Wahlen manipulieren und entsendet Troll-Armeen, um Diskussionen zu steuern. Chinas Kommunistische Partei sperrt seine Bevölkerung mit der Great Firewall in ein nationales Netz ein. Die Sittenwächter im Iran filtern unerwünschte Social-Media-Accounts aus. Auf der anderen Seite machen Sicherheitsbehörden die Watchdogs mit allen Mitteln aus dem Coder-Handbuch mundtot.

Wer sich gegen das Regime stellt und sich online organisiert, schwebt in ständiger Gefahr. Dabei gibt es die Möglichkeit, den Verfolgten zu helfen. Die Programmierer, Netzwerk-Experten und Hacker der freien Welt müssen sich nur zusammentun. Ihr Motto: Nicht Angriff ist die beste Verteidigung, sondern Verteidigung.

Um gegen autokratische Regime zu bestehen, muss sich eine Kultur der digitalen Wehrhaftigkeit etablieren. Der Kampf um die Demokratie lässt sich nicht allein mit offensiven Hacking-Kampagnen von Anonymous oder RedHack gewinnen. Aktivisten, Journalisten und Graswurzel-Bewegungen, sie beginnen und organisieren ihre Arbeit heute im Internet – wer dort nicht kämpfen kann, hat schon verloren.

In einem Berliner Café erklärt Claudio „Nex“ Guarnieri, wie man eine solche Verteidigung aufbauen kann. Er hat im Dezember auf dem Hackerkongress 33C3 in Hamburg eine wütende Rede gehalten. Hacker ignorierten, dass das Internet in Ländern wie Syrien zur Kriegswaffe geworden ist, schimpfte er. Es bedrohe ganze Gesellschaften. Programmierer aber „genießen sechsstellige Gehälter, Luxuszimmer und die Aufmerksamkeit der Medien“.

Nex selbst ist in der italienischen Hacker-Szene groß geworden. Im Internet sah er schon immer ein Instrument zur gesellschaftlichen Befreiung. 
Seit acht Jahren ist er Profi, er wechselte von der privaten Wirtschaft zu Amnesty International. Er glaubt: Weil die IT-Industrie zu schnell gewachsen ist, hat sie das Ethos vom politischen Hacker durch das Versprechen auf Karriere und Ruhm ersetzt. Der guten Sache fehle das Personal – und so siegen die vermögenden Unterdrücker, die ihre Spionagesoftware und ihre Experten einfach einkaufen können, auch in Deutschland.

Nex will den Kulturwandel für seine Branche und hat Security Without Borders gegründet, nach dem Vorbild von Ärzte bzw. Reporter ohne Grenzen. Die Organisation soll eine Anlaufstelle für Programmierer sein, die grenzüberschreitend helfen wollen, und sie soll jene entlas­ten, die vor Ort kämpfen, zum Beispiel in der Türkei. „Es gab in der Vergangenheit durchaus Gruppen, die sich vom Ausland aus für Aktivisten eingesetzt haben, zum Beispiel Telecomix während der Arabischen Revolution“, erklärt er.

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Telecomix hatte syrischen Widerstandskämpfern gegen das Assad-Regime beim Aufbau von Internetverbindungen geholfen, bevor sich der Konflikt in einen unüberschaubaren Krieg verwandelte. Den meisten solcher Hacker-Gruppen fehlten allerdings die Größe und Unterstützung, um langfristig einen Unterschied zu bewirken. Security Without Borders will deshalb ein mächtiges Netzwerk zur Verteidigung von Bürgerrechten entwickeln.

Die Idee klingt ein wenig nach Kino, wie der Kampfschrei „Hack The Planet“ aus Hackers, dem quietschbunten Pop-Film aus den 90ern. Aber vielleicht braucht es jetzt genau einen solchen romantischen Ausfall. 

Das Citizen Lab, das an der Universität Toronto an der Schnittstelle zwischen Technologie und Menschenrechten forscht, bestätigt: Gerade gibt es eine Welle von Hacker-Angriffen auf Bürgerrechtler. Dazu gehören etwa die sogenannten Nile Phish Hacks gegen NGOs in Ägypten. Mutmaßlich staatlich beauftragte Programmierer brachen dabei per Malware in die Computer ein. Ein anderer Fall betrifft mexikanische Gesundheitsaktivisten, die für eine höhere Besteuerung von Softdrinks wie Coca-Cola kämpfen. Mit infizierten SMS, so berichtet das Citizen Lab, sollten ihre Handys kompromittiert werden.

Der Istanbuler Alp Toker vom Transparenz-Projekt Turkey Blocks wurde im vergangenen Sommer bekannt. Als einer der Ersten vermeldete er während des Militärputsches, dass Twit­ter, Facebook und Youtube in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli für zwei Stunden gesperrt waren.

Confirmed: Twitter, Facebook & YouTube blocked in #Turkey at 10:50PM after apparent military uprising in #Turkey pic.twitter.com/J9ER5yOGYP

— Turkey Blocks (@TurkeyBlocks) 15. Juli 2016

„Die Zahl an Hilfesuchenden bei Tech-Organisation wie unserer wächst stark“, sagt er. Das Pensum sei kaum noch zu stemmen. Gegenüber WIRED will Toker nicht über die Zahl seiner Helfer in der Türkei, seinen Aufenthaltsort oder über staatlichen Druck auf Turkey Blocks sprechen. Die internationale Aufmerksamkeit verbessert die Situation kaum.

„Die Übergriffe auf Aktivisten sind meist zu unspektakulär für die Berichterstattung“, sagt Nex. Und die zunehmende Verbreitung von Verschlüsselung sei kein Allheilmittel: „Stattdessen brechen Geheimdienste jetzt eben direkt in Devices ein.“ Die beste Verschlüsselung bringe nichts, wenn jemand eine Nachricht beim Eintippen mitlesen kann.

Im Kernteam von Security Without Borders arbeiten 35 IT-Experten freiwillig gegen diese Entwicklung. Weitere 600 Ehrenamtliche helfen, verstreut über die ganze Welt. Von Berlin bis New York bilden sich lokale Ortsgruppen aus, die eigenständig Systeme von Aktivisten härten, Websites auf Schwachstellen abklopfen und bei der Verschlüsselung von Nachrichten helfen. Da entsteht eine globale IT-Abteilung für Aktivisten und Journalisten. Security With­out Borders denkt vor, was auch aufseiten der Regimekritiker so schnell wie möglich zum Standard gehören muss, in der Türkei und auch sonst auf der Welt. Nur dann kann das Versprechen wirklich aufgehen: Halk için hack!

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