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Akten im Schredder: Was vom NSA-Untersuchungsausschuss bleibt

von Sonja Peteranderl
Der NSA-Untersuchungsausschuss sollte den Überwachungsskandal aufklären. Jetzt wird er abgewickelt, Akten werden zum Teil vernichtet – obwohl vieles unklar ist. Zumal sich die Ausschussmitglieder auf kein gemeinsames Fazit einigen konnten, so zerstritten waren sie.

Es bleibt nicht viel übrig vom NSA-Untersuchungsausschuss (NSAUA): Anne Roth ist gerade beim Packen, tonnenweise muss doppelseitig bedrucktes Papier aus den Ordnern gerissen, in Riesenkisten gepackt werden – die dann zum Schreddern abgeholt werden. „Allein das Ausheften des Papiers beschäftigt uns einige Tage“, sagt Roth im Telefoninterview zu WIRED. Sie war als Referentin für die Partei Die LINKE im Untersuchungsausschuss. „Die Schreddermaschinen laufen jetzt schon und das tun sie noch ein paar Tage.“ Die Akten, die als „NFD“ (Nur für den Dienstgebrauch) kategorisiert sind, werden vernichtet – geheime Akten werden an die jeweiligen Ministerien und Behörden zurückgegeben.

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Die Aufräumaktion markiert das Ende des weltweit einzigartigen Untersuchungsausschusses, der nach den Snowden-Enthüllungen ab März 2014 aufklären sollte, wie ausländische Geheimdienste in Deutschland spionieren, der aber auch die Überwachungsaktivitäten der deutschen Geheimdienste und deren Kooperation mit den US-Behörden analysieren sollte. Dreieinhalb Jahre später hat der Ausschuss die Bilanz veröffentlicht: einen 1902 Seiten umfassenden Bericht, in dem auch ein Sondervotum der Oppositionsfraktionen enthalten ist, sowie einige Anlagen.

Dass es ein doppeltes Fazit gibt, offenbart die Zerstrittenheit der Ausschussmitglieder, in dem Repräsentanten aller Parteien zusammenarbeiten sollten. Sie sind sich nicht einmal bei einer grundlegenden Erkenntnis einig: Ob auch in Deutschland eine anlasslose Massenüberwachung durch Geheimdienste stattgefunden hat.

Die Ausschussmitglieder der Koalitionsparteien SPD und CDU/CSU stellen dies bis heute in Frage, die Oppositionsparteien Die Grüne und die LINKE prangern dagegen die Massenüberwachung durch deutsche Geheimdienste sowie Wirtschaftsspionage der NSA in Deutschland an – und dass nicht nur der Bundesnachrichtendienst selbst, sondern auch das Kanzleramt bei der Kontrolle versagt hat. „Die große Koalition hatte im Ausschuss die Mehrheit, und hat verzweifelt versucht, das Gegenteil zu behaupten, was sie durch einen mehrheitlich verfälschten Bericht untermauert – deswegen haben wir ein eigenes Votum ausgearbeitet“, sagt Anne Roth.

Dieser Ausschuss hat mit Koalitionsmehrheit beschlossen, dass die Akten vernichtet werden. Ich finde das sehr ärgerlich

Anne Roth

Dass selbst die „Nur für den Dienstgebrauch“-Akten jetzt nach der Abwicklung des Ausschusses geschreddert werden müssen, ist ein normaler Vorgang – die Entscheidung hätte aber auch anders ausfallen können. „Dieser Ausschuss hat mit Koalitionsmehrheit beschlossen, dass die Akten vernichtet werden“, so Roth. „Ich finde das sehr ärgerlich.“

Ohne die Akten fehlt Wissenschaftlern, Historikern oder Journalisten zukünftig der Zugang zu vielen Originalquellen des Berichts. Auch die Akten, auf die sich die Opposition in ihrem Sondervotum bezieht, sind nicht einsehbar. „Die wenigen Anlagen, die jetzt öffentlich erlaubt sind, erwecken vor allem den Anschein, die Bundesregierung habe fleißig aufgeklärt“, kritisiert Anne Roth.

Das Tauziehen um eine Aussage des wichtigsten Zeugen, NSA-Whistleblower Edward Snowden, vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin hält Roth für „exemplarisch für den ganzen Prozess“. So wurden zwar die amerikanischen Whistleblower und Ex-NSA-Mitarbeiter Thomas Drake und Bill Binney als Zeugen angehört, die Bundesregierung lehnte aber eine Vernehmung von Snowden in Berlin ab, weil sie nicht in das Dilemma kommen wollte, Snowden Asyl in Deutschland zu gewähren – und damit die Beziehung zu den USA zu belasten. Der Whistleblower bezeichnet eine angebliche Forderung seinerseits nach Asyl im aktuellen Spiegel-Interview als „Lüge“.

Er habe nicht nur als Systemadministrator gearbeitet, beantwortete Snowden zudem die Frage, was seine Aussage dem Ausschuss gebracht hätte: „In meiner letzten Position auf Hawaii habe ich XKeyscore den ganzen Tag genutzt, um chinesische Hacker zu tracken“, so Snowden. ,,XKeyscore war das Programm, das die Deutschen von der NSA bekommen und auch eingesetzt haben.“ Dass Snowdens Aussage blockiert wurde, kritisiert das Sondervotum als „beachtlichen Spagat“: „Der Zeuge Edward Snowden wurde direkt nach der Einsetzung des Ausschusses einstimmig beschlossen. Die restliche Zeit verbrachten sie (die Vertreter der Mehrheit) gemeinsam mit der Bundesregierung damit, seine Ladung für eine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss zu verhindern.“

Verhindert wurde auch die Herausgabe der sogenannten Selektorenliste an den Untersuchungsausschuss – eine Liste mit Suchbegriffen wie Mailadressen und Telefonnummern, die die NSA dem BND zur Überwachung übermittelt hatte. Nur ein Sonderermittler hatte Einblick, der aber umstritten war – ein Teil seines Berichtes wurde auch als Anlage zum Abschlussbericht veröffentlicht. Wesentliche Teile sind aber als geheim eingestuft und nicht öffentlich.

So hat der Untersuchungsausschuss einerseits zahlreiche wichtige Details zur Überwachung in Deutschland und zur deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit bei der Spionage öffentlich gemacht – von einer umfassenden Aufklärung des Skandals kann andererseits keine Rede sein.

Dem Ausschuss gelang es nicht, bis in die Gegenwart vorzudringen, die aktuellen Überwachungsaktivitäten der Geheimdienste zu untersuchen. „In dem Ausschuss konnten wir nur zwei alte Operationen untersuchen, aus dem Zeitraum 2004 bis 2008 und das ist 10 Jahre her, die technischen Möglichkeiten haben sich verändert – es gäbe noch viel Handlungsbedarf“, sagt Anne Roth. Stattdessen seien die Geheimdienste gestärkt aus dem Skandal hervorgegangen: „Im Nachhinein wird alles schöngeredet von der Regierung und teilweise durch das BND-Gesetz im Nachhinein legalisiert.“

Die Tür des Schweigens schließt sich leise knarzend

Anne Roth

Was also bleibt als Erbe des Untersuchungsausschusses? „Ich finde es trotzdem wichtig, dass es gemacht wurde, weil öffentlich wurde, wie die Geheimdienste arbeiten und wie die Überwachung technisch stattfindet – und auch, damit sie merken, dass die Öffentlichkeit darauf schaut“, sagt Anne Roth.

Von der Akten-Aufräumaktion hat sie auf Twitter ein Foto von einem halbleeren Aktenschrank gepostet. „Und jetzt sind sie alle wieder weg, die geheimen Akten zum #NSAUA“, schreibt sie dazu. „Die Tür des Schweigens schließt sich leise knarzend.“

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