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Tödliche Navigation: Die App Waze leitete ein Paar in Rio direkt in eine gefährliche Favela

von Julia Jaroschewski
GPS kann zum Sicherheitsrisiko werden: In Rio de Janeiro geraten Autofahrer mit der Navi-App Waze immer wieder in gefährliche Situationen — jetzt starb eine Frau, als Drogengangster ihr Auto beschossen.

Die Navi-App Waze leitete Regina und Francisco Murmura direkt in die tödliche Falle. Das ältere Ehepaar war zu einem Abendessen in einer Pizzeria in Niteroí verabredet, einer Nachbarstadt von Rio de Janeiro. Stattdessen führte die beliebte Verkehrs-App von Google sie in eine der gefährlichen Favelas Niteroís.

Das eigentliche Ziel: die Avenida Quintino Bocaiúva, an der Promenade von Niteroí. Nur ein paar falsche Buchstaben verwandelten die Fahrt in eine Katastrophe. Endstation: die Rua Quintino Bocaiúva in einer gefährlichen, von Drogengangs beherrschten Favela. Am Eingang der Armensiedlung Caramujo wurde das Ehepaar von einer Bande von 20 Drogengangstern empfangen, die das Auto beschossen. Die Kugeln trafen auch die 70-jährige Unternehmerin Regina Murmura, die auf dem Beifahrersitz saß und ihren Mann mit der mobilen App durch die Stadt dirigiert hatte.

Francisco Murmura versuchte auszusteigen, um die Gangmitglieder zu bitten, ihn fahren zu lassen — um seine angeschossene Frau retten zu können. Doch sie antworteten mit weiteren Schüssen. Es gelang dem 69-Jährigen, zu flüchten. „Sie dachten wohl, ich bin von der Polizei“, vermutete er später. Dem Polizeibericht zufolge wurde das Auto der Murmuras von Dutzenden Schüssen zerlöchert. Regina Murmura starb nach dem Vorfall am vergangenen Samstag an ihren Verletzungen.

Erst im August war die brasilianische Soap-Schauspielerin Fabiana Karla mit der Waze-App in derselben Favela gelandet — auch ihr Auto wurde beschossen, sie konnte aber unverletzt fliehen. Der Tod von Regina Murmura hat erneut die Frage aufgeworfen, wie sicher Rio ist, gerade auch für Touristen, die sich nicht auskennen. Während die Stadt die Situation während der WM einigermaßen kontrollieren konnte, ist die Gewalt vor den Olympischen Spielen 2016 erneut eskaliert — mit Schießereien in den Favelas und Raubüberfällen in der ganzen Stadt, auch den Strandgebieten.

Allein in Rio de Janeiro liegen mehr als 1000 Armensiedlungen verstreut, viele grenzen direkt an wohlhabendere Viertel oder ragen von den Bergen in die Strandzone hinein. In knapp 200 Favelas ist inzwischen Polizei präsent, doch die Mehrheit der Siedlungen wird von Drogenbanden beherrscht, die mit Sturmgewehren bewaffnet kontrollieren, wer das Viertel passieren darf. Nicht alle Favelas sind lebensgefährlich, doch wer die Gebiete und die Regeln nicht kennt, kann schnell in brisante Situationen geraten.

Verkehrs-Apps wie Waze empfehlen den kürzesten oder schnellsten Weg durch die Stadt, zum Teil auch durch Favelas. Vor kurzem wurden auch die Schauspieler Tadeu Aguiar und Sérgio Menezes zu Opfern eines Raubüberfalls. Um einem Stau zu entgehen, fuhren sie eine von Waze empfohlene Alternativ-Route durch Rios Vororte, die allerdings an der Favela Morro do Chapadão vorbeiführte. Ein Krimineller auf einem Motorrad zwang sie mit vorgehaltener Waffe, auszusteigen, raubte Auto, Telefone und Geld. Die beiden wurden mitten in der Favela zurückgelassen. Der Kommentar eines Bewohners, der ihnen mit einem Mobiltelefon aushalf: „Das passiert hier die ganze Zeit — ihr hättet einfach nicht herkommen dürfen.“ Die Erfahrungen der Prominenten werfen vermutlich nur ein Schlaglicht auf eine viel höhere Dunkelziffer.

Das Unternehmen sei „sehr traurig“ über den Vorfall, schrieb Waze in einer Pressemitteilung nach dem Tod von Regina Murmura. „Es ist schwierig, Fahrer davon abzuhalten, in eine gefährliche Region zu fahren, wenn dieses Ziel von den Leuten gewählt wurde, denn die Menschen, die in diesen Gebieten leben, müssen eben nach Hause kommen“, so die Firma.

Die Menschen, die in diesen Gebieten leben, müssen eben auch nach Hause kommen.

Waze-Pressemitteilung

Was also tun? Gebiete als No-Go-Zonen markieren? Digitale Warnungen absenden, wenn sich die Fahrer einem riskanten Gebiet nähern? „Wenn die Regierung von einem Land oder einer Stadt den Bewohnern verbietet, ein bestimmtes Viertel oder eine Region zu durchqueren, aktualisieren wir unsere Karten bei Waze“, versichert das Unternehmen. Doch die Favelas von Rio von der Karte zu streichen, würde auch bedeuten, dass mehr als 1,4 Millionen Favelabewohner, ein Fünftel der Bewohner Rios, von dem Service ausgeschlossen werden.

Waze hat angekündigt, sich mit Sicherheitsexperten von brasilianischen Regierungsbehörden zu treffen, um zu erörtern, wie Risiken bei der Verkehrssteuerung berücksichtigt werden können. Außerdem setzt das Unternehmen auf Crowdsourcing und kollektive Intelligenz: Denn die Navi-App berechnet die Empfehlungen auf Basis von Big Data und Community-Informationen. „Wir hoffen, dass wir mehr und mehr Wissen anhäufen können, das es uns ermöglicht, Routen mit einem höheren Sicherheitsrisiko zu identifizieren, und das Angebot gleichzeitig für alle offen zu halten“, teilt Waze mit. 

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