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Nilz on Moviez / Zurück in die Eighties mit KGB und Dr. Dre

von Nilz Bokelberg
Unser Film- und Serienexperte Nilz Bokelberg erinnert sich diese Woche an seine Jugend zurück: Mit dem Film „Straight Outta Compton“ und der deutschen Serie-Überraschung „Deutschland 83“, die leider zuerst in den USA anläuft.

Das Schlimme daran, älter zu werden, sind nicht die zunehmenden Zipperlein oder die größere Party-Müdigkeit. Sondern sich dabei zu erwischen, zu denken, dass früher alles viel besser war. Diese Verklärung ist natürlich Quatsch. Wenn früher alles irgendwas war, dann anders. Das gilt besonders für Musik. Eine jüngst veröffentlichte Studie — keine Ahnung wie seriös die war [Anm. d. Red.: Nilz darf das schreiben] — hat dann auch ergeben, dass man sich ab 30 Jahren schwerer damit tut, neue Musik wahrzunehmen und zu entdecken. So ungern ich das auch tue: Ich befürchte, zugeben zu müssen, dass da was dran ist.

Für all uns Nostalgiker ist aber jetzt Kinozeit. Denn es gibt zwar auch heutzutage noch unfassbar grossartige Rap-Acts, aber nie wieder wird es so sein wie früher. Damals, als man staunend im Kinderzimmer vor der Stereoanlage saß, die Platte auflegte und nicht auf Anhieb alles verstand, aber die folgenden Wochen damit verbrachte, mit dem Wörterbuch neben dem Plattenspieler zu sitzen. So spürte man ab der ersten Sekunde die Wut, die Power, den Knall der von der Platte „Straight Outta Compton“ von N.W.A. ausging. Man wusste als kleines Bildungsbürgertum-Kind in Westdeutschland quasi nichts über die Probleme mit Rassismus und Polizeigewalt in L.A., doch diese Platte hat ein wenig davon erzählt. Und einen dabei von der Power des Raps überzeugt.

Die Geschichte dieser Platte, dieser Band, ist jetzt im Kino zu sehen, erzählt aus Sicht der damaligen Protagonisten. Zumindest ein Paar: Dr. Dre, mittlerweile Beat-Legende und Kopfhörer-Milliardär, und Ice Cube, nach wie vor Rapper, aber auch Businessman und Schauspieler, haben den Film über „The Worlds Most Dangerous Group“ mitproduziert.

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Die Geschichte ist der klassische Aufstieg und Fall einer jeden Band, wenn es um Kohle und Ego geht — was ja früher oder später immer der Fall ist. Eazy-E, eigentlich ein kleiner Dealer in Compton, spürt ein Momentum und setzt sein Geld auf eine Rap-Karriere. Als seine Kumpels mit einsteigen, geht der Plan auf: N.W.A. sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Aber schon bald gehen die ersten Probleme los. Der Manager der Band spielt die Mitglieder gegeneinander aus, Ice Cube fühlt sich am meisten übervorteilt und verlässt die Band. Und die neuen Geschäftspartner von Dre sind auch nicht gerade vertrauenerweckend. Es ist ein Chaos der Eitelkeiten und während die Band zerfällt, passiert dasselbe mit der Gesellschaft. Ausgelöst durch ein Video, das zeigt, wie eine Gruppe von Polizisten Rodney King brutal verprügelt. Ist N.W.A. Spiegel der Gesellschaft oder ein Produkt derselben?

„Straight Outta Compton“ ist Legendenbildung par excellence. Man kann als Zuschauer dabei sein, wenn Rap-Geschichte geschrieben wird. Ärgert sich über die Gier mancher Protagonisten und staunt oder lacht über manche Anekdoten. Es gibt einen dramatischen Höhepunkt, der zu Tränen rührt und beim Abspann bekommt man gezeigt, wie sich die Zeit nach der Band für die Protagonisten gelohnt hat. Wenn man die Platte oder die Band oder generell Rap mag, dann ist dieser Film mit Sicherheit sehenswert.

Doch es gibt ein Aber. Und zwar ein dickes, fettes, sehr großes.

Die Geschichte wird in dem Film so sehr verklärt, dass man nicht mehr damit argumentieren kann, dass ein jeder sich ein bisschen besser darstellen will. Wenn man sieht, wie Dr.Dre hier dargestellt wird, dann wundert man sich etwas. Schon während man den Film anschaut. Auch wenn man nichts von der Geschichte weiß.

Denn Dre scheint so etwas wie der Heilige der Band zu sein. Nie sagt er etwas schlimmes, nie tut er etwas schlimmes. Er will immer nur Liebe und Frieden. Nur sein direktes Umfeld ist immer schlecht und böse. Er ist der Beatproduzent, der sich für Musik interessiert, der große Bruder, der immer für seinen kleinen Bruder da sein will. So wirkt er im Film. Ein Beispiel: In einer Szene, die nach einem Konzert spielt und bei der die Jungs zwei Typen aus einem Hotel vertreiben, indem sie ihnen mit ihrem gigantischen Waffenarsenal Angst einjagen, ist Dre der einzige, der keine Waffe in der Hand hält. Und so wird er den ganzen Film über inszeniert.

 

Universal Pictures

Bei dem Umfeld, in dem sich alle Protagonisten bewegen, scheint das einem dann irgendwann doch sehr Mutter-Theresa-mäßig. Insbesondere bei einer Szene, in der Dre eine Party seines Geschäftspartners Suge Knight im Vorraum seines Studios beendet.

Es hat auch nicht lange gedauert, dass sich andere Stimmen zu Wort meldeten. Am prominentesten davon ist wohl Dee Barnes: Barnes war eine Freundin der Band und hat dann ein sehr populäres Rap-Magazin moderiert. Sie wurde nach eigenen Angaben wergen eines kritischen Beitrags von Dre auf einer Party angegriffen. Körperlich. Ihrer Aussage nach sehr heftig und brutal.

Und ein paar andere Frauen haben zu der Zeit wohl auch unter Dres Wutausbrüchen leiden müssen. Nicht unbedingt das Bild von Mamas Bestem, das er von sich im Film zeichnen will. Deshalb sind seine Wutausbrüche einfach komplett ausgeblendet worden. Und auch wenn Dre sich wohl mittlerweile öffentlich dafür entschuldigt hat, was er damals getan hat, wirft es doch ein schwieriges Bild auf die Ehrlichkeit des Films.

Auch die beiden nicht so prominenten Mitglieder der Band, MC Ren und DJ Yella, werden eher zu Randfiguren. Was daran liegen könnte, dass sie den Film nicht mitproduziert haben. Und Eazy-E, dessen Witwe ebenfalls als Produzentin beteiligt war, scheint als einziger charakterliche Schwächen zu besitzen. Da drängt sich der Gedanke auf, dass nur deshalb so ist, weil er sich als Einziger nicht dagegen wehren kann. Er starb 1995.

„Straight Outta Compton“ ist trotzdem geil. Die Musik, die Zeit, das Brennen in der Luft — das findet man alles im Film wieder. Das macht ihn so aufregend. Hätten die Protagonisten nur mehr schmerzliche Ehrlichkeit zugelassen, statt einzig auf die eigene Coolness zu achten, wäre das Ganze ein Masterpiece geworden. So ist es halt ein cooles Rap-Märchen vor realem Hintergrund. Geht auch, muss man nur wissen.

„Deutschland 83“
Ich frage mich ja seit drölf Jahren, warum die Deutschen nicht mal Bock haben, eine richtig coole Serie zu machen. Serien sind ja im Moment eine der beliebtesten Erzählformen, nur hierzulande scheint man sich nicht so richtig ran zu wagen. Sondern sendet halbgare Kompromisse, die am Ende niemanden glücklich machen — als allerletztes die Zuschauer. Ich weiß nicht, woher diese Feigheit rührt, denn es gab mal eine Zeit, in der in deutschen Serien durchaus gerne horizontal erzählt wurden. Mit Handlungssträngen über mehrere Folgen hinweg. Die ZDF-Weihnachtsserie in den Achtzigern war so ein Fall oder die großen Dietl-Serien.

Nach diesem Jammereinstieg nun die gute Nachricht: Es gibt wieder Hoffnung! In Form der achtteiligen Mini-Serie „Deutschland 83“.

 

UFA Fiction

Die Geschichte ist schnell erzählt: In der Zeit, als die Angst vor dem kalten Krieg die politische Nachrichtenlage beherrscht, schleust die DDR einen jungen Soldaten bei der westdeutschen Bundeswehr als Spion ein. Martin muss alles spontan hinter sich lassen und sich im Westen zurechtfinden — und gleichzeitig nicht auffallen. Dabei steht immer die Frage im Raum: Wird er nur ausgenutzt? Und wenn ja, wann wird er es erkennen?

Okay, das klingt ein bisschen spröde und könnte auch eine langsam erzählte, typisch deutsche Schnarchserie sein, aber oh weh mir! Was für ein Fehler, das zu vermuten! „Deutschland 83“ macht alles richtig.

 

UFA Fiction

Die beiden Showrunner (also Hauptautoren) haben offensichtlich genau studiert, wie amerikanische Serien funktionieren und deren Struktur übernommen, um eine spannende Agenten-Story zu erzählen, die schnell und trotzdem nicht doof ist. Die verschiedenen Handlungsebenen sind klar und deutlich gezeichnet — etwas, wovor sich deutsche Autoren oft sträuben, weil sie es mit platt verwechseln. Der Wechsel zwischen den Story-Ebenen funktioniert geschmeidig.

Ein Beispiel: Martins Freundin, die er ahnungslos zurücklassen musste, wird von der DDR angeworben, um bei seiner auf eine Nierentransplantation wartende Mutter einzuziehen. Sie soll sich um sie kümmern und ein wenig auszuspionieren. Das ist kein Handlungshauptschauplatz, aber ein spannender Nebenstrang, der irgendwann später in der Serie bestimmt Einfluss auf die Story haben wird.

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So wird in einer Eleganz erzählt, die bei deutschen Produktionen selten ist. Die Bilder sind toll, die Schauspieler großartig — allen voran Neuentdeckung und Hauptdarsteller Jonas Nay — und selbst der Vorspann funktioniert perfekt. So viel Liebe zum Detail wurde auch belohnt: Die Serie wurde erst in den USA ausgestrahlt und läuft diesen Herbst erst auf RTL.

Das Warten lohnt sich auf jeden Fall. Und es wäre wünschenswert, wenn das nur der Startschuss für intelligente Serien aus Deutschland ist, anstatt die Ausnahme. Ich hoffe das Beste. 

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