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Opfert die Bundesregierung den Datenschutz? (UPDATE)

von Max Biederbeck
Alle diskutieren dieser Tage über Facebooks Verantwortung bei der Wahl Donald Trumps, über die Vorladung Edward Snowdens vor den NSA-Untersuchungsausschuss in Berlin und über digitale Bildung. Im Hintergrund aber scheint etwas anderes, sehr Grundlegendes falschzulaufen: Die Bundesregierung bezieht beim Thema Digitalwirtschaft eine gefährliche Stellung. Opfert sie dabei den Datenschutz?

Update 25. November 2016: Dieser Text wurde durch den Leak des Trade in Services Agreement (TiSA) und dessen Gefahr für den Datenschutz geupdatet.

Der Wunsch des deutschen Telekom-Chefs an Google klingt wie ein Befehl. „Das will ich Sundar“, posaunt Timotheus Höttges auf der Bühne und wedelt mit dem Zeigefinger. „Wenn ich etwas suche, will ich nur die eine passende Antwort!“ Sundar Pichai, der CEO von Google, lächelt, hört zu, wippt sachte auf seinen Fußballen und antwortet dann wie ein Vater seinem pubertierendem Sohn: „Ich denke, das ist nur ein Modus des Menschen, Tim. Beim anderen wollen die Leute Neues entdecken.“

Der betont kumpelhafte Schlagabtausch zwischen Telekom-Vorstand und Google-CEO ist Teil einer Podiumsdiskussion und der Höhepunkt eines langen Morgens. Seit knapp zwei Stunden kämpft sich Pichai durch Bewunderer aus der deutschen Wirtschaft, durch Politiker und Journalisten. Viele sind nur auf den IT-Gipfel 2016 in Saarbrücken gekommen, um ihn zu sehen. Erst führte die Ministerpräsidentin ihn herum, dann stürmten der Reihe nach die Bundesminister Wanka, Dobrindt und Gabriel auf ihn ein.

Am Ende wollte sogar sie Kanzlerin mit Pichai sprechen. Morgens hat Angela Merkel noch Barack Obama in Berlin getroffen, Mittags tritt sie auf dem IT-Gipfel im Saarland auf, Abends geht es wieder zurück zu Obama. Für den Schulterschluss mit der digitalen Wirtschaftselite scheuen Berlins Politiker offenbar keine Mühen. Das lässt tief blicken.

Es sind drei Fraktionen, die da vergangene Woche in Saarbrücken zusammengekommen sind. Die deutschen Unternehmen, die gerade ins viel beschworene Neuland aufbrechen. Vertreter aus dem Silicon Valley, die in Europa gern ungehindert ihren Geschäften nachgehen würden. Und die deutsche Bundesregierung, deren Rolle irgendwo zwischen den Interessen der Wähler und denen der Wirtschaft liegt. Alle haben sie eigene Anliegen, aber sie verstehen sich blendend.

Das Gesetz soll Datenhandel verhindern, könnte aber das Gegenteil bewirken

Nur eine vierte Gruppe fehlt: die Verbraucher- und Datenschützer – und das nicht nur auf dem IT-Gipfel. Ihre Sichtweise taucht auch in der neuen Gesetzesvorlage zum Datenschutz von Bundesinnenminister Thomas De Maizière nicht auf, die am Mittwoch bekannt wurde. Diese soll eigentlich Datenhandel verhindern, könnte aber das Gegenteil bewirken.

Aber der Reihe nach. Dass der Google-Chef nach Saarbrücken kam, gleicht einer kleinen Sensation: Der Kopf des vielleicht wichtigsten Unternehmens der westlichen Welt reist ins Saarland, um bei der Vorstellung eines Mini-Computers für Grundschüler dabei zu sein? Klar, Pichais Firma hat knapp eine halbe Millionen Dollar investiert, dass er aber höchspersönlich vorbeischaut, das ist doch ungewöhnlich. „Er ist hier ein frisches Gesicht, die Leute lieben ihn“, erklärt Kent Walker, Senior Vice President von Google, gegenüber WIRED.

Pichai schlug sich wacker. Landeministerin Kramp Karrenbauer erklärte er bei einem Kaffee: „Der richtige Weg zur Innovation ist ein koordinierter Push durchs ganze Land.“ Gabriel und Wanka lobte er mit den Worten: „Deutschland ist neben Indien vielleicht der einzige Ort, an dem die Regierung so auf das Thema Technologie fixiert ist.“ Am Schluss aber kam dann doch seine Warnung an Deutschland, und sie klang wie ein Befehl „Regeln sind wichtig“, sagte Pichai auf der Bühne mit Blick auf die Gesetze hier und in Europa. „Aber sie bergen auch das Risiko, dass man sich ausbremst.“

Googles Message: Wir können ein gewinnbringender Partner für euch sein, wenn ihr uns entgegenkommt

Google hat rechtliche Probleme mit der EU, das ist kein Geheimnis. Immer wieder wirft die Europäische Kommission dem Unternehmen den Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung vor. Dazu kommt der Streit über den Umgang mit Nutzerdaten, die EU-Datenschutzgrundverordnung soll Google deshalb an die Leine nehmen. Das Unternehmen aus dem Silicon Valley antwortet mit Politik. Das zeigen der persönliche Besuch des CEOs, die Investitionen in die deutsche Startup-Szene und in Bildungsprogramme. Die Message: Wir können ein gewinnbringender Partner für euch sein, wenn ihr uns entgegenkommt.

Sie ist ist der deutschen Wirtschaft nicht verborgen geblieben, Fraktion Nummer zwei. Vielleicht gibt sich Telekom-Vorstand Höttges auch deshalb so kumpelhaft, wenn er mit Pichai spricht. Vielleicht betont Thomas Dirks, Präsident des Bitkom e.V, deshalb: „Wenn wir alles richtig machen, sind wir in zehn Jahren bei IoT und Wirtschaft 4.0.“ Die deutschen Unternehmen, allen voran der Mittelstand, fürchten die Digitalisierung und haben sich gleichzeitig auf den Weg gemacht, sich der Aufgabe anzunehmen. (Lest dazu die große Deutschlandreise in der am 6. Dezember erscheinenden Printausgabe von WIRED Germany). Dazu brauchen sie beim Thema Daten aber gesetzliche Freiräume, und dazu brauchen sie Partner im Silicon Valley – die wiederum gern frei von staatlichen Regeln arbeiten würden.

Bleibt Fraktion Nummer drei: die Regierung. Dazu gehört Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der neuerdings immer wieder von Datensouveränität spricht, nicht mehr von Datenschutz. Dazu gehört Bundeskanzlerin Angela Merkel, die betont, Deutschland habe „eine gute Ausgangssituation“, sei aber auch „weit weg davon, Weltspitze zu sein“. Die Politik müsse die Gesetze in Zukunft schneller an den digitalen Fortschritt anpassen. Vor allem aber dürfe der Staat bei innovativen Unternehmen und Projekten nicht zu stark dazwischenfunken. Das werden sowohl Google als auch die deutschen Unternehmen gerne hören.

Der Wunsch, digitalen Fortschritt nicht durch Regeln zu bremsen, er ist nicht nur auf dem IT-Gipfel in Saarbrücken allgegenwertig. Auch die deutsche Umsetzung der europäischen Datenschutzgrundverordnung macht ihn deutlich. Bundesinnenminister Thomas de Maizière schränkt in seiner neuen Gesetzesvorlage die Kontrollrechte von Datenschutzbehörden und Bürgern stark ein, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Ärzte und Geheimnisträger sollen nicht mehr darauf geprüft werden können, ob sie etwa Patientendaten weitergegeben haben – auch nicht private Firmen, sobald Informationen ihre „Geschäftszwecke erheblich gefährden“. Verbraucherschützer in Bund und Ländern kritisieren den Entwurf: Die EU-Verordnung solle Datenhandel bremsen, genau das aber passiere nicht.

Dazu kommt das neue Trade in Services Agreement (TiSA), das Greenpeace zugespielt wurde. Die Regelung soll den internationalen Handel mit Dienstleistungen vereinfachen, alle 28 EU-Staaten sitzen mit am Verhandlungstisch. Die veröffentlichen Dokumente zeigen aber, wie das Abkommen den Datenschutz in Europa zugunsten guter Handelsbeziehungen aushebelt. Es erlaubt Staaten zwar eigene Bestimmungen zum Datenschutz, diese dürfen aber keine „nicht zu rechtfertigende Diskriminierung“ gegenüber anderen Staaten darstellen. So dürften Daten, die eigentlich in der EU gespeichert werden müssen, in Zukunft wieder auf ungeschützten Servern weltweit liegen. Weiterhin befürchten Kritiker das Ende der Netzneutralität durch das Abkommen.

Es scheint also, als seien sich da drei einig: Google will machen und stellt Kooperationen in Aussicht, auch deutsche Firmen wollen gerne machen und würden die Digitalisierung am liebsten so gut hinbekommen, wie das Valley. Und die deutsche Regierung würde sie gerne machen lassen, es wäre ein Erfolg für die Digitale Agenda und das wirtschaftliche Rückgrat der Bundesrepublik – sozusagen eine digitale Laissez-Faire-Haltung, die so gar nicht zu passen scheint zu Heiko Maas' Bemühungen, Facebook beim Thema Hassrede in die Pflicht zu nehmen.

Eine digitale Laissez-Faire-Haltung, die so gar nicht zu passen scheint zu den Bemühungen, Facebook beim Thema Hassrede in die Pflicht zu nehmen

Fraktion vier wurde bei all der wirtschaftlichen Planung der Praktikabilität geopfert: die Verbraucher- und Datenschützer, die Bürgerrechtler. Es scheint der Bundesregierung wichtiger zu sein, die deutsche Wirtschaft auf digitalen Zack zu bringen, als ihre Bürger vor dem Datenhunger der Unternehmen zu schützen.

Damit wird die Große Koalition die Bürger noch weiter verunsichern. Es ist den meisten Menschen jetzt schon nicht mehr klar, was online geht und was nicht. Zum Beispiel nachdem der NDR für eine Recherche binnen weniger Stunden tausende von Datensätzen einfach online eingekauft hat, in denen Millionen von Bankverbindungen und Adressen enthalten sind. Von Datensouveränität statt von Datenschutz zu sprechen, erscheint da fast zynisch – als bräuchte man in einer gefährlichen Gegend keine Polizei, weil die Leute ja die besonders dunklen Straßen sowieso kennen sollten. Nein, sowohl der deutschen Wirtschaft als auch der Politik wäre vor allem dann geholfen, wenn beide Begriffe koexistieren. Und wenn alle vier Fraktionen am Verhandlungstisch sitzen, nur dann kommen sinnvolle langfristige Lösungen heraus.

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