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CrimeWatch / Die Datenjournalisten von NarcoData durchleuchten Mexikos Drogenkrieg

von Sonja Peteranderl
Verbrechen in Zahlen: NarcoData macht Trends in Mexikos Drogenkrieg sichtbar und zeigt, wie Datenjournalismus im Kampf gegen Kriminalität helfen kann — und wo der Erkenntnisgewinn Grenzen hat.

Mexikos Drogenkrieg: ein Moloch voller Machtkämpfe um Drogen, Routen, Märkte, mit immer neuen Allianzen, Aufsplittungen und Hunderten von Gangs, die als Dienstleister und Mordkommandos der großen Kartelle tätig sind. Es ist selbst für Experten schwer, den Überblick zu behalten. NarcoData will die Trends mit Infografiken sichtbar machen, den Zugang zu Informationen erleichtern, die die Gewaltspirale in Mexiko erklären.

„NarcoData hat gemacht, was die Staatsanwaltschaft nicht machen wollte: strukturierte Informationen über das organisierte Verbrechen zu veröffentlichen, die offen, digital und interaktiv sind“, sagt Projekt-Koordinatorin Dulce Ramos. Der mexikanischen Staatsanwaltschaft würden solche Informationen zwar vorliegen, die Bereitschaft sie öffentlich zu machen, sei aber gering, weil sie der PR der mexikanischen Regierung widersprechen. „Was man aus den Daten ableiten kann, ist keine Reduktion des organisierten Verbrechens in Mexiko, sondern eine Expansion – die Strategien gegen das Verbrechen funktionieren nicht“, so Ramos. 

Neun Kartelle haben Mexiko zur Zeit unter sich aufgeteilt. In kürzester Zeit sei auch die Anzahl von kleineren Splittergruppen explodiert, die sich auf Schutzgelderpressung, Überfälle oder Menschenhandel konzentrieren, den größeren Kartellen auch als Mordkommandos dienen. Die kleinen Zellen stärken die Kartelle und heizen die Gewalt an, weil sie sich auch untereinander bekämpfen. Seit mehr als vier Jahrzehnten hat der Aufstieg der mexikanischen Drogenkartelle, die mit korrupten Politikern und Sicherheitskräften paktieren, weite Teile des Landes in Konfliktregionen verwandelt, in denen Schießereien, Morde, Entführungen und Überfälle Alltag sind.

Die Infografiken von NarcoData visualisieren, welche Kartelle Mexiko dominieren, in welchen Gebieten welche kriminellen Gruppen aktiv sind, oder wie sich das Portfolio der Organisationen erweitert hat. Mit dem Informationsfreiheitsgesetz angeforderte öffentliche Daten der Staatsanwaltschaft hat das Team - Journalisten, Designer und Entwickler der mexikanischen Onlineplattform Animal Político und des chilenischen Datenprojekts Poderopedia - durch Interviews mit Experten und Forschungsliteratur kontextualisiert. Um die komplexen Entwicklungen zu verstehen, haben die Journalisten Akteure, Netzwerke und Verbindungen auf Pappe geklebt, sie in einfachen Infografiken visualisiert, die leicht verständlich sein sollen.

„Man muss das Phänomen verstehen, um es zu bekämpfen“, sagt der mexikanische Sicherheitsexperte Alejandro Hope. „Da wir über illegale Geschäfte sprechen, sind die Daten aber nicht vollständig und man muss eine Menge Annahmen machen.“ Die Verlässlichkeit der Regierungsdaten schwankt - die Informationen zu Beschlagnahmungen von Drogen seien etwa korrekter als die Identifikation von Gangs. Auch Definitionsprobleme sind eine Herausforderung: Wie defininiert man ein Kartell? Was ist eine bewaffnete Zelle? Lässt sich ein Mord tatsächlich den Kartellen zuordnen?

Datenjournalismus wird zum Gradmesser öffentlicher Sicherheit - und Regierungsversprechen

„Kriminalistische Statistiken sind sehr schwierig zu verstehen“, so Hope. „Man braucht einen besseren theoretischen Rahmen, um die Daten zu analysieren und zu verstehen.“ NarcoData sieht er als einen ersten Schritt - und als Projekt, das sich im Prozess noch weiterentwickeln muss. Einige grundlegende Trends hat das Number-Crunching aber offenbart: „Mit den Daten, die wir gesammelt haben, konnten wir beweisen, dass das organisierte Verbrechen im ganzen Land präsent ist und keine Kleinigkeit“, sagt die Datenjournalistin Tania Montalvo. Dass der Hauptstadtbezirk DF frei von organisierter Kriminalität ist, wie mexikanische Politiker gern betonen, sei etwa ein Mythos. Auch hier sind Kartelle wie Jalisco Nueva Generación aktiv. 

So wird Datenjournalismus zum Gradmesser öffentlicher Sicherheit - und Regierungsversprechen. Mexikos Bilanz: negativ. „NarcoData zeigt die Unfähigkeit des Staates, Strategien zu entwickeln, die Kartelle, aber auch die kleinen kriminellen Zellen zu bekämpfen“, sagt Montalvo. Militär, Bundespolizei und Marine gegen die zahlreichen kleinen Splittergruppen einzusetzen, sei etwa wirkungslos. Die lokalen Polizisten müssten gestärkt werden, die sich um vergleichsweise kleine Delikte wie Handtaschenraub, Autoraub oder Überfälle auf Geschäfte kümmern sollen. Denn die aktuelle Straflosigkeit stärkt die Mini-Banden - und damit auch die großen Kartelle, die mit ihnen ihre lokale Präsenz ausbauen. 

Eine Reaktion der Regierung auf die Veröffentlichungen von NarcoData ist bisher ausgeblieben: „Die Strategie der Regierung ist zu schweigen - sie warten, bis der Sturm vorüberzieht und halten sich ruhig“, so Montalvo. Als Zielgruppe hat NarcoData vor allem die mexikanische Gesellschaft im Blick - sie sollen mit dem Zugang zu den Daten bewerten können, was in ihrem Land passiert. Mexikos Geschichte, sagt Montalvo, sei ohne das Wissen über die Kartelle nicht zu verstehen. 

In der letzten Folge „CrimeWatch“ wurde beleuchtet, ob Crowdfunding Menschen vor dem Gefängnis retten kann.

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