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Neues vom Admin / Vom IT-Wahnsinn auf deutschen Ämtern

von Armin Hempel
Die IT im öffentlichen Dienst ist eine Katastrophe – ob ein strengeres Gesetz, wie es nun in Berlin auf den Weg gebracht werden soll, da etwas ausrichten kann? Unser Admin ist skeptisch.

Jeder Behördengang macht mich wütend. Meine Berliner Ämter-Bilanz der letzten 15 Jahre: eine Wohnung angemeldet, einmal umgemeldet, fünf Besuche beim Zoll, ein internationaler Führerschein, drei Anzeigen bei der Polizei und zwei neue Personalausweise. Jedes einzelne Mal bedeutete das: Bitte viel Geduld mitbringen, dann warten, warten und nochmals warten.

Man sollte einmal zusammenrechnen, wie viel Produktivität tagtäglich in den Wartezimmern von Berliner Ämtern vernichtet wird – danach wären keine Argumente mehr nötig, um das Personal aufzustocken.

Zugegeben: Ich komme aus einer Kleinstadt, in der man im Bürgerbüro gefühlt mit Kaffee und Kuchen empfangen wird und wo sich alle freuen, wenn überhaupt mal jemand ein Anliegen hat. Trotzdem kann es nicht angehen, dass der Verwaltungs-„Kunde“ in der Bundeshauptstadt für jeden Vorgang, der meist in wenigen Minuten erledigt ist, einen halben Arbeitstag einplanen muss.

Das größte Ärgernis ist die Online-Terminvergabe. Seit fast zwei Jahren ist es derart schwierig, einen Termin mit den Berliner Ämtern zu vereinbaren, dass man nur noch von einem globalen Systemversagen sprechen kann. Immerhin konnte mittlerweile der mehr als ein halbes Jahr lang florierende Schwarzmarkthandel mit der wertvollen Zeit der Berliner Beamten unterbunden werden – ein Riesenfortschritt!

Technophobie? Unflexibilität? Sparzwang? Wahrscheinlich von allem ein bisschen

Bekommt man also in den nächsten zwei Monaten keinen Termin beim Amt, liegt das nicht etwa an den fadenscheinigen Machenschaften eines Startups, dessen einzige Existenzgrundlage ein Fehler im System war, sondern nur noch am System selbst. Wie beruhigend.

Doch die legendäre Unfähigkeit der Bürgerämter der Hauptstadt, ein funktionierendes Terminbuchungssystem auf die Beine zu stellen, ist nur eines von vielen Symptomen. Nur – wovon eigentlich? Von Technophobie? Unflexibilität? Oder von Sparzwang? Wahrscheinlich von allem ein bisschen.

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Konnte man dann einen der kostbaren Termine ergattern und sitzt endlich im Wartezimmer, bedeutet das noch lange nicht, dass man zum vereinbarten Zeitpunkt auch auf Erfüllung des Anliegens hoffen kann. So scheint es keine Seltenheit mehr zu sein, dass sämtliche Computer aller Bürgerämter der Hauptstadt gleichzeitig nicht zur Verfügung stehen und sich ein größeres Chaos breitmacht. So passierte es bei meinem letzten Besuch vor knapp drei Wochen. Zum Glück konnte mein Antrag trotzdem bearbeitet werden – handschriftlich auf geduldigem Papier.

Weiter entfernt könnte die E-Akte gar nicht sein. Aber keine Sorge, deren Einführung ist auch erst für 2023 geplant. So steht es jedenfalls in der Beschlussfassung des Berliner E-Government-Gesetzes. Nun hat der Ausschuss für Digitale Verwaltung, Datenschutz und Informationsfreiheit beschlossen, dieses endlich auf den Weg zu bringen.

Es geht längst nicht mehr um Visionen, sondern einzig darum, Schritt für Schritt zur Gegenwart aufzuschließen

Das Hauptproblem: Der öffentliche Dienst hinkt mit Blick auf seine IT-Ausstattung jeglichen Standards hoffnungslos hinterher. Jeglicher Gedanke an die Zukunft wirkt da Zeitverschwendung. Tablets? Fehlanzeige. Wir können froh sein, wenn uns in Ämtern keine Röhrenmonitore mehr begegnen. Denn eines muss man sich klarmachen: Es geht beim E-Government-Gesetz längst nicht mehr um Visionen, sondern einzig darum, Schritt für Schritt wieder zur Gegenwart aufzuschließen.

Wie zum Beispiel aus der Antwort auf eine Anfrage des grünen Sprechers für Verwaltungsmodernisierung, Thomas Birk, hervorgeht, ist der Zustand katastrophal. Rechnet man die Zahlen hoch, arbeiten zehntausende Berliner Verwaltungsangestellte täglich mit veralteten Browserversionen, für die seit mehr als einem Jahr keine Sicherheitsupdates mehr bereitgestellt werden.

Begründet wird dies unter anderem damit, dass viele der Fachanwendungen nicht mit modernen Browsern klarkämen. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn ich beispielsweise sehe, dass Web-Anwendung A nicht ohne Java-Plugin auskommt, Anwendung B dafür aber ausschließlich auf einer bestimmten Firefox-Version von 2009 läuft. Doch es gibt auch Positives zu vermelden: Der Internet Explorer wird nicht mehr immer und überall als alternativlos vorausgesetzt!

Mein persönliches Highlight übrigens konnte ich vor etwa zwei Jahren beobachten: Wegen einer Zentralisierungsmaßnahme erschien es nötig, von einem PDF- zu einem MS-Word(!)-Formular umzusteigen. Das war dann nur leider nicht mehr mit Mac OS X kompatibel, so dass man in dieser Landesbehörde kurzerhand allen Arbeitsbereichen, die mit Macs arbeiteten, empfahl, sich nur zum Ausfüllen jenes einzelnen Formulars einen Windows-PC anzuschaffen.

Und das ist leichter gesagt als getan! Denn auch die Beschaffung von Informationstechnologie im öffentlichen Dienst ist ein Graus. Wollen die Angestellten nicht Wochen mit dem Einkauf von Hard- oder Software zubringen, sind sie entweder gezwungen, bei den Vergabeverfahren zu tricksen oder ein Produkt von der Stange zu bestellen. Bevorzugen sie beispielsweise einen minimal teureren Anbieter mit besserem Service, ist das ohne Ausnahmegenehmigung oder ausführliche Begründungen nicht machbar. Denn grundsätzlich zählt bei der Beschaffung nur noch eines: der niedrigste Preis.

Ich bezweifle, dass sich das mit dem neuen E-Government-Gesetz ändern wird, denn dieses wird offenbar auf noch mehr Zentralisierung als bisher setzen. Dass Mitarbeiter mit der Hard- und Software, mit der sie sich schon von zu Hause auskennen, produktiver sind und dass es mittlerweile selbst bei konservativen Arbeitgebern zum guten Ton gehört, dass sich Angestellte das Betriebssystem ihres Arbeitsplatz-Rechners aussuchen dürfen, spielt im Gesetzestext keine Rolle – schade.

Mehr als 750 öffentliche Schulen warten seit Jahren auf ein moderneres Verwaltungssystem

Es ist aber nicht nur die Ausstattung, die Kopfzerbrechen bereitet, es sind vor allem die Fachanwendungen. So hat zum Beispiel die Einführung der Studierendenverwaltung an einer großen Berliner Universität Jahre gedauert und mehreren Jahrgängen von Studierenden den letzten Nerv geraubt. Kurz darauf wurde dann das Warenwirtschaftssystem überholt – leider ist auch damit niemand wirklich zufrieden. Noch ein Beispiel gefällig? Mehr als 750 öffentliche Schulen in Berlin warten seit über sieben Jahren auf ein moderneres Verwaltungssystem.

Das Modernisierungsverfahren hat bisher 43 Millionen Euro gekostet, nur modernisiert wurde dafür leider noch gar nichts. Bereits aufgestellte Server werden jetzt wieder abgeholt, ohne jemals eingesetzt worden zu sein und mittlerweile wird sogar darüber nachgedacht, alles einzustampfen und durch die ganz solide funktionierende Lehrer- und Schülerdatenbank (LUSD) aus Hessen zu ersetzen – einen nie enden wollenden Skandal à la Hauptstadtflughafen möchte man im IT-Bereich anscheinend vermeiden.

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