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Project Spark von Microsoft: Wo die Spieler Gott sein dürfen

von Oliver Klatt
Project Spark von Microsoft will Videospieler zu Entwicklern machen und den mühsamen Prozess des Gamedesigns in eine unbeschwerte Fingerübung verwandeln. Aber macht es wirklich Spaß, wenn Programmieren so einfach geht?

Mit meinem linken Daumen lasse ich eine Bergkette entstehen, die sich majestätisch gegen den rot glühenden Abendhimmel abhebt. Ich muss ihn dafür nur leicht drehen. Mit der gleichen Bewegung, aber einem anderen Werkzeug zeichne ich einen Flusslauf ins Tal, der sich plätschernd bis zum Meer schlängelt. Dann wähle ich den Naturpinsel aus und fülle die Landschaft mit Leben. Überall dort, wo ich ihn ansetze, sprießen Blumen und Pilze, Bäume und Findlinge aus dem Boden. Blätter rascheln, Zweige knacken, und es rumpelt im Erdreich. Hier und da hüpft ein Eichhörnchen durch das Gestrüpp. Nie war es einfacher, Gott zu spielen.

Die Jagd nach Programmfehlern wird zum Vergnügen statt zur Arbeit.

Die ersten Schritte, um eine Einöde in eine blühende Spielwelt zu verwandeln, sind ein beinahe sinnliches Vergnügen – ein krasser Kontrast zu all den Horrorgeschichten von durchgearbeiteten Nächten und der verzweifelten Jagd auf Programmfehler, die man sonst aus der Spieleentwicklerszene hört. Magie statt Mathematik. Landschaftsgärtnerei statt Leveldesign. „Project Spark erlaubt es den Spielern, innerhalb kürzester Zeit eine lebendige Welt entstehen zu lassen“, sagt Henry Sterchi, Creative Director bei Team Dakota, dem Studio hinter der Schöpfungssimulation für Windows 8.1 und Xbox One. „Ein eigenes Game in Project Spark zu entwerfen, ist kinderleicht, denn die Spielentwicklung selbst wird hier zum Spiel.“ Ein schöner Slogan. Aber trifft er auch zu?

Im „Play“-Modus können sich Anfänger zunächst mit den wichtigsten Grundmechanismen vertraut machen. Das Action-Adventure „Champions Quest“ nimmt ihn mit auf die Reise durch eine Fantasy-Welt, die von Programmfehlern befallen ist. Um die Software-Glitches auszumerzen, muss der Spieler das Terrain umformen und kampfeslustigen Goblins fehlende Code-Schnipsel abluchsen. In „Crossroads“ wiederum erhält er die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, welche Herausforderungen ihn in der Spielwelt erwarten. Das Layout des Levels kann er genau so beeinflussen wie das Verhalten der Gegenspieler und die Quests, die hilfsbedürftige Figuren an ihn herantragen.

Den besten Eindruck davon, was möglich ist und was nicht, erhält man jedoch von den abertausenden Spielen und Spielfragmenten, die andere User in einer einjährigen Testphase auf den Servern von Project Spark abgelegt haben. Gelungene Rollenspiele und Jump’n’Runs sind darunter, eine Pinball-Simulation, in der eine Steinkugel durch eine Fantasielandschaft rollt, und ein perfekt spielbares Tetris im Holzdesign. Aber auch missglückte Hommagen an kulturelle Ikonen wie Pac-Man und Slender Man. Im „Create“-Modus lassen sich alle diese Schöpfungen remixen und erweitern, wobei stets erkennbar bleibt, wer die ursprüngliche Version eines Spiels erstellt hat.

Befriedigender ist es dagegen, bei Null anzufangen und sich an seinem ersten eigenen Game zu versuchen. Hilfestellung bekommt der Spieler dabei durch ein Tutorial, in dem ihm mit etwas onkelhafter Stimme erklärt wird, welche Mittel Project Spark einem an die Hand gibt. Neben Werkzeugen zur Landschaftsgestaltung sind dies vor allem Hunderte von vorgefertigten Objekten und Figuren, die der Nutzer beliebig in der Spielwelt verteilen kann. Im Nu hat man so ein gemütliches Dorf oder einen finsteren Dungeon zusammengesteckt. Jedes platzierte Objekt lässt sich anschließend vor Ort nachbearbeiten. Hat man beispielsweise einen der markant verknubbelten Bäume von Project Spark angewählt, kann man ihn drehen und strecken, klonen und umtopfen, bis genau jener Märchenwald vor einem steht, den man als Spieler gern durchwandern würde.

Ein Baum kann zum anhänglichen Begleiter mutieren und eine harmlose Tür zur tödlichen Falle.

Man kann den Bäumen sogar – genau wie allen anderen Gegenständen und virtuellen Lebensformen auch – ein Gehirn einpflanzen. Oder ein bereits vorhandenes Gehirn einfach umpolen. Hierbei kommt die Programmiersprache Kode ins Spiel, eine Weiterentwicklung des Experimentierbaukastens Kodu Game Lab von Microsoft, mit dem seit 2009 Kinder das Programmieren erlernen können. „Unser Ziel war es, die Sprache von Project Spark so zugänglich wie möglich zu halten“, sagt Chefprogrammierer Soren Nielsen. „Wir haben uns deshalb entschieden, auf kryptische Zeichenfolgen zu verzichten und nur umgangssprachliche Begriffe zu verwenden.“

Alle Programmzeilen bestehen aus einer simplen „WHEN ... DO ...“-Verknüpfung, sind also nach dem Prinzip aufgebaut: „Wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt, tue dies.“ Ein Baum kann zum Beispiel durch den Befehl „Wenn der Spieler in deiner Nähe ist, folge dem Spieler“ zu einem anhänglichen Wegbegleiter umerzogen werden. Und eine harmlos erscheinende Tür mutiert zur tödlichen Falle, wenn ihre ursprüngliche Funktion „Wenn der Spieler den B-Button drückt, öffne dich“ um die Zeile „Wenn der Spieler durch dich hindurch geht, verschlucke ihn“ erweitert wird. „Ein User hat schon ein Game entwickelt, dessen Levelarchitektur Jagd auf den Spieler macht“, erzählt Creative Director Sterchi.

Das Besondere an Kode ist, dass die Sprache nicht geschrieben, sondern aus vorgefertigten Programmkacheln zusammengeklickt wird. Elemente, die nicht funktionieren, stehen gar nicht erst zur Verfügung. Das senkt die Fehlerquote und damit das Frustpotenzial. Der Nachteil: Komplexere Verhaltensweisen in die Figuren und ihre Umwelt hinein zu programmieren, kann unter Umständen langwieriger sein, als ein paar Zeilen Code in ein Editor-Fenster zu tippen. Denn jede logische Verknüpfung und jeder Variablentyp muss mit dem Controller oder der Maus einzeln ausgewählt werden.

Trotz des spielerischen Leveldesigns und einer leicht verständlichen Programmiersprache: Wirklich neu ist das alles nicht. Seit Jahrzehnten wächst die Modding-Community, in der Gamer eigene Variationen ihrer Lieblingsspiele erstellen. Bei PC-Titeln ist das Mitliefern von Level-Editoren und Software-Development-Kits längst Standard. Games wie „Half-Life“ und „Starcraft“, „The Elder Scrolls“ und „Civilization“ sind nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil sie dazu einladen, eigene Maps und Missionen zu gestalten und sie mit anderen Spielern zu teilen. Das reduziert die Entwicklungskosten der Studios, da sie weniger eigene Inhalte produzieren müssen – und erhöht zugleich die Langlebigkeit ihrer Spiele.

Auch für Konsolen gibt es Titel wie „Halo“, „Trackmania“ oder „Far Cry 2“, die es erlauben, eigene Level zu bauen. Der wirkliche Durchbruch kam 2008 mit Sonys „Little Big Planet“ für die Playstation 3. Das Jump’n’Run war mit seiner Basteloptik und einer zappeligen Stoffpuppe namens Sackboy als Hauptfigur von Anfang an darauf ausgerichtet, das kreative Potenzial seiner Spieler hervorzukitzeln. Aus virtuellen Materialien wie Sperrholz, Küchenschwämmen und Pappkartons konnte man kunterbunte Hüpfparcours zusammenschustern und der Welt präsentieren. Unter den Millionen Kreationen, die bisher in „Little Big Planet“ entstanden sind, finden sich inzwischen auch Spaceshooter, Animationsfilme und kinetische Kunstinstallationen.

Astronauten und Asteroiden senken die Klischeedichte leider nicht im Geringsten.

Zweifellos ist Project Spark als Microsofts Antwort auf den Playstation-Erfolg von „Little Big Planet“ zu verstehen. Doch wo Sony auf kreatives Chaos und den inspirierenden Charme einer Do-It-Yourself-Ästhetik setzt, bleibt Project Spark den Konventionen der Videospielgeschichte verhaftet. Es ist bezeichnend, wie viele Hommagen an Fantasy-Games wie „Zelda“, „Fable“ oder „Skyrim“ die User bisher erstellt haben, weil Project Spark mit seinen grünen Wiesen und grimmigen Goblins sie an diese Spiele erinnert. Zwar kann man sich auch Sci-Fi-Bausteine wie Astronauten und Asteroiden für die eigene Spielwelt hinzu kaufen, aber das bedeutet nur den Wechsel von einem altbekannten Videospieluniversum ins nächste – und senkt die Klischeedichte nicht im Geringsten.

Die eher konservative Ausrichtung von Project Spark hat jedoch auch Vorteile. Vor allem jüngere Gamer dürfte es begeistern, wie schnell man einen Spielabschnitt samt Missionen und Gegenspielern zusammengesteckt hat, der sich wirklich wie ein Videospiel anfühlt. Die ersten Gamedesign-Gehversuche in „Little Big Planet“ bereiten zwar viel Vergnügen, bringen aber eher abstruse Konstruktionen als Videospiellevel hervor. Die Erfolgsschwelle liegt höher. Im Unterschied zu „Little Big Planet“ eröffnet Project Spark den Usern zudem eine weite, in allen Himmelsrichtungen erkundbare 3D-Welt. Das allein bietet einen unbestreitbaren Reiz, erhält man dadurch doch den Eindruck, den Fuß in ein selbst gestaltetes Paralleluniversum zu setzen.

Kinder und Jugendliche werden den verletzungssicher abgerundeten Fantasy-Look lieben.

Und dann wären da noch die Möglichkeiten der Kinect: „Die Version für die Xbox One erlaubt es, Geräusche, Stimmen und sogar Bewegungsabläufe mithilfe der Kinect-Kamera aufzuzeichnen und in das Spiel zu übertragen“, sagt Creative Director Sterchi. Das Wohnzimmer wird so zum Motion-Capture-Studio. Dennoch bleibt der eigene Gestaltungsspielraum arg eingeschränkt. Denn eigene Texturen und 3D-Modelle lassen sich nicht importieren. Und ob die von vielen Gamern geschmähte Bewegungssteurung Kinect groß zum Einsatz kommen wird, bleibt fraglich.

Für Kinder und Jugendliche, die sich mit den Grundzügen des Leveldesigns und der Videospielprogrammierung vertraut machen wollen, ist Project Spark mit seinem verletzungssicher abgerundeten Fantasy-Look und dem einfach zu erlernenden Kode bestens geeignet. Experimentierfreudigere Naturen warten dagegen auf „Little Big Planet 3“, das am 26. November erscheint; Voxelfetischisten verbleiben in „Minecraft“; und jeder, der es ernst meint mit dem Erstellen eines eigenen Videospiels, hält sich an bewährte Programme wie Gamemaker, RPG Maker oder Unity. Die machen mehr Arbeit, bieten aber auch ungleich mehr Kontrolle darüber, was später auf dem Bildschirm erscheint.

Project Spark ist als Gratis-Download für Windows 8.1 und die Xbox One zu haben. Inhalte wie zusätzliche Texturen und Objekte kosten Ingame-Credits, die durch fleißiges Bauen und Spielen – oder gegen Bezahlung – erworben werden können. 

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