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Pulse of Europe: Eine Graswurzelbewegung wächst im Internet

von Lina Hansen
In Berlin waren es vergangenen Sonntag 5000 Menschen, 4000 in Frankfurt. Seit einigen Wochen formiert sich Pulse of Europe – eine von mehreren Bewegungen, die sich der Verteidigung der Europäischen Union verschrieben haben – scheinbar mit Erfolg, wie die Wahlen in den Niederlanden am Mittwoch zeigten. Aber nur dank Technologie kann sich der Widerstand so schnell organisieren.

Sonntagnachmittag in einem Café in Berlin: Sie umkreisen einen Tisch, überall Smartphones und aufgeklappte Laptops. Silvan Wagenknecht und ein Freund installieren fleißig Slack, richten Accounts für die Aktivisten ein, die gekommen sind. Die bislang erfolgreichste Pulse of Europe-Demo ist vorbei, 5.000 Menschen hatten sich auf dem Gendarmenmarkt in Berlin versammelt. Jetzt ist statt Ausruhen allerdings erst einmal Nachbereitung angesagt. „Wir haben mit acht Leuten im Team angefangen“, sagt Wagenknecht. „Nun sind wir 20. Da funktioniert es nicht mehr, sich nur über Whatsapp zu organisieren“.

Zeitsprung zurück nach 2016. Für das Ehepaar Daniel und Sabine Röder aus Frankfurt war nach dem Brexit-Referendum und der Wahl von Donald Trump klar: Europa braucht einen neuen Widerstand gegen den Nationalismus und die Gegner der EU. Die beiden Rechtsanwälte trommelten Freunde und Bekannte zu einer Demo zusammen, die erste von vielen weiteren Pulse-of-Europe-Veranstaltungen. Mittlerweile gibt es sie jeden Sonntag in 45 Städten in sechs europäischen Ländern, darunter neben Berlin und Frankfurt auch Brüssel, Lissabon und Lyon.


Das Organisationsteam in Berlin ist auf mittlerweile 20 Mitglieder angewachsen. „Ich bin mit 18 der Jüngste, die Älteste ist 65“, erzählt Wagenknecht. Die Jungen helfen den Älteren bei der Technik, die Älteren teilen ihre Protest-Erfahrungen.

Silvan Wagenknecht ist überzeugt davon, dass die europäische Idee wieder einen Aufschwung braucht. „Ich habe Daniel Röder über die Website kontaktiert und gefragt, ob es schon Menschen in Berlin gibt, die mitmachen“, erzählt Wagenknecht. „Wir wurden vernetzt und eine Woche später gab es die erste Veranstaltung.“


Eine Hauruck-Aktion mit schlussendlich 250 Teilnehmern war das – seitdem hat sich die Bewegung verselbstständigt es passierte, was nur selten passiert: Eine positive Idee, die konstruktiv für etwas steht, ging viral. „Das Internet war entscheidend. In der internen Kommunikation über Messenger, aber vor allem in der Kommunikation nach außen“. Ohne Facebook und Twitter wäre es nicht möglich gewesen, innerhalb von sieben Tagen so eine Demo auf die Beine zu stellen und so einen Rücklauf zu bekommen. Zuletzt wuchsen die Demos auf 5000 Teilnehmer in Berlin, 4000 in Frankfurt, 2000 in München und 1000 in Hamburg. Anlässlich der Parlamentswahl in den Niederlanden gab es am vergangenen Sonntag den Appell „Blijft bij ons“ – bleibt bei uns – in Richtung der europäischen Nachbarn. Es scheint geklappt zu haben, die Nationalisten sind klarer Verlierer der Wahl.


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Ob dieser Aufruf dazu beigetragen hat oder nicht - Pulse of Europe konnte feiern, nachdem die Niederländer bei der Parlamentswahl gegen Geert Wilders gestimmt haben.


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Außer der Überzeugung, dass die EU verteidigt werden muss, möchte man sich politisch nicht positionieren. „Wir haben von Konservativen bis Linken alles dabei“, sagt Wagenknecht. Ob das zu Konflikten führt? „Wir haben bisher kaum über unsere persönlichen politischen Einstellungen gesprochen. Was uns eint, ist die europäische Idee“. Und daran arbeitet das Team jeden Tag nach Feierabend und an den Wochenenden. „Wir haben Telefonkonferenzen, dann die Demos an sich und die Nachbereitung“, sagt Wagenknecht. „Wir schreiben Pressemitteilungen und sortieren die Bilder“. Mittlerweile haben sich einzelne Kompetenzbereiche gebildet, jeder tut das, was er am besten kann.


Zum plötzlichen Erfolg von Pulse of Europe gehört auch die Präsenz im Netz: Auf der Website, Facebook und Twitter. „Wir haben mittlerweile eine ziemlich große Reichweite“, sagt Wagenknecht. Und damit kommt eben auch die Herausforderung, sich mit Kritik auseinandersetzen zu müssen. Die kam etwa, nachdem am 12. März Tim Renner, SPD-Politiker mit Bundestagsambitionen, in Berlin das Mikrofon ergriffen hat. Genau das, was die überparteiliche Bewegung Pulse of Europe vermeiden möchte: Vereinnahmung durch Politiker. „Wir haben E-Mails mit Beschwerden bekommen und uns gleich zusammengesetzt. Sehr schnell war klar, dass wir uns davon distanzieren und uns entschuldigen“, sagt Wagenknecht. „Außerdem haben wir beschlossen, dass kein Politiker mehr ans Mikrofon kommt. Das einzig Vorstellbare wäre ein gemeinsames Auftreten aller pro-europäischen Parteien“.


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Am 25. März liegt der March for Europe an, eine Demo, deren Ursprünge in Großbritannien liegen. „Darüber haben wir lange diskutiert, weil eben auch Gewerkschaften auftreten und wir uns nicht sicher waren, ob uns das zu politisch wird“, sagt Wagenknecht. „Aber wir haben entschieden, dass wir uns so einer wichtigen Sache nicht verweigern können“. Gegenwind ist mittlerweile spürbar. „Bei uns in Berlin gab es noch keine Vorfälle, aber in Dresden gab es direkt eine Gegendemo der Identitären“.

Mit Trollen in den sozialen Netzwerken habe man bisher nur vereinzelt Schwierigkeiten gehabt, sagt Wagenknecht. Aber es würden mit der vermehrten Berichterstattung immer mehr Rechte auf sie aufmerksam werden. Und mittlerweile beginnen auch Verschwörungstheorien, es würde sich um Aktionen der US-amerikanischen Hochfinanz handeln. Die Organisatoren gehen gelassen damit um: Sie führen den betreffenden Artikel in ihrer Presseschau auf der Website auf und ergänzen: „(...)Wir nehmen diesen Artikel einfach als großes Lob, was man mit eigenen Anstrengungen und viel Unterstützung erreichen kann. Es ist doch fast eine Ehre, dass wir es als Bürger soweit gebracht haben, selbst Verschwörungstheoretiker auf den Plan zu locken“.

Ob die Bewegung es schafft, mit rationalen Argumenten die emotionalen Methoden von rechtspopulistischer Seite auszuhebeln? „Das Anliegen von Pulse of Europe ist ja auch ziemlich emotional, da es um nichts Geringeres als Frieden geht. Aber die Leute, die auf unsere Demos kommen, schätzen Fakten sehr“. So sei zumindest sein Eindruck, wenn er sich mit Teilnehmern unterhalte. Wagenknecht ist sich sicher, dass der Erfolg der Demos sich auch auf die Stimmung im Netz auswirken wird: „Wenn man schaut, die Pegida und die AfD die öffentliche Debatte geprägt haben, dann schaffen wir das auch. Und zwar im Positiven“. Am Sonntag steht schon die nächste Demo an. Und die muss Silvan Wagenknecht jetzt erstmal über Slack mit den anderen vorbereiten.


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