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Marios neue Mütze ist besser als jedes Waschbär-Kostüm

von GQ
Super Mario Odyssey ist die längst überfällige Rückkehr zu einem der besten Mario-Spiele aller Zeiten. Fans werden sich sofort heimisch fühlen und können dennoch hinter jeder Ecke etwas Neues entdecken. Das Abenteuer ist dabei nie mehr als einen Mützenwurf entfernt.

In Super Mario Odyssey gibt es einen Moment, in dem ich gemerkt habe, dass es sich nicht um ein typisches Nintendo-Spiel handelt. Es ist nicht der Augenblick, als ich mich an das Werfen von Marios Mütze gewöhnt habe. Es hat auch nichts mit meinem ersten Streifzug durch die detaillierte Spielwelt zu tun, oder damit, wie der beliebte Klempner durch New Donk City läuft, umgeben von Geschäftsleuten in Anzügen und Fedoras. Nein – es ist, als ich zum ersten Mal einen Blick auf Marios Nippel erhasche. Fasziniert pausiere ich das Spiel und zoome näher heran, um genauer hinzusehen.

Mario ist der typische Jedermann. Alles andere als perfekt, eher schwabbelig und dennoch prachtvoll – im Prinzip wie jeder von uns. In diesem Augenblick des Stillstands – am Strand rennend, leicht in die Kurve geneigt, mit den nackten Füßen Sand hinter sich aufwirbelnd – trägt er nichts außer gepunkteten Badeshorts und seiner ikonischen Mütze. Sein Schnurrbart, der sich unter seiner Knollennase leicht in Richtung seiner strahlend blauen Augen hochzwirbelt, flattert im Wind. Und dort, auf seiner unbehaarten Brust, sehen wir zwei Brustwarzen.

Aber lassen wir die Nippel mal beiseite. Das Geniale an den Mario-Spielen war schon immer ihr Einfallsreichtum. Als Vorreiter des Jump-and-Run-Genres hat die Serie sich stets bemüht, sich selbst neu zu erfinden. Das Entscheidende an Super Mario Odyssey sind jedoch nicht die Veränderungen im Vergleich zu seinen Vorgängern, sondern vielmehr, wie jeder Funken Potenzial ausgeschöpft wird.

Es ist ein riesiges Spiel. Neugierde und Forscherdrang werden belohnt. Was steckt hinter dem Poster? Was ist da um die Ecke? Ich schwenke die Kamera herum, und siehe da: ein Geheimgang. Die Geheimnisse der Spielwelt zu finden, ist beinahe genauso herausfordernd wie die Rätsel, die es zu lösen gilt. Ich werfe Cappy, Marios glubschäugige Mütze, auf einen Gumba – und werde zu diesem Gumba. Werfe ich Cappy auf eine Rakete, dann bin ich die Rakete. Wer schon immer mal ein Fisch sein wollte: Cappy macht’s möglich. Marios Mütze ist die größte spielerische Neuerung, seit Mario sich 1988 in ein Waschbär-Kostüm gezwängt hat.

Die Mütze ist die größte Neuerung, seit Mario sich 1988 in ein Waschbär-Kostüm gezwängt hat.

Die letzte Preview-Version des Spiels, die Nintendo vor dem offiziellen Erscheinungstermin am 27. Oktober gezeigt hat, konzentrierte sich auf drei Gebiete: Hutland, Schlemmerland und Küstenland. Seit ​Super Mario Sunshine für den GameCube im Jahr 2002 gab es kein Open-World-Spiel im Mario-Universum. Nach den abgeschlossenen Levels von Super Mario Galaxy und New Super Mario Bros. fühlt es sich großartig an, wieder in einer offenen Mario-Welt herumzuhüpfen.

Auf den ersten Blick sieht alles sehr vertraut aus, doch Odyssey geht schon bald dazu über, mit der klassischen Mario-Formel zu brechen. Nur ein Beispiel: Ihr werdet vergleichsweise wenig Zeit damit verbringen, als Mario durch das Spiel zu hüpfen.

In Hutland werfe ich Cappy auf einen Frosch, um auf höhergelegene Plattformen springen zu können. In Schlemmerland springe ich als schleimiger Feuerball durch die Gegend. Und in Küstenland verwandle ich mich in einen violetten Oktopuss, um ein neues Gebiet zu erreichen. Die große Herausforderung in Super Mario Odyssey besteht nicht darin herauszufinden, wie man einen Gegner besiegen kann. Vielmehr geht es darum, den richtigen Gegner zu finden, um das nächste Rätsel zu lösen.

Diese Mechanik zwingt mich dazu, Marios Umgebung immer wieder auf neue Weise zu betrachten. In Blubberstrand, einem der Gebiete von Küstenland, werde ich zu einem Leuchtturm geschickt. Da keine Treppe auf seine Spitze führt, muss ich herausfinden, welcher Gegner mir dabei helfen kann.

Die Mütze ist eine simple Spielmechanik, die jedoch durch die schiere Vielfalt an Gegnern nicht langweilig wird. Angefangen beim klassischen Kugelwilli und Gumba bis hin zu bisher noch unbenannten Kreationen – Super Mario Odyssey sorgt für Spaß, indem es sich immer wieder verändert. So wie Mario sein Outfit verändern muss, um Türen zu neuen Gebieten zu öffnen.

Mit klassischen Jump-and-Run-Einlagen lässt Super Mario Odyssey nostalgische Gefühle aufleben. In Hutland bekämpfen wir zu Beginn die sogenannten Broodals: Bowsers hochzeitsplanende Kaninchen. Das erste Hutland-Gebiet besteht dabei aus sich wiederholenden Hüpf- und Stampf-Einlagen. Es handelt sich um eine zwei Jahrzehnte erprobte Formel, und Nintendo beherrscht sie im Schlaf. Dennoch doch gibt es zahlreiche Momente, in denen Nintendo sichtlich Spaß damit hat, von seiner eigenen Formel abzuweichen.

Open-World-Titel haben häufig das Problem, dass sie den Spieler entweder zu wenig oder zu stark an die Hand nehmen. Super Mario Odyssey hat diese beiden Extreme genau richtig ausbalanciert: Obwohl die Welten weitläufig sind, werden sie geschickt in Mini-Puzzles und Nebenaufgaben zerlegt. Wer immer direkt zum Hauptziel stürmt, dem wird ein Großteil des Spiels entgehen. Den Anreiz fürs Erkunden liefern Münzen und andere Gegenstände, die in der Spielwelt verstreut sind. Wer beispielsweise genug Power Moons sammelt, wird mit einem kleinen Preis belohnt.

Es geht jedoch um viel mehr, als das hundertprozentige Erforschen der Spielwelt. Wer sich etwa von einem Volleyball ablenken lässt, verbringt schnell einen ganzen Abend mit ihm. Nur ein plötzlich vorbeilaufender Hund kann einen dann aus diesem Moment reißen. Weil einen die Frage nicht losläßt: Was passiert wohl, wenn ich Cappy auf ihn werfe?


Womit ich wieder auf Marios Brustwarzen zurückkomme. Neben den Spielmechaniken rund um Cappy bietet Super Mario Odyssey nämlich noch etwas Neues: Fotografie. Drückt man das Steuerkreuz des linken Joy-Con Controllers nach unten, friert das Spiel ein. Es kann gezoomt, die Kamera geschwenkt, Filter verwendet und die Bilder anschließend geteilt werden.

Mit Fotos in Videospielen experimentiert Nintendo bereits seit Pokémon Snap auf dem N64 im Jahr 1999. Zuletzt tauchte die Spielmechanik in The Legend of Zelda: Breath of the Wild auf.

Das Spiel kehrt zur Formel von Super Mario Sunshine zurück.

Auch bei Super Mario Odyssey hat sich im Grunde nicht viel verändert. Und ich stelle mir schnell die Frage: Bekomme ich den perfekten Schnappschuss hin, wie Mario Cappy in Richtung Kamera wirft? Oder von Mario im Sprung mit blanker Brust, wie er triumphierend die Faust in den Himmel reckt? Mit der digitalen Schnappschuss-Funktion und ein paar Instagram-artigen Filtern werden Marios Abenteuer so zu Bildern, die sich in sozialen Netzwerken teilen lassen. Der eigene Spielfortschritt tritt in den Hintergrund.

Super Mario Sunshine bleibt eines der am meisten unterschätzten Nintendo-Spiele. Nach 15 Jahren stellt Super Mario Odyssey eine längst überfällige Rückkehr zu dieser Formel dar. Die Welten sind riesig und die grafischen Details sind hübsch. Aber vor allem steckt dieses Spiel voller Herz und Seele, voller Humor und fröhlicher Glückseligkeit. Es ist eine Welt, in der neue Abenteuer immer nur einen Mützenwurf entfernt liegen.

WIRED.uk

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.uk
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